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Erzählungen und Berichte aus, von und über Bernhardsthal

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Luis Raffeiner<br />

„Die Toten tun uns nichts“<br />

<strong>Erzählungen</strong> <strong>aus</strong> <strong>und</strong> <strong>über</strong> <strong>Bernhardsthal</strong><br />

Ich war einer <strong>von</strong> r<strong>und</strong> 170.000 Mann, die hier in Deutschbrod gefangen waren. An organisierte<br />

Verpflegung war angesichts dieser enormen Menschenmenge nicht zu denken. Hätte ich geahnt,<br />

was auf mich zukommen würde, hätte ich das Säckchen Kleie, das ich bei einem R<strong>und</strong>gang am<br />

Flughafen in einem Fiaker entdeckt hatte, nicht so achtlos liegen lassen. Später dachte ich mit<br />

großer Reue daran.<br />

Es ging bald das Gerücht um, dass die Österreicher freikommen würden. Es gab sogar ein eigenes<br />

Komitee, <strong>und</strong> es wurde veranlasst, dass sie sich in H<strong>und</strong>ertschaften zu versammeln hatten. Aus den<br />

herumliegenden Flugzeugen wurden die Hakenkreuzfahnen her<strong>aus</strong>geholt: Dar<strong>aus</strong> wurden rot-weißrote<br />

Fahnen gemacht, an einem Stock befestigt, <strong>und</strong> jede H<strong>und</strong>ertschaft bekam nun eine solche<br />

österreichische Fahne. Insgesamt waren an die 1.800 Österreicher im Gefangenenlager. Die H<strong>und</strong>ertschaften<br />

wurden in drei Kompanien aufgeteilt. Jede Kompanie legte den Russen eine Namensliste<br />

mit Herkunftsort <strong>und</strong> der Information vor, wohin jeder einzelne der Soldaten zu gehen gedenke.<br />

Wir mussten nicht lange warten. Die Russen erteilten meiner Kompanie, 500 Mann, die Genehmigung<br />

loszumarschieren. In lglau verbrachten wir einen ganzen Tag auf einem Hang in der<br />

prallen Sonne. Ich teilte mir mein Brot sorgfältig in kleine Rationen ein, denn es gab keine Verpflegung.<br />

Wir kamen als Nächstes nach Brünn.<br />

Es war schon Ende Mai, als ich mit meinem Kameraden Hans Bachlechner <strong>aus</strong> dem Osttiroler<br />

Defereggental in einem Granattrichter saß <strong>und</strong> wir dar<strong>über</strong> nachgrübelten, wie wir uns etwas zu<br />

essen beschaffen könnten. Er saß da <strong>und</strong> weinte, weil man ihm <strong>über</strong> Nacht seinen Laib Brot, den<br />

einzigen Essensvorrat, gestohlen hatte. Ich gab ihm <strong>von</strong> meinem spärlichen Vorrat, <strong>und</strong> wir vereinbarten,<br />

dass wir alles teilen <strong>und</strong> uns auch sonst gegenseitig helfen würden. Plötzlich fiel mein Auge<br />

auf ein Gebäude, das wie ein Lazarett <strong>aus</strong>sah. Ich wusste, dass es dort sogenannte Teeküchen gab.<br />

Da drinnen konnte ich etwas Essbares finden. Vor dem Gebäude wachte ein russischer Posten - im<br />

geeigneten Moment schlich ich mich jedoch hinein. Das Lazarett war leer, <strong>und</strong> in der Teeküche<br />

fand ich außer ein paar Teebeutelehen nichts. Nun musste ich mich zurück zu meiner Kompanie<br />

beeilen, sonst wären sie ohne mich weitermarschiert. Plötzlich stieg mir der unverkennbare Geruch<br />

<strong>von</strong> gekeimten Kartoffeln in die Nase. Er kam vom Kellerschacht herauf, an dem ich gerade vorbeigegangen<br />

war. Ich hielt also meinen Kopf in den Schacht, wartete ein wenig, bis sich meine<br />

Augen an das Dunkel des Kellers gewöhnt hatten, <strong>und</strong> sah meine Vermutung bestätigt. Nun suchte<br />

ich mir schnell einen Behälter <strong>und</strong> ließ mich dann <strong>über</strong> die Kohlerutsche in den Keller hinunter.<br />

Rasch klaubte ich ein paar schrumplige Kartoffeln in den kleinen zerbeulten Blechkübel <strong>und</strong> wäre<br />

beinahe nicht mehr <strong>aus</strong> dem hoch gelegenen Schachtloch her<strong>aus</strong>gekommen. Nur unter größter<br />

Anstrengung konnte ich mich hochziehen.<br />

Als ich zur Kompanie zurückkam, flüsterte ich Hans ins Ohr, dass er Feuer machen sollte. Er hatte<br />

glücklicherweise noch Streichhölzer, die er in einer Folie verpackt hatte. Jeder Gefangene trug<br />

neben Kochgeschirr, in der Regel eine Blechdose, auch ein kleines Bündel Reisig bei sich. Hatte<br />

man etwas Essbares gef<strong>und</strong>en, konnte man es sofort kochen, ohne Aufsehen zu erregen. Zubereitung<br />

<strong>und</strong> Verzehr erfolgt so unauffällig wie möglich, um sich vor M<strong>und</strong>raub zu schützen. Hans<br />

machte ein bescheidenes Feuerchen, ich schichtete drei Kartoffeln mit ein wenig Wasser in die<br />

Büchse, <strong>und</strong> voller Vorfreude warteten wir auf die Mahlzeit. Nach der kleinen Stärkung kam auch<br />

schon der Befehl zum Weitermarschieren.<br />

Wir kamen bald durch ein Waldstück, neben dem ein Bach floss, <strong>über</strong> den in Abständen immer<br />

wieder kleine Brücken führten. Mein Kumpel Hans <strong>und</strong> ich beschlossen, uns <strong>von</strong> der Kompanie<br />

abzusondern <strong>und</strong> uns allein durch die Wälder zu schlagen. Dadurch erhofften wir uns eher die<br />

Freiheit zu erlangen. Zu unserem Pech kam uns ein russischer Posten in die Quere, der eine andere<br />

Kompanie begleitet hatte <strong>und</strong> sich auf dem Rückweg befand. Er hatte ein Maschinengewehr bei<br />

sich <strong>und</strong> forderte uns auf, stehen zu bleiben. Danach säckelte er uns <strong>aus</strong>, fand aber nichts. Als ich<br />

bemerkte, dass er sein Maschinengewehr in Anschlag nahm, um uns zu erschießen, schrie ich<br />

verzweifelt mit abwehrenden Händen: „Stoi pan!“ Das bedeutete „Halt Mann!“. Ich hatte doch<br />

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