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Erzählungen und Berichte aus, von und über Bernhardsthal

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<strong>Erzählungen</strong> <strong>aus</strong> <strong>und</strong> <strong>über</strong> <strong>Bernhardsthal</strong><br />

<strong>Bernhardsthal</strong>er, ein gewisser Schlechtizky 47 , der Wagnermeister in unserem Ort war, vor kurzer<br />

Zeit als Invalide die Heimreise angetreten hatte, da er einen Fuß verlor.<br />

Es wäre bestimmt interessant gewesen, wenn man mehr Verbindung mit den hier schon länger<br />

Anwesenden gehabt hätte. Doch man konnte sich schon ein gewisses Bild beiläufig machen.<br />

Wir konnten <strong>von</strong> hier <strong>aus</strong> nach H<strong>aus</strong>e schreiben, selbstverständlich kurz <strong>und</strong> bündig, da alle<br />

Briefe zwei Zensuren durchlaufen mussten, <strong>und</strong> alles außer einem Gruß, der Zensur zum Opfer fiel.<br />

Wir waren hier <strong>von</strong> einem niederen Hügel eingeschlossen, doch auf den Hügel hinaufzugehen<br />

wurde uns nicht gestattet. Nur gegen Westen blieb ein schmaler Streifen offen, dort befand sich ein<br />

See mit einer Insel, die angeblich <strong>von</strong> <strong>aus</strong> Sibirien verbannten bewohnt wurde.<br />

Nach sechs Monaten Abschied <strong>von</strong> Beresowka!<br />

Wir blieben hier 6 Monate, bis Hälfte Oktober, Post hierher bekamen wir nicht. Man brachte uns ins<br />

Lager Troitskosawsk 48 , das war nach russischen Verhältnissen nicht weit vom ersten Lager, aber es<br />

stieß ganz an die Mongolei an. Es war hier nur Flugsand <strong>und</strong> gar kein Baumbestand. Die mongolische<br />

Stadt Chichta 49 war nur ca. 2 km entfernt. Es war noch ein Ausläufer der Wüste Gobi <strong>und</strong> es<br />

führte eine belebte Karawanenstraße neben unserer Kaserne vorbei.<br />

Es waren fünf <strong>aus</strong> Klinkerziegeln moderne Gebäude. Doch das Lager war zum Teil noch nicht<br />

ganz fertig. Hierher bekamen wir schon Post, Pakete <strong>und</strong> Geld <strong>von</strong> zu H<strong>aus</strong>e, <strong>und</strong> wir schrieben<br />

auch laufend <strong>und</strong> unser Empfinden machte eine positive Wendung um 180 Grad.<br />

Das Lagerleben im Lager Troitskosawsk!<br />

In einer Kaserne logierten russische Rekruten, die hier ihre Abrichtung machten. Ich holte mir öfter<br />

Brot bei ihnen, wenn ich Bedarf danach hatte. Ich denke, sie hatten es gerne, wenn ich mich so im<br />

Kauderwelsch mit ihnen verständigte. Wir hatten es im Winter schön warm hier, mit dem mit Holz<br />

geheizten Ofen, der einen Durchmesser <strong>von</strong> einem Meter <strong>und</strong> ca. zwei Meter hoch <strong>und</strong> gemauert<br />

war, <strong>und</strong> Holzscheiter in der Länge <strong>von</strong> 55 cm <strong>und</strong> dementsprechender Stärke waren, zum Heizen<br />

verwendet wurden.<br />

Auch das WC war warm. Durch einen kleinen Vorraum bei der Eingangstür, die sich auf der<br />

Stirnseite befand, kam die die Außentemperatur nicht direkt mit dem Wohnraum in Verbindung.<br />

Die Arbeiten waren geringfügig, nur im Hof etwas planieren. Eine Zeit lang, so ca. drei Wochen,<br />

gingen einige in einen Stenographie- oder Rechenkurs. Ich ging in einen Steno-Kurs. Dann<br />

wurde er wieder eingestellt. Eine Musikkapelle wurde <strong>von</strong> den Russen mit den Gefangenen zusammengestellt,<br />

indem die Russen die Instrumente herbeischafften <strong>und</strong> zur Mittagsst<strong>und</strong>e auf dem<br />

schon vorhandenen Podest, eine St<strong>und</strong>e, oft auch länger, die Märsche durch den Äther r<strong>aus</strong>chten.<br />

Die Lagerinsaßen sowie die auf der Karawanenstraße vorbeiziehenden Passanten an den Tönen<br />

l<strong>aus</strong>chten. Es gab hier alle Schattierungen. Männer wie Weiblein auf Kamelen reitend, in den<br />

feinsten Fiakerzeugeln, mit primitiven Ochsengespannen, in europäischer sowie in exotischer<br />

Bekleidung, sowie Mongolen <strong>und</strong> die weißen Rassen. Wir hatten die Fenster auf die Straße zu, da<br />

gab es immer ein abwechselndes Panorama. Das Wasser holten wir mit einem zweirädrigen Karren<br />

mit einem ca. dreih<strong>und</strong>ert Liter Fass <strong>aus</strong> einer Entfernung <strong>von</strong> 300 Meter, auf der Straße zwischen<br />

Kaserne <strong>und</strong> mongolischer Grenze. In diesem Flugsand gingen wir zu 5 – 6 Mann zum Ziehen <strong>und</strong><br />

Schieben mit.<br />

Da auch die verschiedenen Handwerker <strong>und</strong> auch feinere Berufe unter den Gefangenen waren,<br />

<strong>und</strong> <strong>aus</strong> primitiven Werkzeugen, zum Teil <strong>aus</strong> Kauf <strong>von</strong> Werkzeug <strong>und</strong> Material, verschiedene<br />

Souvenirs erzeugt wurden, die entweder durch Schau-Ausstellungen, die <strong>von</strong> den Russen veranstaltet<br />

wurden, reißenden Absatz fanden, oder so manches auf Bestellung erzeugt wurde. Oder wenn<br />

einer ein Souvenir zu vergeben hatte, ging er mit den Wasserfahrern mit <strong>und</strong> verkaufte es den<br />

vorbeiziehenden Passanten.<br />

47 Walter Schlechtitzky, Wagnermeister auf Schulstraße № 162.<br />

48 auch Troizkosawsk, 4 km nördlich der Grenze zur Mongolei, bei Kjachta (RU) <strong>und</strong> Maimatschin (MGL)<br />

49 Gemeint ist vermutlich die bereits erwähnte russische Stadt Kjachta (Kiachta).<br />

Seite 81

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