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Erzählungen und Berichte aus, von und über Bernhardsthal

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<strong>Erzählungen</strong> <strong>aus</strong> <strong>und</strong> <strong>über</strong> <strong>Bernhardsthal</strong><br />

Josef Weilinger<br />

Kriegsgefangenschaft in Sibirien / Gedichte<br />

<strong>aus</strong>: Franz Zelesnik, <strong>Bernhardsthal</strong>er Heimatbuch, Kapitel 8.3.<br />

Erinnerungen an die russische Kriegsgefangenschaft im 1 Weltkrieg<br />

Im Jahre 1917 befand ich mich im russischen Kriegsgefangenenlager „Barnaul“ im Gouvernement<br />

Tomsk in Westsibirien, etwa 1.600 km östlich des Ural. Da teilte uns eines Tages der Lagerposten<br />

mit, der Krieg sei zu Ende <strong>und</strong> er gehe nach H<strong>aus</strong>e; wir sollen uns in Hinkunft selbst schützen. Wir<br />

blieben dann zwei Tage ohne Aufsicht. Dann hörten wir, dass der Zar abgesetzt sei <strong>und</strong> Kerenski<br />

eine republikanische, linksgerichtete Regierung gebildet habe, die den Krieg weiterführe. Zwei<br />

Tage später fiel uns auf, dass ein Stadtteil <strong>von</strong> Barnaul zwei Nächte lang <strong>von</strong> hellem Feuerschein<br />

beleuchtet war. Es hieß, das Viertel der Reichen sei <strong>von</strong> mehreren Seiten angezündet worden <strong>und</strong><br />

das Feuer habe - vom herrschenden Sturm begünstigt – Mensch <strong>und</strong> Vieh eingeschlossen. Unterdessen<br />

zogen die Anhänger der Revolution mit Gesang <strong>und</strong> fliegenden Fahnen durch die Straßen<br />

<strong>und</strong> an unserem Lager vorbei. In den darauffolgenden Tagen fuhren dann die Gespanne mit den<br />

verkohlten Menschen- <strong>und</strong> Tierleichen, den Opfern des Brandes, vor<strong>über</strong>. Nach drei weiteren Tagen<br />

bekamen wir wieder eine Lagerbewachung.<br />

Die Kerenski-Regierung verlor, weil sie den Krieg weiterführte, bald die Sympathie der Bevölkerung.<br />

Lenin <strong>und</strong> Trotzki, die nach der Absetzung des Zaren sofort nach Russland zurückgekehrt<br />

waren, bereiteten eifrig den Sturz Kerenskis vor, <strong>und</strong> so kam es mit der Oktoberrevolution zum<br />

Bürgerkrieg, mit dem die Bolschewiken unter Lenins Führung die Regierungsgewalt an sich rissen.<br />

Verschiedene Generäle kämpften, wie man hörte, als Zarenanhänger für die Kaiserlichen, so General<br />

Wrangel, Badluren, Denikin <strong>und</strong> Semjonikow. Sie vereinigten sich später unter dem Oberbefehl<br />

Koltschaks <strong>und</strong> nannten sich „Weiße Armee“. Ihnen gegen<strong>über</strong> standen die Bolschewiken, was so<br />

viel wie Mehrheitspartei heißt, die Menschewiken (Minderheitsanhänger) <strong>und</strong> die kleinste Gruppe,<br />

die Kommunisten, die sich zur Roten Armee vereinigten.<br />

Mit den Kaiserlichen kämpften auch die Tschechen, während Deutsche <strong>und</strong> Ungarn, besonders<br />

solche <strong>von</strong> ihnen, die in der Gefangenschaft unter den Tschechen zu leiden gehabt hatten, lieber mit<br />

den Bolschewiken kämpften. In der ersten Zeit, als diese Armeen noch klein waren, bildeten die<br />

Tschechen auf der Seite der Kaiserlichen die Elitetruppe, weil ja die Kaiserlichen den Tschechenstaat<br />

garantierten. Die Deutschen <strong>und</strong> Ungarn dagegen stellten auf Seite der Bolschewiken die<br />

Elitetruppe. Kein W<strong>und</strong>er, dass sich die Tschechen auf der einen, die Deutschen <strong>und</strong> Ungarn auf der<br />

andern Seite zu erbitterten Todfeinden entwickelten. Es ging ihnen nicht um die Ideen einer der<br />

Revolutionsparteien, sondern die Tschechen kämpften für die Errichtung ihres Nationalstaates, die<br />

Deutschen <strong>und</strong> Ungarn aber gegen die Errichtung desselben, ganz sicher aber zu dem Zweck, den<br />

seit langem angefachten <strong>und</strong> angehäuften Nationalhass abzureagieren.<br />

Wie tief der Hass zwischen Tschechen <strong>und</strong> Deutschen saß, erfuhr ich am eigenen Leibe, als ich im<br />

Herbst 1915 nach Sibirien gebracht wurde. Ich kam damals in der noch vor dem Ural liegenden<br />

Stadt Perm in ein Lager, in dem auch Tschechen waren. Diese kochten die fünf Tage, die wir hier<br />

weilten, auch für die deutschsprachigen Kriegsgefangenen. Da das Essen Tag für Tag angebrannt<br />

war, wussten wir, dass dies mit Absicht geschah. Als ich im Jahre 1918 in einem Winterquartier<br />

einen Spätgefangenen traf, fragte ich ihn, was es in der Heimat Neues gebe. Er antwortete: „Was<br />

geht das dich an?“ Auf meine Frage: „Was bist du so kurz angeb<strong>und</strong>en” sagte er: „Und warum du<br />

so lange?” Da wusste ich sofort, dass ich einen Tschechen vor mir hatte, <strong>und</strong> dass ich ihm, wenn<br />

mir mein Leben lieb war, nicht mehr begegnen dürfe.<br />

Die Tschechen waren zur Zeit des beginnenden Bürgerkriegs eine geschlossene Armee, während<br />

die Russen ihnen durch ihre Uneinigkeit noch machtlos gegen<strong>über</strong>standen. Russen <strong>und</strong> Tschechen<br />

konnten einander nicht „schmecken“, denn die Tschechen benahmen sich arrogant <strong>und</strong> pflegten<br />

gerne aufzuschneiden. Ich bin fest <strong>über</strong>zeugt, dass die Tschechen ihre große Niederlage bei Pawlovsk,<br />

wo sie angeblich die Hälfte ihrer Streitmacht verloren haben, nur dem bei den Deutschen <strong>und</strong><br />

Ungarn gegen sie angehäuften Hass zu verdanken hatten.<br />

Seite 67

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