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Erzählungen und Berichte aus, von und über Bernhardsthal

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<strong>Erzählungen</strong> <strong>aus</strong> <strong>und</strong> <strong>über</strong> <strong>Bernhardsthal</strong><br />

wenig Zeitschriften in die Hand <strong>und</strong> hatte keine Ahnung, was man für wahr halten dürfe <strong>und</strong> was<br />

nicht. Weißes Zeitungspapier wurde übrigens nur selten verwendet, sondern meist braunes!<br />

Die Machtkämpfe im Jahre 1917 hatten mit dem Sieg Lenins <strong>und</strong> Trotzkis geendet <strong>und</strong> zum Sturze<br />

der Kerenski-Regierung geführt. Die Sieger begannen noch im selben Jahr mit Friedensverhandlungen,<br />

die dann im März 1918 zum Frieden <strong>von</strong> Brest-Litowsk führten. Der Bürgerkrieg in Russland<br />

ging allerdings weiter. Schön langsam hatte man alle wehrfähigen Männer wieder unter die Waffen<br />

bekommen <strong>und</strong> suchte nach <strong>und</strong> nach zu einer Armee der eigenen Gesinnung zu gelangen. Man<br />

schleuste einzelne Bolschewiken in die Reihen der Weißen Armee (der Kaiserlichen) ein, die dann<br />

bei Kämpfen Verwirrung in die Reihen der Kaiserlichen brachten. So gab es eingeschleuste Artilleristen,<br />

die einfach mit Absicht zu kurz schossen <strong>und</strong> die eigenen Reihen der Kaiserlichen trafen.<br />

Bald merkten diese, dass ihre Reihen <strong>von</strong> Bolschewiken durchsetzt seien.<br />

Im Sommer 1918 erfuhren wir, dass die Zarenfamilie ermordet worden sei. Die Kämpfe gingen<br />

gleichwohl weiter. Als aber die bolschewistische Front im Juni 1919 nach Asien vorrückte, war das<br />

Schicksal der Weißen Armee so gut wie entschieden. Ich arbeitete damals bei einem Bauer, der ein<br />

Kosakenfeldwebel war, in einer Ortschaft östlich des Ural auf asiatischem Territorium. Der Bauer<br />

hatte seine Ortschaft noch mit den Kaiserlichen verlassen. Nach drei Tagen schlug er sich nachts<br />

durch die rote Front hindurch <strong>und</strong> kam wieder nach H<strong>aus</strong>e. Ich hörte, wie er zu seiner Frau folgendes<br />

sagte: Am besten wäre es, den ganzen Krempel hinzuschmeißen, denn für die Kaiserlichen ist<br />

ohnedies alles verloren; <strong>über</strong>dies sei die Weiße Armee bereits ganz <strong>von</strong> Bolschewiken durchsetzt,<br />

so dass einer dem andern nicht mehr trauen könne! Der Bauer verschwand dann wieder. Aus Sorge<br />

um die zurückgelassene Familie riskierte er es aber noch einmal, sich durch das <strong>von</strong> den Bolschewiken<br />

besetzte Gebiet durchzuschlagen. Als er wieder verschwand, nahm er den 14jährigen Sohn<br />

mit.<br />

Der Bürgerkrieg dauerte dann noch bis ins Frühjahr 1921. Es waren ja im Sommer 1919 vom Ural<br />

bis Wladiwostok immerhin durch ganz Asien hindurch etliche t<strong>aus</strong>end Kilometer zu durchqueren.<br />

Von der Armee der Bolschewiken hatte man den Eindruck, als bestünde sie <strong>aus</strong> lauter Idealisten.<br />

Offiziere traten fast nicht in Erscheinung. Man muss allerdings in Betracht ziehen, dass die Stimmung<br />

angesichts eines erfolgreichen Vormarsches immer <strong>aus</strong>gezeichnet ist <strong>und</strong> dass die Verproviantierung<br />

<strong>und</strong> das Entgegenkommen der Bevölkerung unter solchen Umständen nichts zu wünschen<br />

übrig lassen.<br />

Schließlich war ja das Verhältnis zwischen Volk <strong>und</strong> Armee damals auf das Motto abgestimmt: „Tu<br />

mir nichts, ich tu dir auch nichts.“<br />

Franz Zelesnik, 1976: Diese Aufzeichnungen beziehen sich in erster Linie auf die 1917 begonnene<br />

russische Revolution. Josef Weilinger hat aber auch die Erinnerungen an seine übrige Kriegsgefangenschaft<br />

schriftlich niedergelegt, teilweise sogar in gereimter Form. Wir hoffen, dass diese Aufzeichnungen<br />

nicht verloren gehen <strong>und</strong> eines Tages dem <strong>Bernhardsthal</strong>er Heimatmuseum <strong>über</strong>lassen<br />

werden.<br />

Dieter Friedl, 2014: Das Schicksal war dem Hoffnungs<strong>aus</strong>druck Franz Zelesniks gnädig. Durch<br />

eine Verkettung zahlreicher Zufälle - mein Wohnsitz in unmittelbarer Nähe seines Stiefsohnes<br />

Rudolf Jaretz, das Interesse an Dichtung <strong>und</strong> Prosa, Nachbar Josef Schm<strong>aus</strong> gab mir die Gelegenheit<br />

es durchzulesen, diese Chance genutzt <strong>und</strong> eine Kopie angefertigt zu haben, schließlich seit<br />

2011 Leiter des „Otto Berger Heimatmuseums“ zu sein - kamen Josef Weilingers Aufzeichnungen<br />

tatsächlich 35 Jahre später in die Sammlung des Heimatmuseums.<br />

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