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handreichung zum lehrplan leistungskurs philosophie

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flexion kommt hier jeweils <strong>zum</strong> Ausdruck, und welche<br />

As pekte der geschichtsphilosophi schen Reflexion<br />

stehen in diesem Kontext?<br />

Die Geschichts<strong>philosophie</strong> zielt auf Geschichte im<br />

Ganzen; sie reflektiert nach einer Ver laufs form von<br />

geschichtlichen Prozessen und fragt danach, ob darin<br />

Gesetzmäßig keiten erkennbar sind. Sie fragt nach<br />

dem Subjekt der Geschichte, nach deren Ziel, Sinn<br />

und Zweck.<br />

Ein einfacher Weg, den Anfang von Geschichts<strong>philosophie</strong><br />

zu bestimmen, wäre auf die Begriffs geschichte<br />

zurückzugreifen. 1765 prägt Voltaire den Begriff<br />

„<strong>philosophie</strong> de l’histoire“. Er will einen Gegenentwurf<br />

zu einer christlich-religiös geprägten Geschichtsschreibung<br />

verfassen und die Geschichtsforschung in<br />

den Stand der Wissen schaften er heben. Geschichte<br />

soll in natürli chen Begriffen dargestellt werden („<strong>philosophie</strong><br />

na turelle“), die Geschichtsschreibung soll<br />

„en philo sophe“ sein, d. h. allgemeine philosophi sche<br />

Prinzipien sollen auf die Betrachtung histori scher<br />

Ereignisse angewandt werden. Die neue Wissenschaft<br />

soll rein empirisch verfahren und historische Tatsachen<br />

aus na türlichen Ursachen kausal er klären<br />

(„certitude historique“). So ver dankt die Geschichts<strong>philosophie</strong><br />

ihre Entwicklung zur philosophischen<br />

Dis ziplin im 18. Jahr hundert nicht nur von ihrem<br />

Namen her, sondern entspringt aus dem Geiste der<br />

Aufklärung. In der auf klärerischen Kritik an Staat und<br />

Kirche entfaltet sich das bürgerliche Bewusstsein,<br />

Ver nunft wird verstanden als Entwicklung der Zivilisation<br />

und Kultivierung der Menschheit. Nach Reinhart<br />

Koselleck hat die Geschichts<strong>philosophie</strong> das Erbe der<br />

Theologie an ge treten, indem die christliche Eschatologie<br />

in abgewandelter Form als sä kularer Fortschritt<br />

auftritt, was sich in den teleologisch geprägten<br />

Fortschrittstheorien in nerhalb der Ge schichts<strong>philosophie</strong><br />

nachweisen lässt (Reinhart Koselleck:<br />

Kritik und Krise).<br />

2. Theorien vom Ursprung des historischen<br />

Bewusstseins<br />

Grundlagen und erste Anfänge eines historischen<br />

Bewusstseins sehen Aufklärer wie Turgot und sein<br />

Schüler Condorcet in der Entstehung der Schrift.<br />

Nach Turgot kön nen geschichtliche Zeiten nicht<br />

länger zurückliegen als die Erfindung der Schrift;<br />

Condorcet hält vergangene Er eignisse erst für historisch<br />

relevant, wenn sie schriftlich dargelegt und<br />

überliefert werden, wie etwa in der griechischen<br />

Antike, als dort die alpha betische Schrift entwickelt<br />

wurde. Im 20. Jahr hundert zeigt Vilém Flusser in Die<br />

Revolu tion der Bilder, wie sich historisches Bewusstsein<br />

vom Bild ausgehend im Zuge der Ent wicklung<br />

der Schrift entfaltete. Der alphabetische Code besteht<br />

im „Aufrollen des Bildes in Linien (‚Zeilen‘)“.<br />

Der geschriebene Text, der in Zeilen gefasst ist,<br />

muss in linearer Richtung gelesen, das Geschriebene<br />

synthetisiert werden, um die Aussage des Textes zu<br />

verstehen. Es ent wickelt sich hiermit nach Flusser<br />

eine neue Zeiterfahrung, die Vor stellung einer „linearen<br />

Zeit, eines Stromes des unwiderruflichen Fortschritts“.<br />

Das historische Bewusstsein, das sich mit der Erfindung<br />

der Schrift ent wickelt, ist nach Flusser nicht<br />

darin zu sehen, dass die Schrift Prozesse festhält,<br />

sondern Szenen in Pro zesse verwan delt. Die Schrift<br />

erzeugte damit historisches Bewusstsein, das langsam<br />

und mühsam das ma gisch bildhafte Zeitalter überwand.<br />

Den historischen Zeitpunkt für diese Be wusstseinsprozesse<br />

legt Flusser in die Zeit der jüdischen<br />

Prophetie und der griechi schen Philosophie. In diesen<br />

Deutungszusammenhang stellt Flusser Platons Absage<br />

an die Bildkunst und das Eifern der Propheten<br />

gegen die Idolatrie. Erst im Laufe der Jahrhunderte<br />

begannen Texte, z. B. die Schrif ten Homers und biblische<br />

Schriften, die Gesellschaft zu pro grammieren,<br />

wobei in der Antike und noch im Mittelalter das<br />

histori sche Bewusstsein einer schriftkundigen Elite<br />

vorbehalten blieb. Große Teile der nicht schriftkundigen<br />

Bevölkerung blieben weiterhin durch Bilder in<br />

ihrem magi schen Denken verhaftet. Erst mit dem<br />

Buchdruck entwickelte sich das historische Bewusstsein<br />

in breite ren Gesellschaftsschichten.<br />

Den eigentlichen Ursprung für ein lineares Geschichtsverständnis<br />

sieht Karl Löwith in der jü disch-christlich,<br />

„futuristisch“ ausgerichteten Geschichtsauffassung,<br />

die ausgehend von der Schöpfung, dem Anfang der<br />

Geschichte, das Ende in den Blick nimmt; die jüdi schen<br />

und christ lichen Vorstellungen zielen auf ein unwiderrufliches<br />

Ende ab, auf ein endgültiges Letztes, näm lich<br />

der Erfüllung in Gott. Daher, so Löwith in der Einleitung<br />

zu Weltgeschichte und Heils geschehen, kann<br />

24<br />

Geschichts<strong>philosophie</strong>

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