DIE LÜGE DES ODYSSEUS
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Kriegsjahren, als die SS nicht mehr ausreichte, wurden Untaugliche der Wehrmacht und Luftwaffe, die für nichts anderes<br />
mehr zu gebrauchen waren, zur Lagerbewachung eingesetzt.<br />
Alle Dienststellen des Lagers finden ihre Verlängerung im SS-Lager, in welchem alles zentralisiert ist und von wo aus die<br />
Tages- oder<br />
-86-<br />
5) Sybariten == Schlemmer (der Obers.).<br />
Wochenberichte unmittelbar an die Dienststellen Himmlers abgehen. Das SS-Lager ist also tatsächlich die<br />
Verwaltungsstelle für das andere. In der Anfangszeit der Lager, also während der Aufbauperiode, verwaltete sie unmittelbar;<br />
in der Folgezeit, und zwar sobald es angängig war, verwaltete sie nur noch über die dazwischengeschalteten Häftlinge. Man<br />
könnte glauben, dies sei aus Sadismus geschehen und hat auch später nicht unterlassen, dies zu behaupten. Es geschah aber<br />
zur Personalersparnis, wie es aus demselben Grunde bei allen Gefängnissen, allen Zuchthäusern aller anderen Nationen auch<br />
geschieht. Die SS verwaltete und regelte die innere Ordnung nur dann unmittelbar, wenn es nicht anders möglich war. Wir<br />
haben nur die Selbstverwaltung der Lager kennengelernt. Alle alten Häftlinge, die beide Arten erlebt haben, erkennen<br />
einstimmig an, die erstere Art sei grundsätzlich besser und menschlicher gewesen, und wenn es in Wirklichkeit nicht dazu<br />
gekommen sei, habe es nur an den Umständen gelegen, weil die Notwendigkeit eines raschen Handelns und die sich<br />
überstürzenden Ereignisse es nicht mehr zuließen. Ich glaube das auch: es ist besser, mit Gott zu tun zu haben als mit<br />
seinen Heiligen.<br />
Die SS stellt also nur die äußere Bewachung sicher und man sieht sie sozusagen niemals innerhalb des Lagers, wo sie sich<br />
darauf beschränkt, beim Vorbeigehen den Gruß der Häftlinge, das bekannte "Mützen ab" zu fordern. Bei dieser Bewachung<br />
wird sie durch eine große Meute von Hunden unterstützt, die, wunderbar dressiert, immer bereit sind, zu beißen und fähig<br />
sind, einen etwa entflohenen Häftling noch in zehn Kilometer Entfernung zu stellen. Jeden Morgen werden die Kommandos,<br />
die zur Arbeit nach draußen gehen, oft fünf bis sechs Kilometer zu Fuß — wenn es noch weiter geht, benutzt man den<br />
Lastwagen oder den Zug — je nach ihrer Größe von zwei oder vier bewaffneten SS-Männern begleitet, von denen jeder<br />
einen Hund mit Maulkorb an der Leine führt. Diese Sonderwache, die die Umrahmung durch die Kapos vervollständigt,<br />
beschränkt sich auf die Überwachung, in die Arbeit greift sie nur selten selbst und nur dann ein, wenn es einer starken Hand<br />
bedarf.<br />
Wenn am Abend alles blockweise zum Appell angetreten ist, erfolgt ein Pfiff, und alle Blockführer gehen zu dem Block, für<br />
den sie verantwortlich sind, zählen die Anwesenden und gehen zur Meldung zurück. Während dieses Vorgangs streifen<br />
Unteroffiziere zwischen den Blocks umher und achten auf Ruhe und Bewegungslosigkeit. Die Kapos, Blockältesten und der<br />
Lagerschutz 4 ) erleichtern ihnen weitgehend ihre Aufgabe in diesem Sinne. Von Zeit zu Zeit zeichnet sich ein SS-Mann<br />
durch seine Roheit vor anderen aus, aber dies geschieht nur selten und auf jeden Fall tritt er nicht unmenschlicher auf als die<br />
vorher Genannten.<br />
87<br />
4) Polizisten, die von den Häftlingen gestellt werden.<br />
Das Problem der Häftlingsführung, also der Leitung des Lagers durch die Häftlinge selbst, beherrscht das Leben der<br />
Konzentrationslager, und die Art, wie es gelöst wird, bedingt ihre Entwicklung entweder zum Schlimmsten oder zum<br />
Menschlichen.<br />
Bei Beginn jedes Lagers besteht keine Häftlingsführung: es ist nur der erste Transport vorhanden, der in der Natur unter SS-<br />
Begleitung ein" trifft, die selbst alle Verantwortungen unmittelbar und im einzelnen zu tragen hat. So ist es auch beim<br />
zweiten, dritten oder vierten Transport. Dies kann sechs Wochen, zwei Monate, sechs Monate, ein Jahr dauern. Sobald aber<br />
das Lager eine gewisse Ausdehnung bekommen hat und die Zahl der ihm zugeteilten SS-Männer nicht ins Unendliche<br />
ausgedehnt werden kann, ist die SS genötigt, das zusätzlich notwendig werdende Personal für die Überwachung und<br />
Organisation aus den Häftlingen zu wählen.<br />
Man muß das Leben in den Lagern mitgemacht und ihre Geschichte in sich aufgenommen haben, um ihre Erscheinung und<br />
das Aussehen, das sie in der Praxis angenommen haben, zu begreifen.<br />
Als 1933 die Lager entstehen, ist der Geisteszustand Deutschlands derart, daß die Gegner des Nationalsozialismus als die<br />
schlimmsten Banditen angesehen werden. Den neuen Herren fällt es daher nicht schwer, die Zustimmung zu erhalten, wenn<br />
sie sagen, es gäbe keine Delikte oder Verbrechen nach dem gemeinen Recht und keine nach dem politischen Recht, sondern<br />
nur Verbrechen und Vergehen kurzerhand. Sie waren einander sogar so gleich, daß es in gewissen Fällen leicht war, in den<br />
Augen einer fanatisierten Jugend, die der SS beitrat, und der die Verwirklichung des Vorhabens anvertraut wurde, die<br />
zweiten noch widerwärtiger zu machen als die ersteren! Man versetze sich nun an die Stelle der fünfzig SS-Männer von<br />
Buchenwald, und zwar an jenem Tag, an dem sie von einem Tausend Häftlingen und der ungeheuren Masse an Material