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Erzählungen und Berichte aus, von und über Bernhardsthal

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<strong>Erzählungen</strong> <strong>aus</strong> <strong>und</strong> <strong>über</strong> <strong>Bernhardsthal</strong><br />

Oft dachte ich später noch an diese Episode, die so ideal begonnen hatte, wo ich dazu noch erwähnen<br />

muss, dass die jüngere Schwester <strong>und</strong> ich uns nicht gleichgültig gegen<strong>über</strong>standen. Doch<br />

ich hatte Lebenserfahrung genug, <strong>und</strong> wusste, dass ich mir keinen Schnitzer leisten konnte, denn<br />

das könnte eine unverantwortliche Folge haben. Daher begnügte man sich mit guter Kameradschaft.<br />

Doch darf man auch nicht vergessen, dass man mit kaum 22 Jahren noch viele Träume hat, <strong>und</strong><br />

daher bei sich ergebenden Verhältnissen <strong>über</strong> die sich anbietende Gelegenheit nachdenkt, <strong>und</strong> doch<br />

vor dem zurückschreckt, dass man immer der Fremde bleiben wird. Man erlebte dies zur Genüge.<br />

Ich blieb dann kurze Zeit im Lager, auch hier waren die Pritschen ziemlich leer, bis ein Großunternehmer<br />

für Holzarbeiten 36 Mann suchte. Ich schloss mich dieser Partie an. Es waren 18 Mann<br />

Deutsche <strong>und</strong> 18 Mann Ungarn, die sich entschlossen haben mitzumachen.<br />

Auf Holzarbeit auf Bolschaja Rietschka!<br />

Man schlägerte hier den Wald, um neuen Lebensraum für eine neu entstehende Stadt zu erhalten. Es<br />

war aber schon ein großer freier Raum vorhanden, der winkelrecht parzelliert, mit markierten<br />

Gassen, sowie einige sich schon hier neu angesiedelte Bewohner befanden. Man nannte die entstehende<br />

Stadt „Bolschaja Rietschka“ 52 , das heißt „Großer Fluss“. Die Parzellen waren in der Größenordnung<br />

<strong>von</strong> ca. 1.800 Quadratmeter groß, ca. 18 m breit <strong>und</strong> 100 m lang.<br />

Im nördlichen Teil der Parzelle hatten wir 18 Mann Deutsche unsere Unterkunft <strong>und</strong> im südlichen<br />

Teil die Ungarn ihre Unterkunft. Unser gemeinsamer Koch war ein Ungar.<br />

Wir hatten für die monatliche Verpflegung 18 Rubel zu bezahlen, das heißt, dieser Betrag wurde<br />

uns vom Verdienst abgezogen <strong>und</strong> der Rest <strong>aus</strong>bezahlt. Wir bekamen für 2 m Länge, 1 m Höhe <strong>und</strong><br />

55 cm Schnittlänge etwas mehr als die Kost, <strong>und</strong> das genügte uns.<br />

Im ersten Monat waren wir im Rückstand, dann aber schafften wir es leicht. Die erstehende<br />

Stadt lag an der Bahnlinie zwischen den Städten Barnaul <strong>und</strong> Bijsk, die war ca. 40 km <strong>von</strong> uns<br />

entfernt, Barnaul ca. 25 km. 53<br />

Wir hatten den Bahnhof in ca. 200 m Nähe, der auch zur Holzlagerung <strong>und</strong> Holzverladung benutzt<br />

wurde. Zu unserem Arbeitsplatz in den Wald hatten wir 2 – 3 km zu gehen. Wir hatten in<br />

unserer Wohnung 2 Wiener: einer, ein za<strong>und</strong>ürrer, recht dunkelhäutig <strong>von</strong> mittlerer Statur, im Beruf<br />

Steinmetz, <strong>und</strong> noch einer <strong>von</strong> Mittelgröße, gab aber keinen Beruf bekannt, waren aber <strong>von</strong> der<br />

Partie die besten Arbeiter. Wenn uns mancher Brocken Widerstand leistete, machte ihnen das Spaß<br />

diesen zu spalten.<br />

Der Steinmetz war mehr für sich allein <strong>und</strong> legte sich abends gleich schlafen, wo sein Partner<br />

ein sehr guter Kartenspieler war, der meistens gewann. Wir spielten „Ein<strong>und</strong>zwanzig“ 54 im Winter<br />

oft die ganze Nacht. Der eine ging schlafen, der andere stand auf. Wir spielten normal mit kleinem<br />

Einsatz, doch hatte man Pech <strong>und</strong> wurde bankrott, so hatte man doch ein etwas unangenehmes<br />

Gefühl, weil aber doch das Geld im Raum blieb, war das halb so schlimm.<br />

Ich arbeitete mit einem Oberösterreicher die ganzen 10 Monate die ich hier war zusammen. Der<br />

war <strong>aus</strong> der Gegend <strong>von</strong> Linz <strong>und</strong> kam <strong>aus</strong> der Holzfäller-Branche, war Spezialist für die Sägeinstandhaltung<br />

<strong>und</strong> machte manchen ihre Säge wieder fit.<br />

Da war noch ein drolliger, patschiger, um einige Jahre älter wirkender Kärntner, der am liebsten<br />

so dahinsummend sang <strong>und</strong> am liebsten <strong>von</strong> den Mädchen erzählte. Dann war noch ein Deutsch-<br />

Ungar, der aber die slawische Sprache gut beherrschte, aber nie <strong>aus</strong>ging.<br />

Ein junger Pole war auch war auch noch in dem selben Zimmer wie wir, der aber perfekt russisch<br />

konnte <strong>und</strong> mit dem alten Chef, der in einem separaten Hofraum wohnte <strong>und</strong> hier die geschäftlichen<br />

Obliegenheiten führte, die <strong>von</strong> uns aufgearbeitete Holzmenge jeden Abend gemeinsam<br />

mit noch einem russisch sprechenden Juden <strong>über</strong>nahm.<br />

52 Bolschaja Retschka heute: Troitskoye, Bolshaya rechka, ein Dorf in der Region Altai, ca. 3.700 Straßenkilometer<br />

östlich <strong>von</strong> Moskau.<br />

53 Laut Routenplaner liegt Barnaul 98 km nordwestlich <strong>und</strong> Bijsk (Biysk) 70 km südöstlich <strong>von</strong> Bolshaya rechka.<br />

54 Auch unter dem Namen „Siebzehn <strong>und</strong> vier“ bekannt.<br />

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