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Erzählungen und Berichte aus, von und über Bernhardsthal

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<strong>Erzählungen</strong> <strong>aus</strong> <strong>und</strong> <strong>über</strong> <strong>Bernhardsthal</strong><br />

Gewisse Zusammenhänge konnte ich erst viel später in Erfahrung bringen!<br />

Ich habe es erst viel später erfahren, warum niemand Bescheid wusste. Manche haben eben die<br />

Front verlassen <strong>und</strong> fuhren heim, manche ließen sich vom General oder Heerführer beeinflussen<br />

<strong>und</strong> blieben in seinem Verband. Die Kosaken waren in Krieg <strong>und</strong> Frieden ihr eigener Verband.<br />

Kerenski 67 , der frühere Kriegsminister <strong>und</strong> jetzige Ministerpräsident, hatte die Macht, aber er<br />

verstand es nicht sie zu gebrauchen. Er ließ sich <strong>von</strong> den Verbündeten Russlands beeinflussen, den<br />

Krieg mit den Mittelmächten weiter zu führen, was ihn um die letzten Sympathien seines in Auflösung<br />

begriffenen Heeres brachte.<br />

Als Lenin 68 , der mit Unterstützung der deutschen Heeresleitung im April 1917, einen Monat<br />

nach der Abdankung des Zaren, <strong>über</strong> Schweden <strong>und</strong> Finnland, das damals noch zu Russland gehörte,<br />

<strong>aus</strong> dem Schweizer Exil in Petersburg 69 ankam, wurde er <strong>von</strong> den Bolschewiki 70 , die sich „Krasny<br />

guarte“ 71 (Rotgardisten) nannten, stürmisch empfangen. Sie besetzten wichtige Gebäude in<br />

Petrograd ohne einen Widerstand. Doch auch sie waren nur eine kleine Einheit. So zog sich die<br />

ganze Plänklerei bis Ende Oktober 1917 auf Petrograd mehr oder weniger beschränkt dahin.<br />

So wird es verständlich, dass man in dieser Zeit <strong>und</strong> noch einige Zeit danach nichts Nennenswertes<br />

zu berichten gab, da auch die verschiedenen Generäle mit ihren Armeen in ganz Russland<br />

<strong>und</strong> Sibirien verstreut, mit einigen kleinen Plänkeleien gewissermaßen „Gewehr bei Fuß“ standen.<br />

Zwölf Tage das erste Mal auf eigenes Risiko auf Wanderschaft!<br />

Daher entschlossen wir uns, ein Egerländer 72 <strong>und</strong> ich, zu Fuß nach Westen zu wandern. Erst wollten<br />

wir, wenn alle schlafen, uns auf die Wanderschaft machen. Doch sein Bauer sagte ihm, dass sie<br />

heute Nacht im Gemeindewald eine Fuhr Holz organisieren werden. So blieb ihm nichts anderes<br />

übrig als mitzutun.<br />

Wir vereinbarten uns außerhalb des Ortes bei der Fabriksgerberei zu treffen. Doch als es Mitternacht<br />

war <strong>und</strong> mein Kumpel noch nicht da war, entschloss ich mich zurück zu gehen. Jetzt bemerkte<br />

mich erst mein Weggenosse, <strong>und</strong> ich ihn, als er <strong>aus</strong> dem Betonrohr her<strong>aus</strong> kroch. Es war das<br />

vereinbarte „Stelldichein“ 73 Brückerl, er kroch auf der einen Seite in das Rohr <strong>und</strong> ich saß auf der<br />

anderen Seite, wahrscheinlich hatte ich etwas eingedunkt. Er sagte, er warte hier schon ca. zwei<br />

St<strong>und</strong>en.<br />

Jetzt hieß es fest aufzuholen, denn im Sommer wird es bald Tag. Wir gingen durch die Barabinsker-Steppe<br />

74 auf die Stadt Kainsk 75 zu, in der Nähe der Bahn westwärts. Diese Steppe ist mit<br />

vielen kleineren <strong>und</strong> größeren Seen <strong>über</strong>sät. Gegen Mittag gingen wir zwischen einem hohen<br />

Weizenfeld, die Sonne brannte heiß. Dann kamen wir zu einem See. Da er nicht sehr breit war <strong>und</strong><br />

ein Weg nach links <strong>und</strong> einer nach rechts führte, welcher der kürzere war konnte man nicht <strong>über</strong>se-<br />

67 Alexander Fjodorowitsch Kerenski, * 4. Mai 1881 in Simbirsk; † 11. Juni 1970 in New York.<br />

68 Wladimir Iljitsch Uljanow, * 22. April 1870 in Simbirsk; † 21. Januar 1924 in Gorki bei Moskau.<br />

69 Peter der Große hat die Stadt nach seinem Schutzheiligen, dem Apostel Simon Petrus benannt. Die Festung hieß<br />

kurzzeitig Sankt-Pieterburch, dann, wie auch die etwas später entstehende Stadt, Sankt Petersburg. Nach Ausbruch<br />

des Ersten Weltkriegs wurde am 18. August 1914 der deutsche Name zu Petrograd „Peterstadt“ russifiziert.<br />

Nach Lenins Tod 1924 wurde die Stadt am 26. Januar 1924 in Leningrad umbenannt. Per Erlass vom<br />

6. September 1991 wurde die Stadt nach einer Volksabstimmung in Sankt Petersburg rückbenannt.<br />

70 auch Bolschewisten (russ. большевики, wörtlich <strong>über</strong>setzt ‚Mehrheitler‘), eine Fraktion der Sozialdemokratischen<br />

Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) die den Sturz des Zaren <strong>und</strong> den Aufbau des Sozialismus / Kommunismus<br />

in Russland anstrebte. Im Gegensatz zur Fraktion der Menschewiki (Minderheitler) organisierten sie sich<br />

als straffe Kaderpartei, als eine Truppe <strong>von</strong> Berufsrevolutionären.<br />

71 Rotgardisten, russ. Красная Гвардия. Aus ihnen entstand später die Rote (Arbeiter- <strong>und</strong> Bauern-) Armee.<br />

72 Das Egerland (Eghaland, tschech. Chebsko), nach der Stadt Eger (tschech. Cheb) benannte Region im Westen<br />

Tschechiens. Im weiteren Sinne gehören dazu auch angrenzende Bereiche Oberfrankens <strong>und</strong> der Oberpfalz.<br />

73 <strong>von</strong> Joachim Heinrich Campe (1746–1818) eingedeutschte Bezeichnung für das französische rendez-vous im<br />

Sinne einer romantischen Verabredung. Im modernen Sprachgebrauch als Treffen oder Treffpunkt verwendet.<br />

74 russ. Бара́бинская степь/Barabinskaja step) Landschaft im SO <strong>von</strong> Westsibirien, zwischen Ob <strong>und</strong> Irtysch.<br />

75 Kuibyschew am Fluss Om, einem rechten Nebenfluss des Irtysch im Bezirk Nowosibirsk. Der Ort entstand 1772<br />

<strong>und</strong> erhielt 1782 als Kainsk das Stadtrecht. 1935 nach dem sowj. Politiker Walerian Kuibyschew umbenannt.<br />

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