15.01.2014 Aufrufe

handreichung zum lehrplan leistungskurs philosophie

handreichung zum lehrplan leistungskurs philosophie

handreichung zum lehrplan leistungskurs philosophie

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Neben der Not entsteht Kultur also aus dem triebhaften<br />

Bedürfnis des Menschen, sich zu immer größeren<br />

Einheiten zusam menzuschließen. Triebverzicht<br />

und Triebsublimierung fordert gerade deshalb die<br />

Kultur vom Menschen, der neben „Eros“ von „Thanatos“<br />

in seinem Handeln beeinflusst wird. Um die<br />

Macht des „Thana tos“ einzudämmen, der in der nach<br />

außen gewendeten Form als Aggressionstrieb Kultur<br />

be droht und in Frage stellt, bedarf es eines Kultur-<br />

Über-Ichs, das sich im Über-Ich der Indivi duen spiegelt<br />

und deren Handeln bestimmen soll. Der Einzelne ist<br />

mit solchen Ansprüchen der Kultur überfordert, da<br />

der Mensch nicht über die „unumschränkte Herrschaft<br />

über sein Es“ verfügt; er droht neurotisch zu werden,<br />

unglücklich, weil er den Ansprüchen des Kultur-Über-<br />

Ichs nicht gerecht werden kann. Aufgrund der Autoaggression<br />

des nach innen ge richte ten Aggressionstriebs<br />

– der dem Über-Ich, das dadurch erst Gewissen wird,<br />

die Kraft verleiht, das durch Triebverzicht dynamisch<br />

wachsende „Schuldgefühl“ des Menschen hervorzurufen<br />

– lebt der Mensch in einer dauernden, unbewussten<br />

„Angst vor dem Über-Ich“, das als „Unbehagen“<br />

empfunden wird. Mög lich ist das Schuldgefühl überhaupt<br />

erst durch die „erotische Bindung an das Über-<br />

Ich“, die wiederum zu rückverweist auf die Genese des<br />

Über-Ichs in der Auseinandersetzung mit der Autorität<br />

der Vä ter, die wir zugleich lieben und hassen. In dieser<br />

Auseinandersetzung ist psy choanalytisch eine Urschuld<br />

(Ödipuskomplex) des Menschen zu verorten.<br />

Bemerkenswert sind auch Freuds Aus führungen zur<br />

Technik des Menschen, die von Freud ambivalent<br />

be wertet wird. Sie verheißt dem Menschen einerseits<br />

die Herrschaft über die Natur, macht ihn aber andererseits,<br />

da er selbst in Abhängigkeit von der Technik<br />

gerät, zu einem „Pro thesengott“.<br />

In Arnold Gehlens Anthropologie kommt der Mensch,<br />

den er in Anlehnung an Max Scheler als „weltoffenes“<br />

und von daher reizüberflutetes „Mängelwesen“ definiert,<br />

ohne Kultur und Zivili sation nicht aus. Den<br />

„Institutionen“ der Gesellschaft kommt die Aufgabe<br />

zu, dem Individuum Sinnorientierung zu geben und<br />

sein Überleben zu gewährleisten (Arnold Gehlen:<br />

Anthropologi sche Forschung). Die in Streitgesprächen<br />

öffentlich ausgetragene Kontroverse zwischen<br />

Arnold Gehlen und Theodor W. Adorno spiegelt<br />

die unterschiedlichen Standpunkte wider: Kulturwürdigung<br />

auf Seiten Gehlens, Kultur- und Gesellschaftskritik<br />

von Seiten Adornos. Dieser konstatiert<br />

in der Dialektik der Auf klärung und in Negative Dialektik<br />

Entfremdungen, in die die Geschichte das Individuum<br />

hinein manövriert hat: etwa die Entfremdung des<br />

auf Herrschafts ansprüche ausgehenden Subjektes<br />

von der Natur, die Ohnmacht des Menschen innerhalb<br />

ökonomischer Zwänge in der modernen Industriegesellschaft,<br />

seiner Degradierung <strong>zum</strong> blo ßen Konsumenten<br />

innerhalb der Konsum gesellschaft. Adorno<br />

konstatiert im Dialog mit Gehlen eine zunehmende<br />

Verselbstständigung der Institutionen und ihrer Machtfülle<br />

– besonders in der Wirtschaft und Verwaltung.<br />

Gehlen betont, dass die Institutionen „den Menschen<br />

vor sich selbst schützen“; sie bändigen seine latent vorhandene<br />

„Verfallsbereitschaft“. Für Adorno findet sich<br />

der Einzelne einer bedrohlichen „Maschinerie“ von<br />

Institutionen ausgeliefert, die seine Autonomie in<br />

Frage stellen, seine Ver wirklichung verhindern; aufgrund<br />

der psychoanalytisch erklärbaren Identifikation<br />

mit dem Ag gressor forciert diese Situation des Menschen<br />

sogar die Unterwerfung unter die „Unheil“<br />

brin genden Machtstrukturen. Mit dem Festhalten<br />

an der Idee der Autonomie des gesellschaftlichen<br />

Subjektes handelt sich Adorno von Seiten der realistischen<br />

Per spektive Gehlens den Vorwurf ein, einen<br />

utopischen Standpunkt zu vertreten, der zudem die<br />

Gefahr berge, den Menschen „mit dem bisschen unzufrieden<br />

zu machen, was ihm aus dem ganzen katastrophalen<br />

Zustand noch in den Händen geblieben ist“.<br />

3. Begründung der modernen philosophischen<br />

Anthropologie im 20. Jahrhundert<br />

Max Scheler und Helmuth Plessner, die als Begründer<br />

der modernen philosophischen An thropologie<br />

im 20. Jahrhundert gelten, fühlen sich der phänomenologischen<br />

Methode ver bun den. Für beide ist<br />

die philosophische Anthropologie zentrale Disziplin<br />

der Philosophie, für Scheler Fundamentaldisziplin.<br />

Sowohl Scheler als auch Plessner berücksichtigen<br />

in ihrer Anthropologie die zeitgenössischen Erkenntnisse<br />

der empirischen Wissenschaften, ins beson dere<br />

der Biologie. Beide Autoren verbinden mit philosophischer<br />

Anthropologie aber den Gedan ken, dass<br />

eine Wissenschaft, die das Mensch-Sein erfassen<br />

will, nicht ausschließlich empirisch ausgerichtet sein<br />

darf, also einen apriorischen Kern beinhalten muss.<br />

Anthropologie 39

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!