28.10.2014 Aufrufe

DIE LÜGE DES ODYSSEUS

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

vom Krieg nicht geheilt, sondern forderten Rache. Da sie an einem Minderwertigkeitskomplex litten — denn um zu vierzig<br />

Millionen Landsleuten zu sprechen zählten sie nur knapp 50 000 und in welchem Zustand! — unternahmen sie es, um<br />

sicherer Mitleid und Anerkennung zu erwecken, sich mit einer wahren Lust in Entsetzlichkeiten vor einer Öffentlichkeit zu<br />

ergehen, die Oradour erlebt hatte und stets weitere Sensationen wünschte.<br />

Da einer den anderen anregte, schien es, als seien sie in ein Triebwerk geraten, das sie schrittweise — bei manchen<br />

unbewußt, bei der größten Zahl aber wissentlich — dazu führte, das Bild noch schwärzer zu malen.<br />

So wie es auch bei Odysseus war, der Wunder vollbrachte und im Verlauf seiner Fahrt an jedem Tag seine Odyssee um ein<br />

neues Abenteuer erweiterte, wohl mehr, um der Vorliebe der Öffentlichkeit jener Zeit gerecht zu werden, als seine lange<br />

Abwesenheit vor seinen Angehörigen zu rechtfertigen. Während es aber Odysseus gelang, seine eigene Legende zu ersinnen<br />

und die Aufmerksamkeit von fünfundzwanzig Jahrhunderten der Geschichte auf sie zu lenken, ist die Behauptung wohl nicht<br />

übertrieben, daß die Verschickten dabei einen Fehlschlag erlitten.<br />

In der ersten Zeit nach der Befreiung ging alles gut. Man konnte ihre Aussagen nicht bestreiten, ohne Gefahr zu laufen,<br />

verdächtigt zu werden, und wenn man es gekonnt hätte, hätte man dazu keine Lust verspürt. Aber langsam und gleich einer<br />

stillschweigenden Verschwörung nahm die Wahrheit ihre Rache. Mit Hilfe der Zeit und der Wiederkehr der<br />

Meinungsfreiheit kam sie unter immer normaler werdenden Lebensbedingungen ans Tageslicht. Mit der Gewißheit, das<br />

allgemeine Unbehagen zu erklären und keine Irreführung zu begehen, konnte man schreiben:<br />

oder auch:<br />

"Wer weit her kommt, hat gut lügen ... Ich habe zahlreiche Berichte von Verschickten gelesen: immer habe ich ein<br />

absichtliches Verschweigen oder den Faustschlag herausgefühlt. Selbst David Rousset führt uns zeitweise in die<br />

Irre: er erklärt zuviel."<br />

Abbe Marius Perrin Professor an der katholischen Fakultät in Lyon.<br />

(in der Zeitung: "Le Pays Roannais", 27. Oktober 1949)<br />

"«Die letzte Etappe» ist ein dummer Film oder ein Versager."<br />

Robert Pernot<br />

(Paroles francaises", 27. November 1949)<br />

alles Dinge, die nie jemand von "Le Feu", "Les Croix de Bois", "La Grande Illusion", "Im Westen nichts Neues" oder den<br />

"Vier von der Infanterie" zu denken gewagt hätte.<br />

Bei den ehemaligen Frontsoldaten waren vierzehn Jahre erforderlich, bevor sie ihr Ansehen bei der öffentlichen Meinung<br />

verloren hatten: die Verschickten, die doch bessere Warfen in der Hand hatten, brauchten nur vier, um alle ihre Schiffe zu<br />

verbrennen.<br />

Dies ist die Bedeutung der Wahrheit in der Geschichte.<br />

-140-<br />

-141-<br />

* * *<br />

Ich möchte noch eine kleine persönliche Anekdote berichten, die für den völlig relativen Wert typisch ist, der<br />

Zeugenaussagen im allgemeinen beigelegt werden muß.<br />

Die Szene spielt vor einem Gericht im Herbst 1945. Eine Frau sitzt auf der Anklagebank. Der Widerstandsbewegung, die<br />

sie der Kollaboration bezichtigte, war es nicht gelungen, sie noch vor der Ankunft der Amerikaner niederzuschießen, aber<br />

ihr Ehemann ist an einem Abend im Winter 1944,45 einem Feuerstoß aus einer Maschinenpistole an der Ecke einer<br />

dunklen Straße zum Opfer gefallen. Ich habe niemals erfahren, was das Ehepaar angestellt hatte, von dem ich schon vor<br />

meiner Verhaftung die unwahrscheinlichsten Geschichten gehört hatte. Um Klarheit zu bekommen, habe ich mich nach<br />

meiner Rückkehr in den Gerichtssaal begeben.<br />

In der Anklageschrift steht nicht viel. Dafür sind die Zeugen um so zahlreicher und unbarmherziger. Der wichtigste von<br />

ihnen ist ein Verschickter, der ehemalige Führer der örtlichen Widerstandsgruppe — wie er sagt! Die Richter sind durch die<br />

vor den Schranken des Gerichts erhobenen Anschuldigungen, deren Stichhaltigkeit ihnen sehr fragwürdig erscheint,<br />

sichtlich in Verlegenheit gebracht.<br />

Der Anwalt der Verteidigung sucht nach einem schwachen Punkt in den Aussagen.<br />

Der Hauptzeuge erscheint. Er erklärt, daß Mitglieder seiner Gruppe den Deutschen denunziert worden sind, und daß dies nur<br />

von der Angeklagten und ihrem Ehemann, die in vertrautem Verhältnis zu ihnen standen und ihre Tätigkeit kannten,

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!