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DIE LÜGE DES ODYSSEUS

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"Ein guter Bekannter von mir, Willi Jellinek, Zuckerbäcker aus Wien .. . Er war in Buchenwald<br />

Leichenträger, dem Lagerrang nach eine Null. Als Jude, als großer, auffällig starker junger Mann<br />

und als Mensch von ausgeprägter persönlicher Eigenart, hatte er zu Kochs Zeiten wenig Aussicht,<br />

zu überleben. Was ist statt dessen aus ihm geworden? Unser bester Tbc-Sachverständiger, ein<br />

vorzüglicher Heilpraktiker, ein Internist, der sehr vielen Kameraden geholfen hat, und<br />

Bakteriologe in Block 50 dazu .. ." (Seite 324.)<br />

Ich will wohl von der Verwendung und dem Los der Berufsmedizinier absehen, welche die Häftlingsführung einzeln wie im<br />

ganzen als weniger interessant beurteilte als die Herren Krämer und Jellinek. Ebenso will ich von der Zahl der Toten<br />

absehen, mit welcher die vorzügliche Vollkommenheit dieser letzteren erkauft wurde. Aber wenn es schon gut befunden<br />

wird, daß solche Erwägungen unerheblich sind, so liegt um so mehr Grund vor, diese Erfahrung auf die Welt außerhalb der<br />

Konzentrationslager auszudehnen und sie zu verallgemeinern. In aller Ruhe kann man dann gleich zwei Verordnungen<br />

entwerfen: die erste würde alle medizinischen Fakultäten aufheben und sie durch Lehrzentren für Zuckerbäcker und<br />

Eisendreher ersetzen; die zweite würde alle Mediziner, die die Krankenhäuser überfüllen oder Sprechstunde abhalten, den<br />

verschiedenen Unternehmen für öffentliche Arbeiten zuweisen, um sie durch kommunistische oder mit den Kommunisten<br />

sympathisierende Zuckerbäcker oder Eisendreher zu ersetzen.<br />

Ich bezweifle nicht, daß diese letzteren sich mit Ehren herausziehen würden: anstatt ihnen die verursachten Todesfälle aller<br />

Arten vorzuwerfen, schriebe man ihnen das Taktgefühl zugute, mit dem sie in allen Intrigen des politischen Lebens siegen<br />

würden. Auch dies ist eine Art, die Dinge zu sehen.<br />

-221-<br />

Hingabe<br />

"Das Häftlingspersonal (der Zahnstationen) hat von Anfang an darauf gesehen, den Kameraden<br />

so viel wie möglich zu helfen. In sämtlichen Stationen wurde auf eigenes, schweres Risiko in einer<br />

Weise illegal gearbeitet, von der man sich schwer eine Vorstellung machen kann. Gebisse,<br />

Prothesen, Brücken wurden für Häftlinge angefertigt, denen die SS die Zähne eingeschlagen hatte,<br />

oder die sie durch die allgemeinen Lagerverhältnisse verloren hatten." (Seite 131.)<br />

Das stimmt. Aber die "Kameraden", denen geholfen wurde, waren immer dieselben: ein Kapo, ein Blockältester, ein<br />

Lagerältester, ein Schreiber usw. . . . Diejenigen aus der Masse, die ihre Zähne aus den angegebenen Gründen verloren<br />

hatten, sind gestorben ohne künstliche erhalten zu haben oder mußten mindestens mit der Behandlung bis zur Befreiung<br />

warten.<br />

Die Illegalität dieser Arbeit war übrigens von ganz besonderer Art und schloß das vorherige Einverständnis der SS in sich:<br />

"Im Winter 1939, 40 wurde, was nachträglich kaum faßbar erscheint und doch für die Lager<br />

Verhältnisse äußerst bezeichnend ist, durch engste Zusammenarbeit einer Reihe von<br />

Arbeitskommandos illegal ein eigener Operationssaalbau errichtet, der durch den Lagerarzt Dr.<br />

Blies stillschweigend gebilligt wurde . .." (Seite 132.)<br />

Man kann die Tragweite und ihre Folgen ermessen, wenn man berücksichtigt, daß die zahnärztlichen und chirurgischen<br />

Einrichtungen speziell für alle Häftlinge in allen Lagern vorgesehen waren. Und dank der Mithilfe gewisser hochgestellter<br />

SS-Angehöriger konnten sie ihrem Zweck zum alleinigen Besten der Häftlingsführung entfremdet werden. Meine Meinung<br />

geht dahin, daß diejenigen, welche zu dieser Zweckentfremdung die Hand reichten, "ein schweres Risiko eingingen", und<br />

daß darin — von unten gesehen — nur etwas Gerechtes liegt.<br />

Eugen Kogon fühlt selbst die Fragwürdigkeit seiner Logik:<br />

"Im letzten Jahre gab es in einer Reihe von Konzentrationslagern eine so durchgebildete<br />

Selbstverwaltung, daß die SS in wichtige lagerinterne Angelegenheiten keinen Einblick mehr<br />

hatte. Müde geworden, war sie nun daran gewöhnt, daß die Dinge 'von selbst liefen' und ließ im<br />

großen gesehen die Selbstverwaltung der Häftlinge in vielem gewähren ..."

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