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Erzählungen und Berichte aus, von und über Bernhardsthal

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<strong>Erzählungen</strong> <strong>aus</strong> <strong>und</strong> <strong>über</strong> <strong>Bernhardsthal</strong><br />

Grenze. Weil dort garantiert russische Grenzposten waren, schlugen wir einen Feldweg ein <strong>und</strong><br />

kamen marschierend in das erste österreichische Dorf <strong>Bernhardsthal</strong>. Kurz vorher hatten wir ein<br />

Hinweisschild passiert, dass Mistelbach bei Wien 30 Kilometer entfernt lag. Wir marschierten<br />

ordentlich mit der Fahne an der Spitze durch das Dorf <strong>und</strong> mussten feststellen, dass dieses vollkommen<br />

in russischer Hand war. Einheimische trugen weiße Armbinden. Gegen 17 Uhr, wir hatten<br />

das Dorf ungescholten durchquert <strong>und</strong> befanden uns auf freiem Feld, machten wir endlich die erste<br />

P<strong>aus</strong>e. Der Feldwebel mahnte uns, dass wir uns hier nicht lange aufhalten sollten, das war zu<br />

gefährlich. Außerdem riet er uns weder nach Salzburg noch nach Wien zu gehen <strong>und</strong> mindestens zu<br />

zweit, aber maximal zu fünft zu marschieren. Der Feldwebel war ein Pf<strong>und</strong>skerl, abschließend gab<br />

er auch noch Hinweise, wie wir uns an den Sternbildern am Nachthimmel orientieren konnten.<br />

Als der Feldwebel uns gerade die letzten Anhaltspunkte gab, hörten wir Geräusche. Es waren an die<br />

40 tschechische Polizisten, die auf klapprigen Fahrrädern daherrollten. Mit den Gewehren im<br />

Anschlag befahlen sie uns, die Hände hochzunehmen <strong>und</strong> fragten nach dem Führer der Truppe.<br />

Unser Feldwebel meldete sich sogleich <strong>und</strong> erklärte hartnäckig, er hätte die Aufgabe, uns nach<br />

Wien zu bringen. Aber es half nichts: Wir mussten zurück nach <strong>Bernhardsthal</strong>. Dort wurde unser<br />

Feldwebel <strong>über</strong> eine St<strong>und</strong>e lang <strong>von</strong> den Russen in die Mangel genommen, wie er uns später<br />

berichtete. Wir bettelten inzwischen bei der einheimischen Bevölkerung um etwas Essbares. Ich<br />

werde die Gutherzigkeit dieser Leute nie vergessen. Die letzten eingemachten Büchsen <strong>und</strong> Vorräte<br />

holten sie für uns <strong>aus</strong> dem Keller. Die Familie, bei der ich bettelte, stellte noch rasch einen Saukessel<br />

voll Kartoffeln auf, <strong>und</strong> wir konnten uns nach Langem wieder einmal satt essen.<br />

Dann kam auch schon der uns bekannte russische Befehl zum Aufbruch, <strong>und</strong> wir mussten den Weg,<br />

der uns beinahe in die Freiheit geführt hätte, wieder zurückgehen. Um Mitternacht waren wir in<br />

L<strong>und</strong>enburg angekommen. Gerne hätten wir uns hier <strong>aus</strong>geruht, wir waren vom Regen durchnässt.<br />

Stattdessen bekamen wir ein paar kräftige Arschtritte <strong>und</strong> mussten noch drei St<strong>und</strong>en weitermarschieren.<br />

Es hatte zwar aufgehört zu regnen, wir waren aber nass bis auf die Haut. Die Nacht war<br />

kalt, <strong>und</strong> wir bekamen schlimmen Schüttelfrost. Um drei Uhr in dieser Nacht kamen wir in ein<br />

Städtchen. Wenn wir jetzt kein trockenes Plätzchen fanden, dann gingen wir drauf, das war uns<br />

klar. Sogleich machten wir uns auf die Suche. Bald entdeckten wir ein stattliches Gebäude mit<br />

Arkaden, das erst vor Tagen abgebrannt sein musste.<br />

In das Gebäude führten Stufen hinab, <strong>über</strong>all kauerten Soldaten. Wir sahen etwas tiefer unten einen<br />

kleinen Lichtschein. Wir arbeiteten uns vor, stiegen <strong>über</strong> die Körper der Ruhenden <strong>und</strong> sahen auf<br />

einem Fenstersims eine Kerze stehen, die das Umfeld schwach erleuchtete. Überall lagen Soldaten<br />

wie die Heringe aneinandergereiht, es schien alles <strong>über</strong>füllt zu sein. Da fiel unser Blick in eine<br />

Ecke, in der sich niemand befand. Wir steuerten auf das Plätzchen zu <strong>und</strong> entdeckten, dass sechs<br />

oder sieben verkohlte Leichen dort lagen. Ich sagte zu meinem Kameraden: „Du Hans, das sind nur<br />

verkohlte Leichen, die Toten tun uns nichts!“ Daraufhin ebneten wir ihre Überreste ein wenig ein<br />

<strong>und</strong> legten uns in die noch warme Asche. So verbrachten wir dankbar die Nacht darin. Die Verbrannten<br />

retteten uns damals wahrscheinlich das Leben.<br />

Luis Raffeiner, Wir waren keine Menschen mehr.<br />

Erinnerungen eines Wehrmachtssoldaten an die Ostfront. Aufgezeichnet <strong>von</strong> Luise Ruatti.<br />

Bozen, Edition Raetia 2010. 229 Seiten, mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen,<br />

ISBN 978-88-7283-372-8.<br />

Luis Raffeiner kam 1917 in Karth<strong>aus</strong> im Südtiroler Schnalstal zur Welt. 1939 optierte er für<br />

Deutschland <strong>und</strong> wurde in die Wehrmacht <strong>über</strong>stellt. Als Panzerwart einer Sturmgeschützabteilung<br />

zog er 1941 in den Krieg gegen Russland. Nach der Gefangenschaft in Georgien kam Raffeiner<br />

völlig kaputt <strong>und</strong> <strong>aus</strong>gebrannt nach Südtirol zurück <strong>und</strong> widmete sich einem heftigen Aufbau- <strong>und</strong><br />

Arbeitsprogramm als Selbsttherapie.<br />

Seite 29

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