15.01.2014 Aufrufe

handreichung zum lehrplan leistungskurs philosophie

handreichung zum lehrplan leistungskurs philosophie

handreichung zum lehrplan leistungskurs philosophie

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Objektivität). Für die Konstruktivisten ergeben sich<br />

daraus gesellschaftliche, politische und kulturelle<br />

Konsequenzen. Für Paul Watzlawick erhält der Begriff<br />

der „Ver antwortung“ eine neue Bedeutung, und zwar<br />

insofern, dass sich mit der konstruktivistischen Denkweise<br />

die Toleranz gegenüber „Wirklichkeiten anderer“<br />

entwickelt; der Einzelne über nimmt Verantwortung<br />

für die Wirklichkeit, die er selbst konstruiert, und<br />

kann sie nicht ande ren „in die Schuhe schieben“ (Paul<br />

Watzlawick: Die Unsicherheit unserer Wirklichkeit).<br />

Heinz von Foerster ergänzt den Begriff Verantwortung<br />

im konstruktivistischen Sinne dahin gehend,<br />

dass das „beliebte Gesellschaftsspiel, sich der Verantwortung<br />

zu entziehen“, brü chig wird: Die Berufung<br />

auf „Umwelt“ (Behaviorismus) oder „Gene“ (Soziobiologie)<br />

greift nicht mehr, und auch „die genialste<br />

Strategie“, sich der Verantwortung zu entziehen –<br />

„die Berufung auf Objektivität“ – wird damit obsolet.<br />

Die Trennung des Beobachters vom Beobachteten<br />

kann nicht mehr vorausgesetzt werden (Heinz von<br />

Foerster: Entdecken oder erfinden. Wie lässt sich<br />

Verstehen verstehen?).<br />

Das Interesse an empirischen Daten und Theorien<br />

hat im 20. Jahrhundert durch Psycho linguistik und<br />

Neurowissenschaften die erkenntnistheoretische Reflexion<br />

entscheidend be reichert und zu einem neuen<br />

Aufschwung innerhalb der Philosophie des Geistes<br />

geführt. Die Flut von Veröffentlichungen zur aktuellen<br />

Auseinandersetzung der Philosophie des Geistes mit<br />

experimentellen und empirischen Wissenschaften<br />

zeigt den Versuch, mit neuen Begrifflichkeiten neu<br />

gewonnene Einsichten darzulegen. Die Neurowissenschaften<br />

greifen, wie Olaf Breidbach in seiner<br />

Schrift Die Materialisierung des Ichs darlegt, ihrerseits<br />

auf eine „umfassende Tradition“ zurück, besonders im<br />

Hinblick auf Begriffe und Konzepte, und sie sind weit<br />

davon entfernt, mit ahistorischen Begriffen zu arbeiten.<br />

Die Herausforderung ergibt sich demnach einerseits<br />

daraus, dass Begriffe aus der Philosophie und<br />

naturwissenschaftli che Begriffe neu ausgehandelt<br />

werden müssen, und anderseits daraus, dass gängige<br />

Me thoden der einzelnen Wissenschaften in gemeinsamen<br />

Projekten sinnvoll zu verknüpfen oder gar völlig<br />

neu zu überdenken sind. Dabei ist zu berücksichtigen,<br />

dass inzwischen eine internationale Zusammenarbeit<br />

der Wissenschaften entstanden ist, sodass philosophische<br />

Texte <strong>zum</strong>eist in englischer Sprache verfasst<br />

werden. Daraus folgt, dass empirische Praxis und philosophische<br />

Metatheorie begrifflich eine Ebene finden<br />

müssen, um in ihrer Zusam menarbeit zu akzeptablen<br />

Lösungen zu kommen. So wird in aktuellen philosophischen<br />

Schriften von „mentalen Phänomenen“ gesprochen,<br />

im Gegensatz zu „physischen Phänomenen“.<br />

„Mental“ heißt in diesem Sinne also „nicht-phy sisch“.<br />

Peter Bieri erläutert in Analytische Philosophie des<br />

Geistes die Verwendung des Begriffs „mental“. Dieser<br />

umfasse „psychisch“, „geistig“, und „seelisch“. „Mental“,<br />

so Bieri, ist der Begriff, der „am wenigsten festgelegt“<br />

zu sein scheint, der weniger geläufig ist. So<br />

bietet er sich als „terminus technicus“ an, der alle<br />

Phänomene umfasst, die der ontologische Dua lismus<br />

als „nicht-physisch“ ansieht, z. B. ein breites Spektrum<br />

von „emotionalen Zuständen“ wie Zorn bis zu<br />

„kognitven Phänomenen“ wie Gedanken und Meinungen.<br />

Ein weiterer Grund liegt darin, dass in englischsprachigen<br />

Texten dieser Terminus gängig ist.<br />

3. Dualistische Erkenntnismodelle und das Leib-<br />

Seele-Problem<br />

Antike dualistische Erkenntnismodelle wie z. B. dasjenige<br />

des Platon gehen von einer klaren Trennung<br />

von Körper und Seele bzw. Geist aus. Im Gedankenexperiment<br />

des Höhlengleichnisses von Platon wird<br />

die Verknüpfung von Er kenntnis, Körper und Geist anschaulich<br />

dargelegt. Mit der Seele erkennt der Mensch.<br />

Diese ist immateriell, ihren Ursprung hat sie im Reich<br />

der Ideen, und nach dem Tod des Menschen kehrt sie<br />

auch dahin wieder zurück, um im Verlauf des kosmischen<br />

Kreislaufs von dort aus wieder ins Diesseits zu<br />

gelangen. Gefangen im Körper („soma/sema“) strebt<br />

sie nach Wahr heit („aletheia“), die sie im Reich der<br />

Ideen bereits schaute und im Eintritt ins Diesseits<br />

zu Teilen wieder vergisst (Platon: Politeia). Das Vergessen<br />

der Seele beim Eintritt in das irdi sche Leben<br />

beschreibt Platon sehr anschaulich in einem Rückgriff<br />

auf eine mythologische Erzählung in der Politeia: Hier<br />

wird das Vergessen der Seele in eine Symbolik des<br />

Wassers, des Flusses „lethe“, geleitet. Die im Diesseits<br />

angekommenen durstigen Seelen trinken aus dem<br />

Fluss „lethe“ und vergessen die in ihrer Präexistenz, in<br />

der „idea“ geschauten Wahrheiten. Martin Heidegger<br />

übersetzt „aletheia“ auf begriffsgeschichtlicher Basis<br />

mit „Unverborge nes“ (Martin Heidegger: Vom Wesen<br />

92<br />

Erkenntnistheorie – Philosophie des Geistes

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!