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handreichung zum lehrplan leistungskurs philosophie

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Arbeiten an künstlichen und neuronalen Netzwerken<br />

zu einem Ver ständnis unserer Hirnfunktionen gelangt<br />

zu sein und auf dessen Basis weit reichende Aus sagen<br />

über mentale Phänomene, den menschlichen Geist,<br />

machen zu können; er spricht vom „transparenten<br />

Gehirn“ (Paul M. Churchland: Die Seelenmaschine,<br />

Kap. 8-9). Churchland kann dem „eliminativen<br />

Materialismus“ zugerechnet werden. „Eliminativ“ in<br />

die sem Sinne bedeutet, dass der Anspruch erhoben<br />

wird, „mentalistische Alltagsbegriffe“ durch präzisere<br />

neurobiologische Termini zu ersetzen, um das noch<br />

weit verbreitete dualistische Denkmuster endgültig<br />

aufzulösen. Lebewesen werden verstanden als komplexe<br />

physika lisch-chemische Prozesse, und darin<br />

liegt nach Churchland ein überaus wichtiges medizinisch-diagnostisches<br />

Potenzial. Die Forschung könnte,<br />

so Churchland, bald in der Lage sein, neurologische<br />

Erkrankungen besser zu diagnostizieren und zu heilen.<br />

Churchland betont die sozialen und ethischen<br />

Konsequenzen, die aus diesen neuen Er kenntnissen<br />

resultieren. Es geht ihm um die Entmystifizierung<br />

von Begriffen wie „Seele“, „Ich“ etc. „Die Doktrin einer<br />

immateriellen Seele scheint mir, wie jeder Mythos,<br />

nicht nur oberflächlich, sondern auch falsch“ (Churchland:<br />

Die Seelenmaschine Kap. 8). Der Leib-Seele-<br />

Dualismus präge leider auch heute noch das soziale<br />

und moralische Bewusstsein vieler Menschen aus den<br />

unterschiedlichsten Kulturen. Es wäre im Hinblick auf<br />

unsere Zu kunft notwendig, auf der Basis der neuen<br />

Erkenntnisse, dem neuen Wissen um das „Wesen des<br />

Menschen“, den Sinn des Lebens neu zu definieren<br />

und ein neues ethisches Funda ment zu entwickeln.<br />

Der Philosoph Thomas Metzinger, der die These vom<br />

„phänomenalen Selbst“ vertritt, sieht ebenfalls eine<br />

dringende Notwendigkeit, dass unsere Gesellschaft<br />

auf die technologische Umsetzung von neuem Wissen<br />

reagiert. Er stellt sich einen neuen Zweig der angewandten<br />

Ethik vor, eine „Bewusstseinsethik“, die sich<br />

damit auseinandersetzt, wie wir mit unseren Bewusstseinszuständen<br />

künftig gesellschaftlich umgehen<br />

wollen. Dies sei schon deshalb vonnöten, da zukünftig<br />

die alten traditionellen ethischen Denkmuster in<br />

zunehmend größer werdenden „Handlungsspielräumen“<br />

nicht mehr ausreichen bzw. versagen werden.<br />

Die Frage aus der klassischen Ethik „Was ist eine gute<br />

Handlung?“ wäre in der neuen Be wusstseinsethik<br />

nach Metzingers Vorstellung zu ersetzen durch die<br />

Fragestellung „Was ist ein guter Bewusstseinszustand?“<br />

So schreibt Metzinger: „Bei der Bewusstseinsethik<br />

ginge es also um eine normative Be wertung nicht<br />

von Handlungsformen, sondern von Erlebnisformen“<br />

(Metzinger in: Gehirn & Geist 6/2006). Die Bewusstseinsethik<br />

könnte man demnach als jenen Teil<br />

der an gewandten Neuroethik definieren, der sich<br />

mit Handlungen auseinandersetzt, deren primä res<br />

Ziel es sei, den „phänomenalen Inhalt“ der geistigen<br />

Zustände empfindungsfähiger We sen in eine bestimmte<br />

Richtung zu verändern. Metzinger stellt<br />

hier einen Bezug <strong>zum</strong> aufklärerischen Ansatz Kants<br />

her, insofern, dass wir auf der Basis unseres neuen<br />

Wissens über Denkvorgänge neue Ansätze <strong>zum</strong> Ideal<br />

der Selbsterkenntnis entwickeln könnten, was uns<br />

dem Ziel der Aufklärung „Ausgang des Men schen<br />

aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ näher<br />

bringe (Metzinger in Gehirn&Geist 6/2006). Er stellt<br />

die Frage, wie es denn möglich sei, dass „Bewusstsein“,<br />

„bewusstes Erleben“ in einem physikalischen<br />

Universum entstehen konnte. Das Rätsel des „Bewusstseins“,<br />

so Metzinger, impliziert zwingend auch<br />

die Frage nach dem „eigenen Bewusstsein“: „Das<br />

Problem ist damit auch ein Problem der Selbsterkenntnis“<br />

(Metzinger: Philosophie des Geistes 1, Einführung).<br />

Metzinger entwirft die „Selbstmodell-<br />

Theorie der Sub jektivität“. Er geht der Frage nach<br />

dem „Ich“ bzw. dem „Selbst“ nach. Das „Ich“ ist<br />

das Zentrum einer virtuellen Welt, die vom Gehirn<br />

erzeugt wird – also eine „Illu sion“. Die provokante<br />

Aussage „Niemand wird je geboren. Niemand stirbt<br />

je“ bringt diesen Ansatz deutlich <strong>zum</strong> Ausdruck.<br />

Das „phänomenale Selbst“ dient Metzinger als eine<br />

„theoretische Entität“, das „Selbst“ verweist auf<br />

kein Individuum im metaphysischen Sinne, ist keine<br />

„unwandelbare, ontologische Substanz“, sondern<br />

ein „dynamischer Vorgang“ eines „informationsverarbeitenden<br />

Systems“. Es ist lediglich der „Inhalt<br />

eines Selbstmodells“, das von dem System, „das<br />

es benutzt, nicht als Modell erkannt werden kann“,<br />

es ist „der Inhalt des bewussten Selbst“ (Metzinger:<br />

Being no one, Niemand sein. Das Selbst als Muster<br />

und Mythos, in: Philosophie des Geistes 2). Hier<br />

stellt sich insbesondere auch die Frage nach der<br />

Willensfreiheit des Menschen, also danach, ob und<br />

inwiefern wir von unserem Gehirn determiniert sind<br />

Erkenntnistheorie – Philosophie des Geistes 97

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