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DIE LÜGE DES ODYSSEUS

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Vorwort des Verfassers zur<br />

zweiten und dritten französischen Auflage<br />

Die Waffen des Feindes sind nicht so mörderisch wie die Lügen, mit denen die Führer<br />

der Opfer die ganze Welt erfüllen; der Haßgesang des Feindes ist dem Ohr weniger<br />

unangenehm als die Phrasen, die wie ekelhafter Speichel aus den Büchern der<br />

Schreiber von Nekrologen fließen.<br />

Manes Sperber (Aus seinem Buche "Und der Busch wurde zu Asche".)<br />

Die beiden Teile dieses Werkes sind zwar schon veröffentlicht worden, aber getrennt. Der erstere, "Eigenes Erleben"<br />

("Passage de la Ligne" = "Weg über die Grenze"), und der zweite, "Erleben der anderen'' (eigentlich "Le Mensonge<br />

d'Ulysse" genannt), in Form einer kritischen Studie der Literatur über die Konzentrationslager. Ich war der Meinung, bei<br />

einem so heiklen Gegenstand sei es ratsam, die Wahrheit in kleinen Dosen zu verabreichen.<br />

Diese geistige Einstellung haben manche Leute zu dem Versuch benutzt, meine Absichten zu verdächtigen: wenn "Eigenes<br />

Erleben" im allgemeinen noch sympathisch hingenommen wurde und nur Zähneknirschen, aber keine Wutausbrüche<br />

hervorrief, so bot "Erleben der anderen" dann aber einer gewissen Seite die Gelegenheit zu einem heftigen Pressefeldzug, der<br />

seinen Ausgang von der Tribüne der Nationalversammlung nahm.<br />

Gleichlaufend damit wurden Albert Paraz, der Verfasser des Vorwortes, der Herausgeber des Buches und ich vor ein<br />

Strafgericht gestellt, von dem wir freigesprochen wurden, dann aber vor ein Berufungsgericht, von dem wir verurteilt<br />

wurden'), obwohl der Staatsanwalt selbst unseren Anträgen recht gab und vorbehaltlos die Bestätigung des<br />

Strafgerichtlichen Urteils beantragte.<br />

Nun ist der Kassationshof angerufen, den Streit zu beenden, aber die öffentliche Meinung, deren Unterrichtung einseitig<br />

erfolgt, ist irregeleitet, und so wenig man auch geneigt sein mag, in die Polemik hinabzusteigen,<br />

-10-<br />

1) Gefängnis mit Bewährung, 100.000 Fr Geldstrafe, 800.000 Fr Schadenersatz mit Zinsen.<br />

unerläßlich ist es doch geworden, die recht verworrenen Verhältnisse, die das Klima dieser Angelegenheit geschaffen haben,<br />

zu entwirren. Man wird also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, denn gleichzeitig darf man nicht versäumen, dem<br />

Leser die Beweismittel vor Augen zu führen 2 ).<br />

Da "Erleben der anderen" mitten in die Auseinandersetzungen über die Amnestie fiel und die Debatte damit auf ihre Weise<br />

rechtfertigte, wurde sie von gewissen Leuten als eine im wesentlichen politische Angelegenheit hingenommen, und nun<br />

versuchte man, ihr von dieser niedrigeren Warte aus einen dementsprechenden ausschließlichen Charakter zu verleihen.<br />

Durch einen ärgerlichen Zufall enthielt das Vorwort von Albert Paraz eine juristisch nicht haltbare Behauptung 3 ) über die<br />

Umstände der Verhaftung und Verschickung des damaligen Abgeordneten und parlamentarischen Führers der R. P. F.,<br />

Michelet, die der damalige Abgeordnete der M. R. P. von Lyon, Guerin, aufgriff, nicht etwa, um gegen die Veröffentlichung<br />

des Werkes zu protestieren, obwohl er sich diesen Anstrich geschickt gegeben hatte, sondern zu dem Versuch, einem der<br />

ersten Kämpfer jener Bewegung, die ihm bei der Wahl die größte Konkurrenz machte, um seinen Kredit zu bringen. Auf<br />

diese Weise also wurde "Erleben der anderen" zuerst von einer politischen Bewegung gegen eine andere ausgespielt, aber<br />

dies reichte schon aus, einen Historiker zur Verzweiflung zu bringen . ..<br />

Die auf Bearbeitung der öffentlichen Meinung gerichtete außerparlamentarische Klage stützte sich auf einen Zwischensatz in<br />

der Intervention Guerins. Von der Tribüne der Nationalversammlung herab hatte der Abgeordnete von Lyon mich unter "die<br />

für die Zusammenarbeit mit der Besatzung und die Verteidiger des Verrats Verantwortlichen" 4 ) eingereiht.<br />

2) Der Kassationshof hat seinerseits nun entschieden: er hat freigesprochen — gerade rechtzeitig genug, um es noch in dieser Auflage<br />

erwähnen zu können — aber trotzdem bleibt die Begründung noch notwendig.<br />

3) Michelet, mit dem wir uns auseinandergesetzt haben, hat seine gegen uns angestrengte Klage zurückgenommen. Übrigens erscheint diese<br />

Behauptung nicht mehr in dieser Auflage, um jeden Ablenkungsversuch kurzerhand abzuschneiden. Auf Paraz' Vorschlag auch nicht mehr<br />

sein Vorwort. Dies nur, um jede Ablenkung zu vermeiden, denn seitdem der Kassationshof entschieden hat, stünde auch der<br />

Wiederveröffentlichung dieses Vorwortes nichts mehr im Wege, weil es von der Immunität gedeckt ist, die Jede abgeurteilte Sache schlitzt.

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