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DIE LÜGE DES ODYSSEUS

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täglich und alle drei reichlich (Suppe, Fleisch, Gemüse, oftmals Wein), keine Kapos, keine Häftlingsführung, demzufolge<br />

auch keine Schläge. Ein hartes Leben, aber doch zum Aushalten. Eines Tages wurden Facharbeiter verlangt: Hellmuth war<br />

Feinmechaniker, er hat sich gemeldet, man hat ihn in den Tunnel von Dora geschickt und gab ihm einen Preßluftbohrer in<br />

die Hand. Acht Tage später spuckte er Blut.<br />

Vorher hatte ein Häftling neben mir gelegen, der einen Monat in Wieda zugebracht hatte; er hatte mir erzählt, daß die 1500<br />

Insassen dieses Lagers nicht allzu unglücklich waren. Natürlich mußte man arbeiten und bekam auch wenig zu essen, aber<br />

man lebte wie in einer Familie: am Sonntagnachmittag kamen die Dorfbewohner zum Tanz außerhalb des Lagers beim<br />

Klang der Akkordeons der Häftlinge, wechselten freundschaftliche Gespräche mit ihnen und brachten ihnen Lebensmittel.<br />

Anscheinend war dies aber nicht von Dauer, die SS bemerkte es, und in weniger als zwei Monaten ist Wieda ebenso hart<br />

und unmenschlich geworden wie Dora.<br />

Aber die meisten der von außerhalb gekommenen Leute erzählen nur schreckliche Dinge und unter diesen sind jene von<br />

Ellrich die schrecklichsten. Sie kommen in einem unvorstellbaren Zustand an, und man braucht sie nur anzusehen, um<br />

überzeugt zu sein, daß sie nichts erfinden. Wenn man von den Konzentrationslagern spricht, erwähnt man Buchenwald,<br />

Dachau, Auschwitz und dies ist ungerecht: 1944—45 war Ellrich an der Reihe, das schlimmste zu sein. Man wurde dort<br />

nicht untergebracht, nicht eingekleidet, nicht ernährt, es war kein Revier vorhanden, und man<br />

wurde nur mit Erdarbeiten unter Überwachung des Abschaumes der Grünen und Roten und der SS beschäftigt.<br />

Im Revier lernte ich Jacques Gallier, genannt Jacky, einen Clown aus Medrano, kennen. Er war ein Harter unter den Harten.<br />

Wenn man sich über die Härten des Lagerlebens beklagte, antwortete er stets gleichbleibend:<br />

"Ich, verstehst du, habe zwei und ein halbes Jahr in Calvi3) abgemacht:<br />

seitdem bin ich daran gewöhnt."<br />

Und fügte hinzu:<br />

"Mein Alter, in Calvi war es genauso: dieselbe Arbeit, dieselbe ungenügende Ernährung, nur Schläge gab es weniger, aber<br />

es waren Eisen und "Le mitar" 4 ) vorhanden, na und . . , ,<br />

Der Matrose vom Schwarzen Meer, Champale, der fünf Jahre in Clairvaux abgesessen hatte, bestritt es kaum und ich, der<br />

einst Zeuge des Lebens der "Lustigen" in Afrika gewesen war, fragte mich, ob sie nicht Recht hätten 5 ).<br />

* * *<br />

Am 25. Dezember bin ich aus dem Revier mit der festen Absicht weggegangen, keinen Fuß mehr hineinzusetzen.<br />

Verschiedene Vorkommnisse hatten dies bewirkt.<br />

Im Juli hatte Pröll sich selbst eine Spritze mit Zyankali verabreicht. Warum, hat man nie erfahren: am Vorabend ging das<br />

Gerücht, er solle wegen eines Komplotts verhaftet und aufgehängt werden. Er wurde durch Heinz, den kommunistischen<br />

Schmied, ersetzt.<br />

Heinz war ein Rohling. Eines Tages überraschte er einen Fieberkranken, dem das Wasser verboten war, wie er sich die<br />

Lippen anfeuchtete und schlug ihn so lange, bis der Tod eintrat. Man sagte, er sei zu allem fähig: im Chirurgieblock befaßte<br />

er sich mit Blinddarmoperationen — ohne Wissen des verantwortlichen Chirurgen, des Tschechen Cespiva. Man erzählte,<br />

er hätte in der ersten Zeit des Reviers unter der Herrschaft eines grünen Kapos einen Algerier gepflegt, der im Tunnel<br />

zwischen zwei Waggons den Arm gebrochen hatte: er hätte das Schultergelenk ausgebeint, wie ein Metzger dies bei einem<br />

Schinken getan hätte<br />

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3) Calvi: französische Strafanstalt auf Korsika (der Obers.).<br />

4) Mitar = Spezialausdruck in französischen Gefängnissen für Strafbunker.<br />

5) In seinem Buche: »Der Abschaum der Erde" zeichnet Arthur Koestler vom Leben in den französischen Konzentrationslagern ein Bild, das<br />

später meinen Standpunkt noch bestätigt hat. Wie übrigens auch das Buch von Julien Blanc: »Lustiger, mach' deinen Kram." (Ein »Lustiger"<br />

ist in Frankreich ein Soldat aus einer Strafkompanie.)<br />

und, anstatt sein Opfer in Narkose zu versetzen, hätte er es vorher mit Faustschlägen betäubt... Ein Jahr später hallte das<br />

ganze Revier von den Schreien der Unglücklichen wider.<br />

Man erzählte auch noch viele andere Dinge. Fest steht, daß die Kranken sich bei ihm nicht sicher fühlten. Bei mir kam er<br />

eines Tages gegen Ende September mit Cespiva an meinem Bett vorbei und bestimmte, es sei zu meiner Genesung nötig,<br />

mir die rechte Niere herauszunehmen: ich hatte sofort einen meiner Kameraden, der von einer anderen Krankheit befallen

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