DIE LÜGE DES ODYSSEUS
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
einiger Hoffnung auf endliche Besserung des gemeinsamen Schicksals aufgenommen wurde. Nach einiger Zeit bemerkte man<br />
dann, daß sich nichts geändert hatte, und bis zur nächsten Hinrichtung war es jedermann gleichgültig, ob er auf dem Altar<br />
der Wahrheit oder dem der Lüge geopfert wurde, die sich im Schrecken gleich waren.<br />
-227-<br />
Transporte<br />
"Das Häftlingsbüro der Arbeitsstatistik leitete in den Lagern bekanntlich die Verwendung der<br />
Arbeitskraft unter Kontrolle und auf Anweisung des Arbeitseinsatz- und des Arbeitsdienstführers.<br />
Die SS war dem Ausmaß der Anforderungen im Laufe der Jahre nirgends mehr gewachsen. In<br />
Buchenwald machte SS-Hauptsturmführer Schwarz nur einmal den Versuch, selbst einen<br />
Transport von tausend Häftlingen zusammenzustellen. 'Nachdem er fast das ganze Lager einen<br />
halben Tag lang auf dem Appellplatz hatte stehen lassen, um es durchzumustern, brachte er<br />
glücklich 600 Mann zusammen. Die ausgemusterten Leute, die aus den Blockreihen hatten<br />
heraustreten müssen, verschwanden einfach wieder nach allen Seiten hin. Kein Mensch ging<br />
Schwarz zur Hand..." (S. 286.)<br />
Nach meiner Meinung lag kein Hindernis dafür vor, daß Schwarz' Erfahrung sich jedesmal wiederholte, wenn es darauf<br />
ankam, einen Transport nach irgendeinem Arbeitsort zusammenzustellen: wenn dies der SS nie gelungen wäre, hätte sie<br />
auch nichts besseres verdient. Aber:<br />
"Von da an hat der Arbeitseinsatzführer alle Fragen der Arbeitseinteilung den Häftlingen der<br />
Arbeitsstatistik überlassen." (s. 286.)<br />
Und nachdem auf dem Appellplatz ausgesucht worden war, war es nicht mehr möglich, "nach allen Seiten hin zu<br />
verschwinden" wie bei Schwarz: mit dem Gummiknüppel in der Hand zogen alle Kapos, alle Blockältesten, der ganze<br />
Lagerschutz usw . . . eine drohende Sperre gegen jeden Fluchtversuch. Neben ihnen nimmt sich der SS-Hauptsturmführer<br />
Schwarz wie ein Nachsichtiger aus. sie waren Kommunisten, Antifaschisten, Antihitlerianer usw. .. ., aber sie konnten<br />
nicht dulden, daß irgendwer die von Hitler errichtete Ordnung der Unternehmen störte oder die Kriegsanstrengung des<br />
Dritten Reiches durch Entwischen zu vermindern versuchte. Dafür hatten sie das Recht, die Häftlinge zu bestimmen, die<br />
zum Transport eingeteilt werden sollten, und stellten die Listen dazu mit einem Eifer auf, der über jedes Lob erhaben war:<br />
wie oben gesagt.<br />
Bild<br />
"Die zweite Möglichkeit, von der «Macht durch Korruption» Gebrauch zu machen, war die<br />
persönliche oder kollektive Bereicherung zu Lasten anderer. Sie hat teilweise in den Lagern<br />
geradezu schamlose Ausmaße erreicht, auch dort, wo die Politischen herrschten. Manche<br />
Nutznießer ihrer Machtstellungen haben ein Leben wie die Barone geführt, während ihre<br />
Kameraden zu Hunderten starben. Wenn ganze Kisten von Lebensmitteln mit Fett, Würsten,<br />
Konserven, Mehl, Zucker durch mitbeteiligte SS-Angehörige aus dem Lager geschmuggelt und an<br />
die Familien der betreffenden Häftlinge geschickt wurden, so kann man das gewiß nicht<br />
gerechtfertigt nennen. Aufreizend aber war es, wenn Mitglieder der dünnen Schicht der<br />
Häftlingsprominenz dies zu einer Zeit, als nicht einmal die Heimat-SS mehr hohe Stiefel trug,<br />
sondern nur noch Wehrmachtsschuhe, wie Magnaten herumstolzierten, "a la mode" und auf<br />
Schnitt gekleidet, stutzerhaft, ja manche sogar mit kleinen Hunden an der Leine! Das alles inmitten<br />
eines Chaos von Elend, Dreck, Krankheit, Hunger und Tod. Hier überschritt der<br />
«Selbsterhaltungstrieb» jede vernünftige Grenze und endete in einem wenn auch lächerlichen, so