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DIE LÜGE DES ODYSSEUS

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Vertrauen, entgegen der Meinung aller Ärzte. So kommt es, daß er einem Medizinstudenten, von dem er weiß, daß dessen<br />

politische Meinung sich nicht mit der seinen verträgt, stets irgendeinen deutschen, tschechischen, russischen oder<br />

polnischen Schläger vorzieht. Er hat große Bewunderung für die Russen und eine Schwäche für die Tschechen, die in seiften<br />

Augen von den Angelsachsen und den Franzosen, die er verachtet, Hitler preisgegeben wurden. Aber er ist ein erstklassiger<br />

Organisator.<br />

waltung, die Aufnahmen und die dringenden Fälle; in den Blöcken 17 und 39 die allgemeine Medizin,<br />

Nierenentzündungen, Nervenentzündungen; im Block 38 die Chirurgie; in 126 die Lungen- und Rippenfellentzündungen<br />

und in 127 und 128 die Tuberkulösen. In jedem Block ist ein verantwortlicher Arzt vorhanden, dem ein Oberpfleger<br />

behilflich ist; in jedem Saal ein Pfleger zur Pflege der Kranken und ein Kalfaktor für die verschiedenen Arbeiten. Für die<br />

Kranken Betten in nur zwei Etagen, mit Strohsack in Holzspänen, Bettlaken und Decken. Drei Verpflegungsarten, die<br />

"Hauskost", eine Ernährung, die in allen Punkten der des Lagers gleicht, für diejenigen Kranken, deren Verdauungswege<br />

nicht angegriffen sind; die "Schleimkost" oder magere Grießsuppe (kein Brot, keine Margarine, keine Wurst) für diejenigen,<br />

deren Zustand Übergang zur Diät erfordert; die "Diätkost", die jeden Tag aus zwei Suppen, darunter einer gezuckerten, in<br />

Weißbrot, Margarine und Marmelade besteht, für diejenigen, die eine Kräftigung nötig haben.<br />

Man kann nicht sagen, daß man im Revier sehr gut gepflegt wird: die SS-Führung bewilligt nur sehr wenig Medikamente,<br />

und Pröll nimmt von der Zuteilung alles für die Häftlingsführung Notwendige vorweg und läßt an die Kranken nur das<br />

kommen, was die Häftlingsführung nicht braucht. Aber man schläft sauber, hat Ruhe, und wenn einmal die<br />

Verpflegungsration von keiner besseren Beschaffenheit wie im Lager ist, so ist sie doch immer ausreichend. Pröll selbst<br />

beschränkt die Erfüllung seiner Dienstpflicht als Kapo auf täglich eine Visite, die von einigem Gebrüll und einigen<br />

edelmütigen Schlägen begleitet ist, die auf Personal und Kranke verteilt werden, wenn er sie bei Übertretungen der<br />

Revierordnung ertappt. Das Leben, das man im Revier führt, würde von dem Regime abstechen, das im übrigen Lager<br />

herrscht, wenn Pfleger und Kalfaktoren nicht aus ebenso großem Eifer wie aus Traditionstreue und aus Furcht vor dem Kapo<br />

alles an den Versuch setzen würden, es unerträglich zu machen.<br />

* * *<br />

Jeden Abend nach dem Appell bildet sich eine Ansammlung am Eingang zu Block 16. Der Block enthält außer dem<br />

Verwaltungsapparat des Reviers eine "Äußere Ambulanz" und eine "Innere Ambulanz". Die erstere leistet allen Kranken<br />

oder Verunglückten, die nicht die Bedingungen für die Aufnahme in das Revier erfüllen, sofortige Hilfe, die zweite<br />

entscheidet nach Untersuchung über die Aufnahme oder Nichtaufnahme der anderen.<br />

Außer den Leuten der Häftlingsführung sind alle Lagerinsassen krank und würden in der normalen Welt ohne Ausnahme<br />

und ohne weiteres in<br />

In weniger als einem Monat wird das Revier auf die Grundsätze der großen Krankenhäuser ausgerichtet: im Block 16<br />

befinden sich die Ver-<br />

-117-<br />

-118-<br />

ein Krankenhaus eingewiesen, und wäre es auch nur wegen allgemeiner Körperschwäche. Im Lager wird dies ganz anders<br />

gehandhabt, die allgemeine Körperschwäche zählt nicht. Man behandelt nur, was darüber hinausgeht, und dies nur unter<br />

gewissen extratherapeutischen Bedingungen oder wenn man keine Mittel hat, es anders zu machen. Jeder Häftling ist also<br />

ein Patient, den das Revier mehr oder weniger anzieht:<br />

man mußte eine Reihenfolge aufstellen, die im Durchschnitt auf vier Tage kommt.<br />

Da sind zuerst die Furunkel: das ganze Lager eitert, die Furunkulose, die Folge des Mangels an Fleisch und Rohkost in der<br />

Verpflegung, wütet im endemischen Stadium genau wie die alltäglichen Ödeme und die Nierenleiden. Infolgedessen gibt es<br />

Wunden an Händen und Füßen oder an beiden. Die Holzschuhe reiben, und mit den Händen, deren Haut so leicht<br />

aufspringt, müssen oft unerwartete Arbeiten getan werden! Dann kommen noch abgeschnittene Finger oder gebrochene Arme<br />

oder Beine usw. ... vor. Dies alles bildet die Praxis der Äußeren Ambulanz, und vom i. Juni 1944 an taucht der Neger<br />

Jonny wieder auf, dessen Tätigkeit als Arzt im Revier von Buchenwald schließlich so umstritten war, daß er trotz der von<br />

ihm gegebenen politischen Garantien') uns mit einem Transport zugeschickt wurde. Als Arzt natürlich, aber von einer<br />

Mitteilung begleitet, in welcher genau gesagt war, es sei vorteilhafter, ihn als Pfleger zu verwenden. Pröll war der Meinung,<br />

sein Platz sei natürlich in der Äußeren Ambulanz gegeben und übertrug ihm hierfür die Verantwortung.<br />

Jonny untersteht eine ganze Kompanie deutscher, polnischer, tschechischer oder russischer Pfleger, die von der Arbeit, mit<br />

der man sie beauftragt hatte, nichts verstehen, die auf gut Glück Verbände anlegen, abmachen und von neuem anlegen. Ob<br />

Furunkel oder Wunden, es gibt nur ein Heilmittel: die Salbe. Diese Herren haben Töpfe voll Salbe in allen Farben vor sich

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