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DIE LÜGE DES ODYSSEUS

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Tsch! . . . Tsch! . . . Klack; . . . Tschetscherettschetscht! . . . Klack! . . . Tsch! . . . Klack! . . . Rattatatat! . . . Tsch! . . .<br />

Tsch; . . . Tsch; . . . Tsch;<br />

Die Maschine schwitzt, pustet, stockt, rutscht, knallt immer weiter. Wieder haben die Waffen begonnen, den Tod<br />

auszuspeien. Nach und nach schließt sich die große teilnahmslose Stille der schlummernden Natur wieder über dem Drama,<br />

das seinen Fortgang nimmt und allein von dem wieder regelmäßig gewordenen Rauschen des schwächer gewordenen<br />

Windes gestört wird. Es regnet, regnet, regnet.<br />

* * *<br />

Es regnet nicht mehr.<br />

Stunden sind vergangen: zwei, drei, vier vielleicht. Der Himmel ist endlich müde geworden. In dem dichten schwammigen<br />

Schwarz dort unterhalb des Schienenstranges hat sich etwas bewegt.<br />

Zuerst haben zwei Augen sich zu öffnen versucht, aber die schwer gewordenen Lider haben sich mit einem jähen Reflex<br />

wieder zusammen" gezogen, als befände der Kopf sich unter Wasser.<br />

Eine ausgedörrte Kehle hat sich geschlossen, um Speichel zusammenzuziehen, und bringt einen Erdgeschmack auf die<br />

Zunge. Ein Arm hat eine Bewegung angedeutet, die auf halbem Wege von einem stechenden Schmerz im Unterarm, der bis<br />

zur Schulter taub ist, gelähmt wurde. Dann nichts mehr: der Mann hat sich erneut in die Empfindung eines seltsamen<br />

Daseins verloren und hat ehrlich geglaubt, wieder einzuschlafen.<br />

Plötzlich überläuft ihn ein Frösteln und umhüllt ihn. Die Haut auf seiner Brust ist von der nassen Kleidung freigeworden:<br />

brr! . . . Er hat sich zusammenkauern, sein Bein unter sich wegziehen wollen: au! ... Dann hat er versucht, wieder wach zu<br />

werden, seine Augenlider haben nervös gezuckt, er hat seine Augen gezwungen, offen zu bleiben. Er hat sie in das<br />

undurchsichtige, vollkommene und schwere Dunkel gerichtet. Eine Anwandlung, zu husten, steigt aus seinen Lungen<br />

empor und zerreißt alles in ihm. Er erhält davon den Eindruck, als bestehe sein Körper aus verstreuten und schmerzenden<br />

Stücken im triefenden Gras und auf dem schmutzigen Boden.<br />

Er versucht zu denken. Beim ersten Bemühen geht es ihm wie ein Schlag durch den Kopf:<br />

"Die Hunde!"<br />

Jetzt ist er wach. Er erlebt nochmals alles. Ein Wasserfall von Ereignissen, die sich folgen und ineinandergreifen, ergießt<br />

sich über ihn. Das Verladen, der Transportzug, die Hölle im Waggon, die Kälte, der Hunger,<br />

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die Zeltdecke, der Wind, der Sprung in die Nacht. Der Transportzug: wenn er noch einmal zurückkommen sollte? Die<br />

Hunde: o, alles andere, als diesen Tod!<br />

Er will fliehen: nichts zu machen, die Stücke seines Körpers sind wie festgenagelt. Er will sich sammeln: es kracht überall,<br />

er hört seine Knochen aufeinander knirschen. Trotzdem muß er von hier weg. Um jeden Preis.<br />

Sein Denken geht in anderer Richtung: ein Eisenbahnstrang ist für die angreifenden Soldaten eine Stelle im Gelände, die<br />

von den Angegriffenen benutzt wird. Die Deutschen werden ihn benützen, sich auf ihn zurückzuziehen und sich an ihn<br />

klammern: dann werden sie ihn finden.<br />

Fliehen, ja, fliehen! . . . Sich zumindest um einige hundert Meter absetzen und dort, mehr in Sicherheit, die Ankunft der<br />

Amerikaner erwarten: zunächst einmal aufstehen!<br />

Zuerst sich aufstellen. Er hat laut gedacht, seine Stimme hat den Klang einer Grabesstimme, das Murmeln seiner Lippen<br />

läßt seinem Munde Erdkrümelchen entfallen. Er spuckt aus.<br />

Ft! . . . ft! . . .<br />

Mit unendlicher Vorsicht bewegt er beide Arme hin und her: nach links, nach rechts, immer dieser Schmerz im Unterarm<br />

und in der Schulter.<br />

Halt! Man könnte sagen, er läßt nach ...<br />

Er wiederholt die Bewegung: es ist wahr, der Schmerz legt sich beim Spiel der Muskeln und Gelenke; er hat nichts<br />

gebrochen. Seine Brust atmet freier.<br />

Jetzt zu den Beinen: sanft knetet er seine Muskeln, es tut ihm schrecklich weh, er möchte aufschreien ... Endlich ist es<br />

getan, auch hier ist nichts gebrochen — wenigstens scheint es so. Darüber wird er ruhiger. Auch methodischer.

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