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handreichung zum lehrplan leistungskurs philosophie

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das für den Physikalismus existierende Problem der<br />

„Erklärungslücke“ an, ein Begriff, der von Joseph Levin<br />

(Materialism and Qualia: The Explanatory Gap) in den<br />

philosophi schen Diskurs ein geführt wurde: „Würde<br />

ein Wissenschaftler unsere Schädeldecke entfernen<br />

und in unser Ge hirn hineinsehen, während wir den<br />

Schokoladenriegel essen, so würde er nichts weiter<br />

sehen als eine graue Masse von Nervenzellen. Würde<br />

er mit Messinstrumenten bestim men, was dort vor sich<br />

geht, so würde er komplizierte physikalische Vorgänge<br />

der unterschied lichsten Art entdecken. Fände er jedoch<br />

den Geschmack von Schokolade?“ (Thomas Nagel:<br />

Was bedeutet das alles? Eine ganz kurze Einführung<br />

in die Philosophie, Das psychophysische Problem).<br />

Jenseits dessen, dass Organismen durch eine außen<br />

stehende Perspektive objektiv erfasst werden können,<br />

haben wir die Intuition, höheren Organismen, die<br />

über Gehirne verfügen, darüber hinausgehend auch<br />

subjektive Erlebniszustände zuzusprechen; wir meinen<br />

damit, dass es „irgendwie ist, dieser Or ganismus zu<br />

sein“ und zwar „für“ diesen Organismus (Thomas<br />

Nagel: Wie ist es, eine Fleder maus zu sein?). Einige<br />

Autoren sind der Meinung, dass das Problem der<br />

Er klärungslücke prinzi pieller Natur ist. Andere Autoren<br />

– wie <strong>zum</strong> Beispiel Antonio R. Damasio, Hans J.<br />

Markowitsch, Paul Churchland oder Gerhard Roth<br />

– vertreten die Auffassung, dass es in Zukunft möglich<br />

sein wird, die Erklärungslücke zu schließen, das heißt,<br />

wissenschaftlich zu erklären, wie es zu subjektivem<br />

Erleben von Organismen kommt. Für Damasio stellt<br />

das „Proto-Selbst“, das nichts anderes ist als die unbewusste<br />

Repräsentation und Regulierung der Körperfunktionen,<br />

das Fundament dar für die Bewusstseinsschicht<br />

des im Hier und Jetzt aufgehenden Kernbewusstseins.<br />

In ihm werden Zustände des Organismus<br />

mit Lust oder Unlust empfunden. Ähnlich wie bei<br />

Epikur (Brief an Menoikeus) ist die Seele somit<br />

„empfindendes Organ des Körpers“ (in sprachlicher<br />

An lehnung an Malte Hossenfelder: Epi kur). Im<br />

erweiterten Bewusstsein, das überhaupt erst die Vorstellung<br />

von Zeit kennt und mit hö heren kognitiven<br />

Funktionen ausgestattet ist, wird der bereits im<br />

Kernbewusstsein vorhandene „Selbstsinn“ zu Identitätsbewusstsein<br />

weiter entwickelt. Zentral ist für<br />

Damasio die Einsicht, dass „Bewusstsein und Emotion<br />

nicht zu tren nen sind“, da Bewusstsein und Emotionalität<br />

sich wech selseitig bedingen (Antonio R.<br />

Damasio: Ich fühle also bin ich. Die Entschlüsselung<br />

des Be wusstseins).<br />

Ein weiteres, von neurobiologischer Seite aus viel<br />

beachtetes Thema ist das Pro blem der Willensfreiheit.<br />

In der philosophischen Tradition sind in der<br />

Vorstellung der Selbst bestimmung der Person die<br />

Mo mente von Willensfreiheit, Handlungsfreiheit<br />

(ein freier Wille setzt ein Können voraus: Kann ich<br />

auch das, was ich will? Umgekehrt: Kann ich etwas<br />

wollen, was ich nicht kann?) und Selbstbewusstsein<br />

verknüpft. In gesellschaftlichen Kontexten, <strong>zum</strong><br />

Beispiel im juristischen Verständnis des Menschen,<br />

gehen wir davon aus, dass Personen einen freien<br />

Wil len haben; nur der freie Wille macht Personen<br />

überhaupt schuldfähig. Insbesondere seit den<br />

(allerdings kontrovers bewerteten) Versuchen von<br />

Benjamin Libet sehen viele Autoren die Wil lensfreiheit<br />

als obsolet an. Libet zeigt auf, dass im Gehirn<br />

von Probanden eine willkürliche Be wegung durch<br />

den Aufbau des symmetrischen Bereitschaftspotenzials<br />

vorbereitet wird, bevor diese die betreffende<br />

willkürliche Bewegung bewusst ausführen. Wolfgang<br />

Prinz als Vertreter des Inkompatibilismus bewertet<br />

das Forschungsresultat von Libet wie folgt: „Wir tun<br />

nicht, was wir wollen, sondern wir wollen das, was wir<br />

tun“ (Wolfgang Prinz: Freiheit oder Wissen schaft?).<br />

Dieser Bewertung schließt sich auch Gerhard Vollmer<br />

an, für den, wie auch für Autoren wie Wolf Singer<br />

und Gerhard Roth, die Willensfreiheit zur Illusion<br />

wird. Ansgar Beckermann hin gegen vertritt eine<br />

kompatibilistische Position. Libet habe aus naturalisti<br />

scher Sicht nichts ande res festgestellt, als „was<br />

von vornherein zu erwarten war“, nämlich dass meine<br />

Entscheidungen sich „neuronal realisieren“, was aber<br />

nicht bedeutet, dass ich nicht der Urheber von Entscheidungen<br />

bin. Mentale Entscheidungsprozesse,<br />

die nicht immer bewusst ablaufen, realisier ten sich<br />

neuronal in einem Aufbau von „Bereitschafts potentialen“<br />

oder anderen mess baren Effekten. Nur das<br />

„Ergebnis, nicht die Prozesse“ einer Entscheidung<br />

komme zu deutli chem Bewusstsein (Ansgar Beckermann:<br />

Neuronale Deter miniertheit und Freiheit).<br />

Nach Michael Pauen „misst“ Libet überhaupt keine<br />

bewussten Ent scheidungen und schon gar keine<br />

Entscheidungsprozesse, in denen Wahlmöglichkeiten<br />

re flektiert werden, sondern „Bewegungs impulse“,<br />

die überhaupt nur unter den Bedingungen des Experiments<br />

zu Bewusstsein kommen (Michael Pauen:<br />

Illusion Freiheit? Mögliche und unmögliche Konsequenzen<br />

der Hirnforschung). Für Wilhelm Vossenkuhl<br />

zeigen die Versuche von Libet lediglich, dass ursprüng-<br />

44<br />

Anthropologie

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