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DIE LÜGE DES ODYSSEUS

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"In jedem Lager war es das Bestreben der politischen Häftlinge, den inneren Verwaltungsapparat<br />

in die Hand zu bekommen oder gegebenenfalls zu kämpfen, um ihn zu behalten, um sich mit allen<br />

verfügbaren Mitteln gegen die SS behaupten zu können und nicht nur den harten Kampf um das<br />

nackte Dasein zu bestehen, sondern auch, wenn irgend möglich, einen Beitrag zur allgemeinen<br />

Zersetzung und Überwindung des Systems zu leisten. In mehr als einem Lager haben politisch<br />

führende Häftlinge Jahre hindurch eine zähe, todesverachtende Arbeit solcher Art vollbracht."<br />

Aber dies ist nur eine Generalbescheinigung, deren Abfassung, so voll des Lobes sie auch sein mag, doch nicht verbergen<br />

kann, daß sie alle politischen Häftlinge — selbst diejenigen, welche niemals darauf ausgingen, irgendeine Befehlsgewalt<br />

über ihre Unglücksgefährten auszuüben — den gewissenlosesten unter ihnen gleichstellt. Auch nicht das Geständnis: sich<br />

mit allen Mitteln zu verteidigen ...<br />

Was dieses "mit allen Mitteln" bedeuten konnte, folgt nun:<br />

"Wenn die SS von den Politischen verlangte, daß sie eine Aussonderung «nicht lebensfähiger» n )<br />

Häftlinge zur vorbestimmten Tötung vornahmen, und die Weigerung das Ende der roten<br />

Vorherrschaft, das Hochkommen der Grünen zur Folge hatte, dann mußte man bereit sein, schuld<br />

auf sich zu nehmen. Man hatte nur die Wahl zwischen aktiver Beihilfe und vermeintlichem Rückzug<br />

aus der Verantwortung, der nach allen Erfahrungen weit Schlimmeres heraufbeschwor. Je zarter<br />

das Gewissen war, desto schwerer mußte die Entscheidung fallen. Da sie fallen mußte, und zwar<br />

rasch, wurde sie von robusten Gemütern getroffen . . . nicht alle sind Märtyrer geworden." (Seite<br />

327.)<br />

Ich habe schon bemerkt, daß es sich nicht um die Aussonderung Lebensunfähiger, sondern der Arbeitsunfähigen handelte.<br />

Der Unterschied ist fühlbar. Wenn man ihn um keinen Preis wahrhaben will, so bekenne ich, daß es besser gewesen wäre,<br />

einen "vermeintlichen 12 ) Rückzug aus der Verantwortung im Lager" zu riskieren, als seinem Gewissen diese "tätige<br />

Beihilfe", zu der man in der Praxis stets bereit war, aufzubürden. Dann wären die Grünen an die Macht gekommen?<br />

Zunächst einmal waren sie nicht Manns genug, sie zu behalten. Ferner hätten sie gerade in diesem Fall in bezug auf die<br />

Masse keinen größeren Eifer entwickelt. Sie hätten keine größere Zahl von Unfähigen bezeichnet und hätten der Qualität<br />

nicht weniger Rechnung getragen, denn bei diesen Aussonderungen kümmerten sich die Roten um die politische Farbe<br />

nicht mehr als die Grünen, falls nicht die Häftlingsführung durch einen der Ihren daran interessiert war.<br />

Wenn man vor der Moral schon dieselbe schuld auf sich nahm, weshalb wollte man dann die Macht den Grünen nehmen<br />

oder diese gegen sie zu behaupten versuchen? Wenn die Grünen an der Macht gewesen wären, ist es möglich, daß die von<br />

ihnen Ausgesonderten bis auf Einzelne nicht dieselben gewesen wären. Aber es hätte sich nichts an der Zahl geändert, die<br />

von der allgemeinen Arbeitsstatistik und von der materiellen Möglichkeit für das Lager, eine mehr oder weniger große Zahl<br />

von<br />

-211-<br />

-212-<br />

11) Im Text zwischen Anführungszeichen.<br />

12) Nur vermeintlich — das mochte ich hervorheben.<br />

Nichtarbeitern durchzuhalten, bestimmt wurde. Eugen Kogon selbst hätte vielleicht nicht so freie Bahn gehabt, vertrauter<br />

Schreiber des SS-Lagerarztes Dr. Ding-Schuler zu werden oder zu bleiben, sondern wäre vielleicht selbst unter die Zahl der<br />

Unfähigen gefallen, wenn er zwangsläufig von ihr getroffen in der Masse gehungert hätte. Wahrscheinlich wäre es mit den<br />

fünfzehn anderen, die seiner Aussage die Absolution erteilt haben, ebenso gewesen. Dann wäre allerdings die<br />

unausdenkbarste Katastrophe eingetreten: sie hätte sich nur ereignen können, wenn...<br />

"Viele sind dadurch als Zeugen am Leben geblieben, nicht alle sind Märtyrer geworden" (bereits<br />

zitiert).<br />

Als ob es vom Standpunkt der Geschichte aus von größerer Bedeutung gewesen wäre, daß Eugen Kogon und seine Clique<br />

Zeugen waren oder andere — als Michelin von Clermont-Ferrant, als Francois de Tessan, als Dr. Seguin, als Cremieux, als<br />

Desnos usw.... denn dieses Wir und dieses Alle bezieht sich natürlich nur auf die Bevorrechtigten der Häftlingsführung und<br />

nicht auf alle Politischen, die gerade den größten Teil der Masse bildeten. Nicht einen Augenblick ist dem Verfasser der

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