DIE LÜGE DES ODYSSEUS
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Hier folgt, was Kogon über den Lagerschutz, der ein Teil der Häftlingsführung war, aussagt:<br />
"Seine Aufgaben waren folgende: Aufrechterhaltung der Ordnung im Lager, Überwachung der<br />
Disziplin, um ein Eingreifen der SS usw. . . . zu vermeiden. Während der Nacht -- was die<br />
Aufhebung der Patrouillen der SS im Lager ermöglichte — war es ihre Aufgabe, die Neuzugänge zu<br />
übernehmen, was nach und nach die rohen Schikanen der SS verhinderte. Es war eine schwierige<br />
und undankbare Aufgabe. Der Lagerschutz in Buchenwald schlug selten, obwohl es oft rohe<br />
Fausthiebe gab. Die aus anderen Lagern kommenden Neuzugänge waren im ersten Augenblick<br />
erschrocken, wenn sie von den Leuten des Buchenwalder Lagerschutzes empfan-<br />
-205-<br />
*) Anm. d. dt. Verlages: Zu dieser Auffassung Paul Rassiniers sei die Ansicht angefügt, zu der das Landgericht München I, 10. Zivilkammer<br />
(Az.: 10 — 0 409,58) in seiner Urteilsbegründung vom 13. Dezember 1958 kam: ". . . Im übrigen hat der Beklagte damit nur ein Werturteil<br />
abgegeben, mit dem der wissenschaftliche Charakter des Buches. Der 'SS-STAAT', den ihm der Kläger als sein Verfasser beimißt, in Abrede<br />
gestellt wird.<br />
Im allgemeinen Sprachgebrauch hat der Ausdruck 'Pamphlet' einen Beigeschmack nach der Richtung hin, daß sich sein Verfasser zu sachlich<br />
nicht haltbaren Behauptungen verstiegen habe, um die von ihm verfochtene Auffassung zu untermauern. Bei einem Werk, das sich als<br />
wissenschaftliches bezeichnet oder gibt, bedeutet die Charakterisierung als Pamphlet, daß es nicht unter Wahrung herkömmlicher exakter<br />
Methoden zustande gekommen ist. Dieser Vorwurf erscheint insofern nicht aus der Luft gegriffen, als der Kläger eine soziologische Würdigung<br />
der Verhaltensweise des Menschen im KZ unter dem Gesichtspunkt geschrieben hat, sie dürfte sich nicht zu einer Art Anklageschrift gegen<br />
führende Lagerinsassen gestalten.<br />
. . . Das Buch liefert in reichem Maße Material, das es erlaubt. Schuldige zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Möglichkeit erscheint indes nicht<br />
voll ausgewertet zu sein, soweit es sich um politische Häftlinge handelt. . . . Der Kläger sagt weder, daß ihm die Schuldigen nicht bekannt seien,<br />
noch nennt er Namen. Berücksichtigt man, daß sich unter den fünfzehn repräsentativen Männern, denen er seinen Bericht vorlas, um die<br />
Befürchtungen zu zerstreuen, er werde eine Anklageschrift darstellen, zwei Angehörige der UDSSR und acht Kommunisten befanden, dann<br />
drängt sich der Eindruck auf, daß ungeachtet der Erwähnung von durch Kommunisten verübten Untaten vor allem dieser Personenkreis bewußt<br />
geschont wurde, weil nur in sehr seltenen Fällen auch Namen genannt werden. Solche Rücksichten müssen einem wissenschaftlichen Werk<br />
fremd sein. Die reine Wissenschaft fragt nicht danach, ob das Ergebnis diesem oder jenem bequem ist. Wo Zweckmäßigkeitsfragen den Inhalt<br />
mitbestimmen, wird die Objektivität verlassen. Wenn der Beklagte als Mithäftling daher seiner Meinung Ausdruck gibt, der .SS-STAAT sei ein<br />
Pamphlet, dann macht er von seinem Recht der freien Meinungsäußerung Gebrauch (Art. 5 bb), ohne damit in das Recht der persönlichen Ehre<br />
des Klägers einzugreifen, der in seinem Vorwort für sich in Anspruch nimmt, sich von Polemik freigehalten zu haben . . ."<br />
Zur genaueren Unterrichtung des Lesers ist hier noch anzufügen: In einer Münchener Schrift "Alarm" hatte ein ehemaliger politischer Häftling<br />
aus Buchenwald geschrieben:<br />
". . . Der gleiche Professor Eugen Kogon hat durch sein Pamphlet .Der SS-STAAT . . . erhebliche Verwirrung in der Öffentlichkeit angerichtet.<br />
Ein Großteil der Personen und Stellen, die sich mit den Vorgängen in den KZ beschäftigen mußten und müssen, ohne dieses Lagerleben zu<br />
kennen, greifen zwangsläufig auf dieses Buch zurück. Es wurde dieses Pamphlet ein Standardwerk für die deutsche Justiz bzw. solche stellen,<br />
die sich mit den Vorkommnissen In den KZ befassen müssen, und selbst für tonangebende ausländische Kreise."<br />
gen wurden, bald aber wußten sie diese sanftere Aufnahme als anderswo zu schätzen ... Es hat<br />
natürlich auch Mitglieder des Lagerschutzes gegeben, die man nach der angewandten Tonart als<br />
verhinderte SS-Männer hätte bezeichnen können, aber dies fällt wenig ins Gewicht. Es gab nur ein<br />
Ziel: die Erhaltung einer Kerntruppe von Gefangenen gegen die SS. Wie wäre es dem Ganzen und<br />
Tausenden von Einzelnen bei Einlieferungen, bei Abtransporten, bei Strafaktionen und —" last not<br />
least"— zuletzt, noch vor der Befreiung ergangen, wenn der Lagerschutz nicht für eine tadellose<br />
Ordnungstarnwand gegenüber der SS gesorgt hätte?" (Seite 62.)<br />
Wenn ich in bezug auf den Empfang, der meinem Transport in zwei verschiedenen Lagern bereitet wurde, nur an mein<br />
persönliches Erleben zurückdenke, kann ich nicht zugestehen, daß er in Buchenwald besser war als in Dora. Ganz im<br />
Gegenteil! Aber ich muß anerkennen, daß die allgemeinen Lebensverhältnisse in Buchenwald und Dora nicht miteinander<br />
zu vergleichen waren: das erstere war im Vergleich zum zweiten ein Sanatorium. Hieraus aber ableiten zu wollen, dies<br />
beruhe auf einem Unterschied in der Zusammensetzung, auf der Substanz und den politischen oder philosophischen<br />
Auffassungen der Häftlingsführung, wäre ein Irrtum: hätte man sie "en bloc" vertauscht, so wäre das Ergebnis das gleiche<br />
gewesen. In beiden Fällen war ihr Benehmen durch die allgemeinen Existenzbedingungen bestimmt und nicht umgekehrt.<br />
In der Zeit, von der Eugen Kogon spricht, war Buchenwald am Ende seiner Entwicklung angelangt. Alles war dort fertig<br />
oder nahezu fertig: die Dienststellen waren eingesetzt, eine Ordnung war errichtet. Die SS, die den Scherereien weniger<br />
ausgesetzt war, welche die Unordnung im Gefolge hat und in ein regelmäßiges, sozusagen risikoloses Programm<br />
eingespannt war, war dort viel weniger reizbar. In Dora dagegen war das Lager im Aufbau begriffen, alles mußte mit den<br />
begrenzten Mitteln eines im Kriege befindlichen Landes geschaffen und alles auch an Ort und Stelle errichtet werden. Die