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handreichung zum lehrplan leistungskurs philosophie

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Erkenntnis und Interesse). Im technisch-wis senschaftlichen<br />

Denken drücke sich ein Herrschafts interesse<br />

aus, im hermeneutischen ein Ver ständigungsinteresse,<br />

im Denken der kriti schen Wissenschaft ein emanzipatorisches<br />

Interesse. Im herrschaftsfreien Diskurs<br />

wer den gesellschaftlich geltende Werte und Wahrheit<br />

verhandelt, eine Objektivität der Natur hat somit<br />

nur relative Gültigkeit innerhalb dieses Diskurses.<br />

Vittorio Hösle sieht in der Wissenschaftsgeschichte<br />

eine Zunahme des Herrschaftsanspruches des Menschen.<br />

Noch im antiken Denken sei das Verhältnis<br />

zwischen Mensch und Natur ein harmoni sches. Im<br />

Laufe der Wissenschaftsgeschichte werde Natur immer<br />

mehr durch den Herr schaftsanspruch der neuzeitlichen,<br />

von René Descartes initiierten Verabsolutierung<br />

des Sub jektes in radikaler Weise verdinglicht.<br />

Folge dieser Verdinglichung sei der Verlust des Eigenwertes<br />

von Natur, ihrer Würde, ihre Entzauberung<br />

zugunsten einer techni schen Kontrolle und Ausbeutung<br />

der Natur <strong>zum</strong> (vermeintlichen) Wohle des<br />

konsumierenden Menschen. Dieser Machtanspruch<br />

des Menschen führe nicht nur zur Zerstörung der<br />

Natur, sondern zu einer die Existenz der Menschheit<br />

bedrohenden ökologischen Krise (Vittorio Hösle:<br />

Philosophie der ökologischen Krise).<br />

5. Zum Begriff der Hermeneutik<br />

Wilhelm Dilthey sieht in seinem Werk Die Entstehung<br />

der Hermeneutik den Unter schied zwi schen Naturwissenschaften<br />

und Geisteswissenschaften in ihrer<br />

unterschiedli chen Methode be gründet. Naturwissenschaften<br />

erklären Vorgänge in der Natur, indem sie<br />

naturgesetzliche Zu sammenhänge erkennen. Geisteswissenschaften<br />

hingegen ver stehen den Sinn und<br />

die Sinn zusammenhänge von Zeichen: Texte, Kunstwerke,<br />

ge schichtliche Epochen sind traditionelle<br />

Gegenstände hermeneutischer Auslegung. Wäh rend<br />

das Verstehen Sinndeutung eines histo risch einmaligen<br />

Gegenstandes ist, zielt die Naturwissenschaft<br />

primär nicht darauf, die Indivi dualität eines Gegenstandes<br />

in den Blick zu nehmen, sondern intendiert<br />

die Erkenntnis allge meingültiger Gesetze. Die hermeneutische<br />

Vernunft sieht hingegen erst in einem<br />

zweiten Schritt das Individuelle als Repräsentant<br />

eines Allgemeinen, etwa ein bestimmtes Kunstwerk<br />

als reprä sentatives Beispiel einer Epoche. Bereits<br />

Friedrich Schleiermacher erkennt, dass Verstehen<br />

Einfühlung und Nacherleben des Fremdpsychischen<br />

voraussetzt. So können wir etwa Handlun gen einer<br />

Person verstehen, indem wir deren Handlungsgründe<br />

nachvollziehen, uns also in die andere Person hineinversetzen.<br />

Hans-Georg Gadamer macht darauf aufmerksam,<br />

dass bereits jeder Dialog komplexe Verstehensleistungen<br />

beinhaltet, ohne die er misslingen<br />

muss. Die Handlungen eines Menschen zu erklären,<br />

heißt hingegen, ihn <strong>zum</strong> „Objekt“ naturwissenschaftli<br />

cher Erkenntnis zu machen. Das hermeneutische<br />

Verstehen vollzieht sich dabei in einem zirku lären<br />

Prozess, weil der Bezug <strong>zum</strong> Ganzen im Verstehensprozess<br />

vorausgesetzt ist. Das Be sondere, etwa ein<br />

Gedicht des Barock, wird mit einem Vorverständnis,<br />

das der Interpret besitzt, in den Blick genommen,<br />

so dass das Besondere als Besonderes eines Ganzen<br />

wahrgenommen wird. Dieser Wech sel des Verstehens<br />

des Teils durch das Ganze und des Ganzen durch das<br />

Teil wird seit Dilthey als hermeneutischer Zirkel<br />

bezeichnet. „Wer einen Text verstehen will, vollzieht<br />

immer ein Entwerfen. Er wirft sich einen Sinn des<br />

Ganzen voraus, sobald sich ein erster Sinn im Text<br />

zeigt“, schreibt Hans-Georg Gadamer in Wahrheit und<br />

Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik<br />

(Grundzüge einer Theorie der hermeneutischen<br />

Erfahrung). Nach Gadamer setzt der hermeneutische<br />

Prozess ein „Darinstehen“ in der Tradition voraus und<br />

darf deshalb auch nicht als eine „Handlung der Subjektivität“<br />

missverstanden werden. Die „Sinnerwartung“<br />

des Verstehenden geschieht aus einer Haltung<br />

heraus, die bereit ist, „sich etwas sagen zu lassen“.<br />

Ziel des Verstehensprozesses ist die „Teilhabe am<br />

gemeinsamen Sinn“, der im Dialog mit der Tradition<br />

aufscheint und in der „Horizontverschmelzung“<br />

erfahren wird.<br />

In Anlehnung an Royce formuliert Karl-Otto Apel,<br />

dass „Verstehen nicht als Konkurrenzunternehmen <strong>zum</strong><br />

Erklären verstanden werden darf, sondern eher als ein<br />

kognitives Komplementärphänomen zur szientifischen<br />

Erkenntnis objektiver Tatsachen“. Beide Phänomene<br />

müssten im Sinne einer „semiotisch transformierten<br />

Transzendental<strong>philosophie</strong>“ als Kommunikationshandlungen<br />

gedeutet werden, denen ein Interesse<br />

an „Sinnverständigung“ zu Grunde lägen. Regulatives<br />

Prinzip der intendierten Sinnverständigung sei das<br />

Apriori der „unbegrenzten Interpretationsgemeinschaft“,<br />

das jeder, der argumentiere, als „ideale Kon-<br />

78<br />

Wissenschafts<strong>philosophie</strong> – Natur<strong>philosophie</strong>

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