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Erzählungen und Berichte aus, von und über Bernhardsthal

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<strong>Erzählungen</strong> <strong>aus</strong> <strong>und</strong> <strong>über</strong> <strong>Bernhardsthal</strong><br />

Wir fuhren am Anfang Mai 1915 am Seeufer vorbei, da trieben am See noch die Eisschollen, es<br />

war um 3 – 4 Grad kälter hier, teilweise schneite es. Nächstes Jahr, als wir wieder diese Strecke um<br />

diese Zeit fuhren, war das Eis erst im Schmelzen.<br />

Das Gebiet längs der transsibirischen Eisenbahnstrecke rechnet man zur gemäßigten kalten Zone<br />

<strong>und</strong> liegt einen Breitengrad nördlicher als wir Mitteleuropäer.<br />

Ankunft am 18. Mai 1815 im Lager Beresowka!<br />

In Werchni-Udinsk 44 verließen wir die Bahn <strong>und</strong> marschierten in das Lager Beresowka 45 , das mehr<br />

als eine Lagerstadt war. Es war ein Lager für angeblich 70.000 Mann. Es bestand <strong>aus</strong> Holzbaracken,<br />

winkelrechten Gassen, <strong>und</strong> diente auch, um größeren Truppenteilen Unterkunft für den Fall eines<br />

Falles zu gewähren. Es grenzte an die Mongolei. Es war hier sandiges Gebiet, doch es gab hier<br />

kleinere Nadelwälder.<br />

Wir waren hier ca. 3.000 Mann angekommen, waren gewissermaßen unter Quarantäne, <strong>und</strong> man<br />

hatte uns in Kosakenpferdeställe untergebracht <strong>und</strong> waren so <strong>aus</strong>staffiert wie alle anderen Baracken,<br />

nur mehr isoliert. Unsere Baracke hatte die Nr. 353, ich merkte mir diese Nummer, da wir einen<br />

ungarischen Koch hatten, der immer um die Mittagszeit die ungarischen Worte: „háromszáz ötven<br />

három, Menage fassolni“ gebrauchte, das heißt „dreih<strong>und</strong>ert fünfzig drei, Menage fassen“. Wir<br />

hatten hier nichts zu tun, höchstens wenn es warm war, Läuse suchen, die wir die ganzen fünf Jahre<br />

nicht los wurden.<br />

Es waren viele die Skorbut hatten, die durch eintönige Kost entsteht, <strong>und</strong> man kurierte diese mit<br />

rohen Zwiebelröhrl 46 , die man uns eine Zeit lang, täglich ein Packel, verabreichte. Auch die Ruhr<br />

<strong>von</strong> der Front her war noch vorhanden, das kommt <strong>von</strong> gefrorenen Speisen, man hat immer Stuhlgang,<br />

es geht aber meistens nur schleimige Masse ab, <strong>und</strong> man weiß nie, ob man am Anfang oder<br />

am Ende ist. Ich selbst selbst hatte auch beides. Auch kam noch Bauch- oder Kopftyphus dazu, <strong>von</strong><br />

diesem blieb ich verschont.<br />

Wir hatten eine größere Latrine zur Verfügung, die stets besetzt war, da diese leere Fischsuppe<br />

<strong>und</strong> mit Wasser gekochte Kascha (Hendelbrei), so wie das sauere Stück Brot, den Durchfall nur<br />

förderte. Ich selbst ging zu den russischen Rekruten, die auch hier ihre Abrichtung absolvierten, zu<br />

den Mahlzeiten mit meiner Essschale, die <strong>aus</strong> einer geköpften Teekanne bestand, tachinieren. Öfter,<br />

wenn ich satt war, nahm ich noch eine Schale voll mit nach H<strong>aus</strong>e für meine Kumpel.<br />

Zusammentreffen mit vor Monaten hier angekommenen Katzelsdorfern!<br />

Hier in diesem Lager traf ich auch drei Katzelsdorfer, einen gewissen Hofmeister Poldl, er ist der<br />

Vater <strong>von</strong> der Witfrau nach dem Josef Heindl № 320, sowie ein Führer <strong>und</strong> ein Österreicher Karl, er<br />

war Straßenwärter, leben schon lang alle nicht mehr. Sie gehörten damals zum ersten Aufgebot, das<br />

waren die beim Militär gedienten Reservisten bis zu 36 Jahren. Sie wurden Anfang August 1914<br />

einberufen, kamen bald in die Gefangenschaft <strong>und</strong> hatten hier schon einen Winter verbracht.<br />

Sie waren schon 7 Monate hier, hatten <strong>von</strong> zu H<strong>aus</strong>e schon Postpakete <strong>und</strong> auch Geld erhalten.<br />

Hatten sich schon an das Lagerleben gewöhnt. Da sie zu H<strong>aus</strong>e Frau <strong>und</strong> Kind hatten, so war ihnen<br />

ein ruhiges, sicheres Abwarten schon lieber, als ein junger, lediger, noch mit Illusionen behafteter<br />

Jüngling.<br />

Sie hatten anschließend an unsere Baracke die Ihrige, nur ein schmaler Bach trennte uns, doch<br />

wir durften nicht hin<strong>über</strong>, da die russische Wachmannschaft dies nicht zuließ. So konnte man sich<br />

nur zeitweise <strong>über</strong> den Bach etwas verständigen. So gaben sie mir unter Anderem bekannt, dass ein<br />

44 1666 Udinskoje, Überwinterungsstation <strong>von</strong> Kosaken; 1775 zur Stadt Werchne-Udinsk (Werchneudinsk) ernannt;<br />

Seit dem 27. Juli 1934 Ulan-Ude (burjatisch für Rote Uda). 4.400 km Luftlinie, 5.700 Straßen-Kilometer östlich<br />

<strong>von</strong> Moskau, 150 km südöstlich des Baikalsees an der Mündung der Uda in die Selenga; Region Transbaikalien.<br />

45 Werchnjaja Beresowka, ein Ortsteil <strong>von</strong> Ulan-Ude.<br />

46 Einer <strong>von</strong> vielen Namen für die Winterzwiebel, Frühlings- oder Frühzwiebel, Lauchzwiebel, Jungzwiebel,…<br />

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