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Erzählungen und Berichte aus, von und über Bernhardsthal

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<strong>Erzählungen</strong> <strong>aus</strong> <strong>und</strong> <strong>über</strong> <strong>Bernhardsthal</strong><br />

Die Russen heiraten sehr jung!<br />

Die Jugend, die meistens sehr jung heiratet, unterhält sich in kleineren <strong>und</strong> größeren Gruppen, mit<br />

der Garmoschka 81 spielend <strong>und</strong> singend durch die Gassen gehend, oder irgendwo eine Tanzunterhaltung<br />

zu veranstalten, da während des Krieges in Russland Alkoholverbot war <strong>und</strong> die Gasthäuser<br />

gesperrt waren.<br />

Die mittlere Generation machte 2 – 3 Tage ihr Vergnügen, indem sie <strong>aus</strong> vergorener Körnerfruchtmaische<br />

am Feld einige Liter Schnaps 82 brannten <strong>und</strong> dazu einige köstliche Speisen zubereiteten,<br />

wobei sich – bis 4 Familien zusammentaten. Bei einer wurde mit Essen, Trinken <strong>und</strong> Singen<br />

begonnen. Dann fuhr man mit dem Schlitten singend <strong>und</strong> johlend durch die Gassen <strong>und</strong> kehrte beim<br />

nächsten wieder ein. Man brauchte das, um <strong>aus</strong> der Eintönigkeit her<strong>aus</strong>zukommen <strong>und</strong> um alte oder<br />

neue Fre<strong>und</strong>schaft wieder aufzufrischen.<br />

Als wieder Frühling ins Land zog, es war April 1919, hatte ich wieder Sehnsucht nach Wanderschaft.<br />

Diesmal tat mein Weggenosse nicht mit. Er war im Winter <strong>von</strong> den Zimmerleuten zu einem<br />

Filzstiefelmacher gegangen, wo er in einem warmen Baderaum die Schafwolle <strong>von</strong> den Wollknötchen<br />

befreite, indem er auf einer stark gespannten Darmsaite, die er durch Zupfen zum Vibrieren<br />

brachte, ganz kleine Mengen darauf fallen ließ <strong>und</strong> dadurch die Wolle aufkraulte.<br />

Man braucht zu einem Paar Filzstiefel ca. 8 kg Wolle, die der Meister auf einen Leisten auflegt<br />

<strong>und</strong> dann in einem Kessel kochen lässt. Diesen fertigen Filzstiefel trägt man bei trockener Kälte ein<br />

bis zwei Winter ohne Lederbesetzung.<br />

Dann lässt die Festigkeit etwas nach <strong>und</strong> der halbe Tritt wird mit Leder besetzt <strong>und</strong> bei etwas<br />

geringerer Kälte getragen.<br />

Mein Kumpel tat nicht mit, indem er sagte, er sei durch die Wärme stark verwöhnt <strong>und</strong> habe<br />

keine warme Kleidung. Er kann es nicht riskieren. Ich ging dann allein. Ich war die Kälte gewohnt<br />

<strong>und</strong> hatte auch dementsprechend die Kleidung, da der April für mich keine Kälte mehr war.<br />

Da aber der April tut was er will, gab es doch drei Tage recht grimmige Kälte, wo mir doch ein<br />

bisschen bang wurde. Und noch eines möchte ich hierzu bemerken, mein Kumpel schrieb mir als<br />

ich schon zu H<strong>aus</strong>e war. Da erfuhr ich, dass er früher zu H<strong>aus</strong>e war als ich.<br />

Das zweite Mal auf Wanderschaft!<br />

Ich ging <strong>von</strong> der Ortschaft wo ich gearbeitet habe, nämlich <strong>von</strong> Orsinov, auf die Bahnstation Kainsk<br />

an der Transsibirischen Eisenbahn zu, wo mir ein Bauer, bei dem ich um Essen bat, sagte, ich soll<br />

ihm zwei, drei Tage bei der Arbeit helfen, dann hat er ein Fuhrwerk in der Stadt zu machen. Und,<br />

wie üblich, mit vier, fünf Pferden, <strong>und</strong> er hat keinen Mitfahrer. Zurück brauche er mich nicht mehr,<br />

da die Pferde heimzu den Weg nicht verlassen.<br />

Und dabei blieb es. So fuhren wir mit der Frucht in die Stadt. Er kutschierte vorne, ich als der<br />

Hintermann. Da waren mehrere Bauern mit derselben Ladung in die Stadt unterwegs. Doch in der<br />

Stadt wurden sie in verschiedene Richtungen dirigiert.<br />

Wir kehrten in ein H<strong>aus</strong> ein wo reges Leben zu sein schien. Da der Bauer noch anderweitig zu<br />

tun hatte, dachte ich mir, sch<strong>aus</strong>t einmal in dem H<strong>aus</strong> nach, was da eigentlich vor sich geht. Die<br />

Türen waren <strong>über</strong>all offen, ich sah meistens nur jüngere <strong>und</strong> ältere Frauen hin <strong>und</strong> hergehen, doch<br />

ich konnte mir keinen Reim dazu machen.<br />

Im Freudenh<strong>aus</strong>!<br />

Eine ältere Frau, die aber noch ein hübsches, jugendliches Aussehen hatte, es war die Küche bei der<br />

ich stand, <strong>und</strong> diese Frau schien hier eine führende Rolle zu spielen. Sie fragte mich, ob ich Zeit<br />

habe <strong>und</strong> ob ich nicht, sie zeigte auf ein Mädchen, mit ihr <strong>aus</strong> dem Keller Kartoffeln holen wollte.<br />

So ging ich mit ihr <strong>und</strong> holten diese. Wir füllten sie in einen Sack, sie sagte nichts <strong>und</strong> ich auch<br />

nichts. So stellten wir die Kartoffeln ab <strong>und</strong> ich ging wieder hin<strong>aus</strong> zum Schlitten. Nachdem ich<br />

noch eine zeitlang dem Treiben zusah wusste ich, es war ein Freudenh<strong>aus</strong>.<br />

81 Garmoschka (russ. гармошка) ist die russische Bezeichnung für ein Knopfakkordeon.<br />

82 Wodka.<br />

Seite 96

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