DIE LÜGE DES ODYSSEUS
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dem Leben in einem Konzentrationslager etwas zu machen, das dem Bilde in etwa gleichkam, welches die Deutschen durch<br />
Zwischenträger den Familien darstellten, die um Unterrichtung gebeten hatten.<br />
Schlechte Behandlung.<br />
"Ich habe gesehen, wie von meinen unglücklichen Gefährten solche, deren einzige schuld darin<br />
bestand, daß sie kraftlose Arme hatten, unter den Schlägen starben, die ihnen deutsche politische<br />
Häftlinge verabfolgten, die zu Werkmeistern ernannt und zu Mitschuldigen ihrer einstigen Gegner<br />
geworden waren." (Seite 92.)<br />
Die Erklärung folgt:<br />
"Diese Rohlinge hatten mit ihren Schlägen zuerst nicht die Absieht, zu töten; sie töteten jedoch in<br />
einem Anfall fröhlicher Wut, mit entzündeten Augen, scharlachrotem Gesicht, Schaum vor dem<br />
Mund, weil sie nicht aufhören konnten: sie mußten mit ihrem Vergnügen bis zum Äußersten gehen."<br />
Es handelt sich um eine Begebenheit, die ungewöhnlicherweise ohne unwahre Ausflucht den Häftlingen zugerechnet wird.<br />
Man weiß nie: ist es möglich, daß es Menschen gibt, die "in einem Anfall fröhlicher Wut" töten, und die kein anderes Ziel<br />
haben, als "bis zum Äußersten in ihrem<br />
Vergnügen zu gehen". In der Welt, die, wenn auch nicht normal, so doch zumindest zur Gewohnheit geworden und<br />
traditionsgemäß als gut befunden wird, gibt es Regelwidrigkeiten: also kann es sie auch in einer Welt geben, in der alles<br />
regelwidrig ist. Ich möchte jedoch vielmehr glauben, wenn ein Kapo, ein Blockältester oder ein Lagerältester sich so weit<br />
gehen ließen, dann gehorchten sie aus Komplexen entstandenen Trieben, die sie dafür zugänglich machten: dem Bedürfnis,<br />
sich zu rächen, dem Bestreben, den Herren zu gefallen, die ihnen einen gesuchten Posten anvertraut hatten, dem Wunsch,<br />
diesen um jeden Preis zu behalten usw. ... Ich sage weiter noch, daß sie, wenn sie roh wurden, sich im allgemeinen<br />
hüteten, den Tod eines Menschen herbeizuführen, weil dies geeignet gewesen wäre, ihnen Unannehmlichkeiten mit der SS<br />
zu bereiten, zumindest in Buchenwald und Dora.<br />
Trotz dieser Erklärung muß man Martin -Chauffiere Nachsicht angedeihen lassen, wenn er noch zwei Dinge erwähnt, deren<br />
verbrecherischer Charakter keinesfalls als Ergebnis der "Durchführung eines an hoher Stelle abgekarteten Planes" angesehen<br />
werden kann:<br />
Und:<br />
"Jede Woche machte der Kapo des Reviers die Visite (er verstand davon nichts), prüfte die<br />
Temperaturblätter, deren Ränder mit Bemerkungen um eine beunruhigende Diagnose bedeckt<br />
waren, betrachtete die Kranken: wenn ihr Kopf ihm nicht gefiel, erklärte er sie ohne Rücksicht auf<br />
ihren Gesundheitszustand als entlassungsreif. Der Arzt versuchte, seiner Entscheidung<br />
zuvorzukommen oder ihn geneigt zu machen, was schwer vorauszusehen war, denn der Kapo, bei<br />
welchem Eindrücke das Wissen vertraten, hatte außerdem noch Grillen." (Seite 185'.)<br />
"Der eisige Luftzug, die Toilette bei zwangsweise nacktem Rumpf, waren Maßnahmen der<br />
Gesundheitspflege. Jedes Vernichtungsverfahren verbarg sich so hinter einer sanitären Heuchelei.<br />
Dies erwies sich als höchst wirksam. Alle, die an irgendeinem Brustleiden erkrankt waren, wurden<br />
binnen weniger Tage hinweggerafft." (Seite 192.)<br />
Nichts verpflichtete den Kapo zu diesem Verhalten und nichts die Stubendienste, Kalfaktoren und Pfleger des Reviers,<br />
diesen eisigen Luftzug wehen zu lassen, oder die ihnen anvertrauten Unglücklichen ihre Toilette mit nacktem Rumpf und<br />
unterschiedslos in kaltem Wasser vornehmen zu lassen.<br />
Sie taten es jedoch in der Absicht, der SS zu gefallen, die dies in den meisten Fällen nicht wußte, und um ihre stelle zu<br />
behalten, die ihnen das Leben rettete.<br />
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