DIE LÜGE DES ODYSSEUS
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geschehen sein kann. Er fügt hinzu, daß er selbst die Angeklagte in liebenswürdiger und vielleicht verliebter Unterredung<br />
mit einem Offizier der Kommandantur gesehen hat, der auf einem Hofe hinter dem Laden seiner Eltern wohnte, daß sie<br />
Papiere austauschten usw. ...<br />
Der Verteidiger: "Sie besuchten den Laden also öfters?"<br />
Zeuge: "Ja, gerade um diesen Verkehr zu überwachen."<br />
Verteidiger: "Können Sie dies beschreiben?"<br />
(Der Zeuge geht bereitwillig darauf ein. Er beschreibt das Büro, seine Maße, das Fenster im Hintergrund, nennt die<br />
Entfernungen schätzungsweise usw. ... alles Dinge, die keinen Einwand hervorrufen.)<br />
Verteidiger: "Sie haben also durch das Fenster im Hintergrund, das auf den Hof geht, gesehen, wie die Angeklagte und der<br />
Offizier Papiere austauschten."<br />
Zeuge: "Genau das."<br />
Verteidiger: "Sie können also genau angeben, wo diese sich auf dem Hofe und wo Sie sich im Laden befanden?"<br />
Zeuge: "Die beiden Komplizen standen am Fuße einer Treppe, die zum Zimmer des Offiziers führt, die Angeklagte stützte<br />
sich mit dem Ellbogen auf das Treppengeländer, ihr Gesprächspartner stand sehr nahe bei ihr, was zu denken gibt. . ."<br />
Verteidiger: "Dies genügt mir." (Er wendet sich an den Gerichtshof und überreicht ein Papier): "Meine Herren, es gibt keine<br />
Stelle, von der aus man die fragliche Treppe sehen könnte. Hier ein Plan der Örtlichkeit, der von einem fachkundigen<br />
Geometer hergestellt ist."<br />
(Sensation. Der Präsident prüft das Dokument, gibt es an seine Beisitzer weiter, erkennt die Echtheit an, dann zum<br />
Zeugen:)<br />
"Sie erhalten Ihre Aussage aufrecht?"<br />
Zeuge: "Das heißt, daß ... Ich war es nicht, der es gesehen hat... Es war einer meiner Agenten, der mir auf mein Ersuchen<br />
einen Bericht abgegeben hat... Ich ..."<br />
Der Präsident (frostig): "Sie können abtreten."<br />
Das Folgende in der Angelegenheit hat keinerlei Bedeutung, da der Zeuge nicht mitten in der Verhandlung wegen<br />
Richterbeleidigung oder falscher Aussage festgenommen wurde; und weil die Angeklagte zugegeben hatte, an den<br />
Lehrgängen des deutsch-französischen Institutes teilgenommen zu haben, was, wie sie sagte, zu einer gewissen Zahl<br />
freundschaftlicher Beziehungen zwischen ihr und gewissen Offizieren der Kommandantur geführt hatte, erhielt sie schließlich<br />
eine Gefängnisstrafe für eine Reihe von Umständen, die für sie nach Lage der Sache erdrückend waren.<br />
Hätte man den Zeugen aber in die Enge getrieben, so wäre wahrscheinlich festgestellt worden, daß der Agent, von dem er<br />
angeblich einen Bericht gefordert hatte, gar nicht vorhanden war, und daß seine Aussage nur eine Sammlung dieser "man<br />
sagt" war, die das Klima der kleinen Städte, in denen alle sich kannten, vergifteten.<br />
Es liegt mir fern, alle über die deutschen Konzentrationslager erschienenen Aussagen der vorstehenden gleichzustellen.<br />
Meine Absicht ist allein auf die Feststellung gerichtet, daß es Aussagen gab, die dieser in nichts nachstehen, auch von<br />
Leuten, die bei der öffentlichen Meinung in hohem Ansehen standen. Und daß es, abgesehen von der Ehrlichkeit oder<br />
Unehrlichkeit, so viele Unwägbarkeiten gibt, die auf den Vortragenden wirken, daß man der erzählten Geschichte stets<br />
mißtrauen muß, besonders wenn sie ein heißes Eisen ist. "Die Tage unseres Sterbens", — die das blendende Talent David<br />
Roussets bestätigen, sind vom Anfang bis zum Ende bei den meisten Geschehnissen, auf die sich der Verfasser bezieht,<br />
wenn nicht eine Sammlung dieser "man sagt", die in allen<br />
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Lagern umliefen, und die an Ort und Stelle nie auf Echtheit zu prüfen waren, so doch mindestens eine Reihenfolge von<br />
Aussagen aus zweiter Hand, die — wie man anerkennen muß, harmonisch — in der Absicht aneinandergereiht wurden, als<br />
besondere Interpretation zu dienen.<br />
In diesem Werke, in welchem von der Wahrheit und nicht von der Kunstfertigkeit die Rede ist, wird keinerlei<br />
Zusammenstellung zu finden sein.<br />
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