DIE LÜGE DES ODYSSEUS
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eauftragt ist, bringt die Teile, die es sortiert hat, mit Schubkarren bis ins Magazin von Dora und entleert sie dort bunt<br />
durcheinander. So wird also mit allem Ernst unaufhörlich auch ein Teil Ausschuß an beiden Tunnel" enden sortiert.<br />
Auf diese Weise gelangen wir von Zwischenfall zu Zwischenfall, von Bombenangriffen über die Herabsetzung der<br />
Ernährung, von unbekannten Komplotten über Sabotagen und Erhängungen zur Befreiung.<br />
Diese ganze Periode habe ich als "Schwung" des Oberscharführers, des Führers der Hundestaffel, erlebt: eine leichte Arbeit,<br />
die darin besteht, seine Stiefel zu reinigen, seine Kleider auszubürsten, sein Zimmer und seinen Schreibtisch peinlich sauber<br />
zu halten und seine Mahlzeiten aus der SS-Kantine zu holen. Jeden Morgen gegen acht Uhr ist mein Tagewerk getan. Den<br />
Rest verbringe ich unter Schwatzen nach rechts und links, mich in der Ofenecke zu wärmen, Zeitungen zu lesen, Rundfunk<br />
zu hören. Bei jeder Mahlzeit gibt mir der SS-Koch, der mir die Suppe für meinen Herrn aushändigt, verstohlen ebensoviel<br />
für mich. Überdies beschäftigen mich die dreißig SS-Männer, die den Block bewohnen, von Zeit zu Zeit mit kleinen<br />
Arbeiten, lassen ihre Kochgeschirre von mir waschen, ihre Stiefel putzen, ihre Zimmer ausfegen usw.. . . Dafür geben sie<br />
mir ihre Reste, die ich jeden Abend für die Kameraden hinaufbringe. Ein schönes Leben.<br />
Die unmittelbare Berührung mit der SS bringt es mit sich, daß ich sie in einem ganz anderen Lichte sehe als unter dem, in<br />
welchem sie im Lager erscheint. Es ist kein Vergleich möglich: in der Öffentlichkeit sind sie Rohlinge, einzeln gesehen,<br />
sind sie Lämmer. Sie betrachten mich neugierig, fragen mich, sprechen ungezwungen mit mir, wollen meine Meinung über<br />
den Ausgang des Krieges hören, ziehen sie in Erwägung: es sind alles Leute — ehemalige Bergarbeiter, ehemalige<br />
Fabrikarbeiter, ehemalige Tüncher — die 1955 arbeitslos waren, und die das Regime aus der Not herausgeführt hat, indem<br />
es für sie etwas tat, das sie als goldene Brücke ansehen. Sie sind einfach, ihr geistiges Niveau ist außergewöhnlich niedrig:<br />
für die Wohltaten, die ihnen das Regime erwiesen hat, führen sie dessen niedrige Geschäfte aus und glauben, mit ihrem<br />
Gewissen, der Moral, dem deutschen Vaterland und der Menschlichkeit im reinen zu sein. Sie haben zwar viel Verständnis<br />
für den bösen Schicksalsschlag,<br />
der mich dadurch getroffen hat, daß ich nach Dora verschickt wurde, unter den anderen Häftlingen aber, deren Bewachung<br />
ihnen übertragen ist, tragen sie den Kopf hoch, stolz, unnahbar und unbarmherzig: nicht ein« mal kommt ihnen der<br />
Gedanke, daß dies Menschen sind wie sie oder auch . . . wie ich!<br />
Die Regelwidrigkeiten des Lagerregimes kommen ihnen nicht zum Bewußtsein und wenn sie sie durch Zufall bemerken,<br />
machen sie dafür in allem Ernst die Häftlingsführung 3 ) oder die Masse der Häftlinge verantwortlich. Sie begreifen nicht, daß<br />
wir abgemagert, schwach und schmutzig sind und in Lumpen gehen. Das III. Reich liefert uns doch alles, was wir<br />
brauchen: Ernährung, Mittel für eine tadellose Hygiene, eine gemütliche Behausung in einem soweit als möglich<br />
modernisierten Lager, gesunde Ablenkung, Musik, Lektüre, Sport, einen Weihnachtsbaum usw.... Dies ist doch der<br />
Beweis, daß, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Hitler recht hat, daß wir einer physisch und moralisch minderwertigeren<br />
Menschheit angehören! Sind sie einzeln für das Böse verantwortlich, das unter ihren Augen, unter ihrem Mitwissen oder<br />
ihrer Mitarbeit, die zugleich unbewußt und unüberlegt ist, geschieht? Sicherlich nicht: Opfer ihrer Umwelt, in welcher alle<br />
Völker ohne Unterschied des Regimes und der Nationalität periodisch auf ihre Weise an den gefährlichen Scheidewegen<br />
ihrer Geschichte scheitern, weil sie der Kontrolle des einzelnen entgehen und kollektiv mit den Traditionen brechen.<br />
Am 10. März ist ein Transport von Bibelforscherfrauen in Dora angekommen; ihm folgte eine Anordnung von Berlin, daß<br />
diese Frauen — es waren 24 — zu leichten Arbeiten verwendet werden sollten. Von nun an wurde die Tätigkeit des<br />
"Schwungs" von ihnen ausgeübt. Ich wurde abgelöst und zum Lager zurückgeschickt. Um einem schlechten Kommando zu<br />
entgehen, hielt ich es für vorsichtiger, meinen Gesundheitszustand auszunützen und mich in das Revier aufnehmen zu<br />
lassen, von dessen Fenstern ich die Bombenangriffe auf Nordhausen am 3. und 5. April — drei Wochen später —<br />
beobachtete, genau zwei Tage, bevor ich in den Evakuierungstransport aufgenommen wurde, dessen Bericht der Prolog ist.<br />
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3) Auch die große Masse der Häftlinge ist der Meinung, daß die Häftlingsführung für die Art des Lebens, die man sie führen ließ, viel mehr<br />
verantwortlich ist als die SS.<br />
ZWEITER TEIL<br />
Erleben der Anderen