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Erzählungen und Berichte aus, von und über Bernhardsthal

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<strong>Erzählungen</strong> <strong>aus</strong> <strong>und</strong> <strong>über</strong> <strong>Bernhardsthal</strong><br />

Es gab bei den Bolschewiken ganze deutsche Regimenter mitsamt ihrem Hauptmann. Manche<br />

Russen behaupteten: „Hätten wir nicht die Kriegsgefangenen, wir Russen wären schon lange einig,<br />

denn wir sind kriegsmüde!“ Die Bolschewiken sagten aber zu den Deutschen <strong>und</strong> Ungarn auch:<br />

„Kämpft mit uns <strong>und</strong> kämpft euch den Weg in die Heimat frei! Wir sind die Armee, die euch die<br />

Freiheit gibt!“ Begegnete man Kriegsgefangenen, die in der Roten Armee gekämpft hatten, so<br />

musste man trachten, ihnen <strong>aus</strong>zuweichen, denn sie drückten einem förmlich die Waffen in die<br />

Hand!<br />

Folgende Verse, die ich mir selbst zusammengereimt hatte, sind mir <strong>aus</strong> jener Zeit noch in Erinnerung<br />

geblieben:<br />

„Es schlagen sich im Kunterbunt<br />

Nationen schon den Schädel w<strong>und</strong>.<br />

Der Russ, Mongole <strong>und</strong> Tatare,<br />

der Tscheche, Deutsche <strong>und</strong> Magyare!<br />

Und jeder kämpft nach seiner Facon<br />

<strong>und</strong> keiner kennet einen Pardon,<br />

<strong>und</strong> schreit: Willst Du nicht mein Bruder sein,<br />

so hau ich dir den Schädel ein!“<br />

Die Bolschewiken hatten Unmengen <strong>von</strong> Propagandamaterial <strong>und</strong> viele Propagandaredner, besonders<br />

attraktive Frauen <strong>und</strong> Mädchen, die <strong>von</strong> der Partei geschult wurden. Die Jugend war <strong>von</strong> dem<br />

Neuen, das auf sie zukam, begeistert!<br />

Hatten die Kaiserlichen ein Gebiet besetzt, so verwendeten sie als Zahlungsmittel die alten russischen<br />

Rubel. Reichten diese nicht <strong>aus</strong>, so druckten sie Papiergeld dazu. Die Bolschewiken dagegen<br />

hatten ihr eigenes Geld. Bezahlt wurde sowohl <strong>von</strong> der Kaiserlichen als auch <strong>von</strong> den Bolschewiken<br />

alles. Allerdings nahm die Weiße Armee das Geld der Bolschewiken nicht an, <strong>und</strong> die Bolschewiken<br />

nahmen das Geld der Kaiserlichen nicht an. So kam es vor, dass man in der Zeit der Besetzung<br />

durch eine Armee viel Geld hatte. Besetzte aber jetzt die Gegenseite das Gebiet, so konnte man für<br />

das Geld nichts kaufen, denn es hatte seine Gültigkeit verloren. Die Bolschewiken pflegten zu<br />

sagen: „Geld haben wir genug, Papier aber zuwenig!“<br />

Bis zum Juni 1918 hatte der Bürgerkrieg in Sibirien noch keine Spuren hinterlassen, <strong>und</strong> es gab<br />

auch noch genug zu essen. Es gab hier übrigens nur Frauen, Kinder <strong>und</strong> Greise. Alle Wehrfähigen<br />

waren ja eingerückt. Die drei Jahre Krieg <strong>und</strong> die andauernde Revolution hatten die Gemüter<br />

reichlich abgekühlt. Es kam zwar zu gelegentlichen kurzen Partisanenkämpfen, die sporadisch da<br />

oder dort aufflammten <strong>und</strong> rasch wieder erloschen. Meist handelte es sich dabei um ehemalige<br />

Frontsoldaten, die sich zwar als Feinde der Deutschen fühlten, aber mit den Bolschewiken sympathisierten<br />

<strong>und</strong> zeitweise in ihrem Heimatdorf auf ihren Bauernhöfen arbeiteten. Man muss sich vor<br />

Augen halten, dass in Russland die Sippe bzw. Großfamilie noch ihre Bedeutung hatte <strong>und</strong> daher<br />

die Eltern, solange sie rüstig waren, als Oberhaupt anerkannt wurden. War einer der Söhne nicht da,<br />

so fiel das nicht sonderlich ins Gewicht; ihre Arbeit besorgten eben die andern Brüder, deren Frauen<br />

<strong>und</strong> Schwägerinnen. Es fiel zwar auf, wenn ein <strong>von</strong> der Front Heimgekehrter teils zu H<strong>aus</strong>e arbeitete,<br />

teils wieder für einige Zeit verschwand. Es bestand auch wohl der Verdacht, er könnte bei<br />

solchen Kämpfen beteiligt sein, aber Beweis hatte man dafür keinen. Aber auch wenn man es<br />

beweisen hätte können, wäre es unmöglich gewesen, etwas dagegen zu unternehmen. Denn wenn<br />

man da<strong>von</strong> Kenntnis bekam, war schon wieder alles zu Ende. Man verfolgte mit solchen Scharmützeln<br />

ja nur das Ziel, die Bevölkerung darauf aufmerksam zu machen, dass eine neue Ordnung im<br />

Kommen sei, <strong>und</strong> man sah auch, dass diese Taktik erfolgreich war.<br />

Langsam aber sicher schieden sich die Geister! So trug man in jede Familie den Keim des Zwiespalts,<br />

denn jedes Familienmitglied sympathisierte womöglich mit einer anderen Partei. Die Folge<br />

war, dass das Misstrauen in den Familien um sich griff: Es traute keiner dem andern, der Mann<br />

nicht der Frau, die Eltern nicht den Kindern, der Bruder nicht der Schwester! Dabei wusste man<br />

aber gar nicht, was in Wirklichkeit vor sich ging <strong>und</strong> wohin das alles führen sollte. Man bekam nur<br />

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