DIE LÜGE DES ODYSSEUS
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tung vergrößert sich mit der Zeit, so daß drei Leute notwendig werden, um zweiunddreißig zu verhauen und von diesem<br />
Augenblick an ist die verlorene Zeit nicht mehr einzuholen; für den Rest des Tages ist der Betrieb in Unordnung.<br />
Bei der vierten Fahrt neuer Aufenthalt, neue Hiebe. Bei der fünften begreifen Kapo und Vorarbeiter, daß nichts mehr zu<br />
machen ist und werden des Prügelns überdrüssig. Am Abend ist man statt der vorgesehenen 56 Fahrten — drei Fahrten pro<br />
Stunde — auf höchstens insgesamt fünfzehn oder zwanzig gekommen.<br />
Zwölf Uhr: ein halber Liter heißer Kaffee wird an der Arbeitsstelle ausgegeben. Man trinkt ihn im Stehen und ißt dazu den<br />
Rest des Brotes, der Margarine und der Wurst, die am Morgen verteilt wurden. Zwölf Uhr zwanzig: Wiederaufnahme der<br />
Arbeit.<br />
Am Nachmittag zieht sich die Arbeit in die Länge. Die ausgemergelten und durchfrorenen Männer haben nicht mehr die<br />
Kraft, sich aufrecht zu halten. Der Kapo verschwindet, die Vorarbeiter werden weich und der Meister sieht auch so aus, als<br />
begreife er, daß aus diesen menschlichen Ruinen, die wir darstellen, nichts mehr herauszuholen ist und läßt alles laufen.<br />
Man tut so, als arbeite man: auch dies ist sehr hart, denn man muß die Hände reiben und mit den Füßen trampeln, um sich<br />
gegen die Kälte zu wehren. Von Zeit zu Zeit kommt ein SS-Mann vorbei: die auf der Lauer liegenden Vorarbeiter sehen ihn<br />
von weitem kommen und künden ihn an: wenn er auf die Höhe des Kommandos kommt, ist alles tatsächlich an der Arbeit.<br />
Er spricht ein Wort mit dem Meister:<br />
"Wie geht's,"<br />
Ein entmutigtes Achselzucken gibt ihm Antwort:<br />
"Langsam, langsam. Sehr langsam! Schauen Sie mal diese Lumpen:<br />
was soll man mit ihnen machen,"<br />
Der SS-Mann zuckt auch mit den Schultern, brummt und geht weiter oder ergeht sich je nach Laune in Beschimpfungen,<br />
verteilt gelegentlich auch einige Faustschläge, droht mit seinem Revolver und verläßt den Ort. Wenn er außer Sichtweite<br />
ist, erholt sich das Kommando von neuem.<br />
"Aufpassen! Aufpassen!" sagt der Meister fast väterlich.<br />
So wird es achtzehn Uhr abends bei allgemeiner Abspannung.<br />
"Feierabend", sagt der Meister.<br />
Der seit einigen Minuten wieder erschienene Kapo faßt seine Leute zum Zusammentragen der Werkzeuge zusammen, stößt<br />
einige Schreie aus, die die Vorarbeiter anstacheln, verteilt einige Schläge: Rückkehr zur<br />
Disziplin durch den Terror.<br />
Sechs Uhr vierzig: das Kommando marschiert in Fünferreihen im Gleichschritt Richtung Lager. Um sieben Uhr wird<br />
blockweise und nicht<br />
Die Arbeit: Bau einer Straße, die vom Bahnhof zum Lager führt, wozu man sich der Seite des Hügels bedient. Ein<br />
schmalspuriges Eisenbahngleis in Form einer Ellipse, deren Längsdurchmesser etwa 800 Meter beträgt, ist bergab gelegt.<br />
Zwei Züge zu Je acht Loren, die von einer Öllokomotive gezogen werden, vollführen eine Art ewiger Rundfahrt auf den<br />
Gleisen. Während 52 Mann — vier je Lore — die auf dem Gipfel befindliche Zugreihe beladen, entladen 52 andere<br />
diejenige, die sich am Fuße befindet, wobei sie darauf achten müssen, daß die Erdmassen planiert werden. Wenn der Zug<br />
wieder leer zum Gipfel kommt, muß der andere beladen abfahren: alle zwanzig Minuten. Gewöhnlich ist die erste Abfahrt<br />
im vorgeschriebenen Tempo sicher. Bei der zweiten gibt es schon Verspätungen, die bei Meister, Kapo und Vorarbeitern<br />
ein Murren hervorrufen. Bei der dritten ist der Leerzug schon seit fünf Minuten da und es sind noch weitere fünf Minuten<br />
nötig, bevor er abfahren kann: der Meister lächelt ironisch und zuckt die Achseln, der Kapo brüllt und die Vorarbeiter fallen<br />
über uns her. Keiner kommt um seine Tracht Prügel herum. Die Verspä-<br />
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nach Kommandos angetreten, dann warten wir erneut zähneklappernd, mit den Füßen im Dreck, daß diese Herren mit<br />
unserer Zählung endlich fertig werden: das nimmt zwei oder drei Stunden in Anspruch.<br />
Zwischen acht und neun Uhr kommen wir in den Block. Ein Stubendienst, den Gummiknüppel in der Hand, steht am<br />
Eingang: es heißt Schuhe ausziehen, die Holzschuhe waschen und sie in der Hand haltend eintreten und auch nur dann,<br />
wenn sie als sauber befunden worden sind. Beim Durchgang in den Eßraum müssen sie in Reihen abgestellt werden, dann<br />
hält man sein Kochgeschirr einem anderen Stubendienst hin, der theoretisch einen Liter Suppe hineingießt, man ißt stehend<br />
und in einem unbeschreiblichen Durcheinander. Sind die vorgeschriebenen Formalitäten erfüllt, so erlaubt ein dritter