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Bbl 2001 1715 - admin.ch

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2.1.2 Behinderung als existenzielle Beeinträ<strong>ch</strong>tigung und<br />

besondere Herausforderung an die Lebensbewältigung<br />

Die Definition der Behinderung als existenzielle Beeinträ<strong>ch</strong>tigung geht aus von der<br />

Vorstellung, dass die primäre Aufgabe des Mens<strong>ch</strong>en darin besteht, zu überleben,<br />

au<strong>ch</strong> wenn er ni<strong>ch</strong>t im Vollbesitz all seiner physis<strong>ch</strong>en und psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Kräfte ist.<br />

Gestützt auf diese Si<strong>ch</strong>tweise entstanden vers<strong>ch</strong>iedene Kategorisierungen der Behinderung<br />

mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Kriterien, wel<strong>ch</strong>e teils zu statistis<strong>ch</strong>en Zwecken<br />

(z.B. jährli<strong>ch</strong>e IV-Statistik, erstellt vom Bundesamt für Sozialversi<strong>ch</strong>erung), teils für<br />

die Ums<strong>ch</strong>reibung der gesetzli<strong>ch</strong>en Anspru<strong>ch</strong>svoraussetzungen na<strong>ch</strong> dem Bundesgesetz<br />

über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung vom 19. Juni 195919 verwendet werden (siehe<br />

Anhänge 1 und 2).<br />

Die IV-Statistik unters<strong>ch</strong>eidet – neben dem gesetzli<strong>ch</strong>en Kriterium des Invaliditätsgrades<br />

– na<strong>ch</strong> drei Ursa<strong>ch</strong>en (Geburtsgebre<strong>ch</strong>en, Krankheit, eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er<br />

Leiden, Unfall) sowie in Anlehnung an medizinis<strong>ch</strong>e Kriterien na<strong>ch</strong> Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen<br />

und Funktionsausfällen. Sodann untersu<strong>ch</strong>t sie die Invaliditätswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit,<br />

d.h. die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, im Verlaufe des Lebens von Invalidität<br />

betroffen zu sein (siehe Graphik 1 im Anhang 1).<br />

Das Gesetz über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung definiert in Art. 4 IVG Invalidität ursa<strong>ch</strong>en-<br />

und wirkungsbezogen als «die dur<strong>ch</strong> einen körperli<strong>ch</strong>en oder geistigen Gesundheitss<strong>ch</strong>aden<br />

als Folge von Geburtsgebre<strong>ch</strong>en, Krankheit oder Unfall verursa<strong>ch</strong>te,<br />

voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit.»<br />

Im Vernehmlassungsentwurf zur vierten IV-Revision werden die Formen der Behinderung<br />

präzisiert: neben den körperli<strong>ch</strong>en oder geistigen Gesundheitss<strong>ch</strong>äden<br />

werden die psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Gesundheitss<strong>ch</strong>äden als eigene Kategorie aufgezählt20. Die<br />

IV-Gesetzgebung betra<strong>ch</strong>tet Behinderung unabhängig von den Ursa<strong>ch</strong>en und Formen<br />

als ein vornehmli<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>es Lebensbewältigungsproblem. Das Ausmass<br />

der Behinderung bestimmt si<strong>ch</strong> deshalb na<strong>ch</strong> den ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen der<br />

Behinderung im Erwerbsleben.<br />

In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass Behinderung ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>gesetzt werden<br />

darf mit Erwerbsbehinderung oder mit ökonomis<strong>ch</strong>er Unselbständigkeit. Beispiele<br />

ho<strong>ch</strong>begabter Mens<strong>ch</strong>en, wel<strong>ch</strong>e sinnesbehindert oder mobilitätsbehindert<br />

sind und erfolgrei<strong>ch</strong> eine berufli<strong>ch</strong>e oder akademis<strong>ch</strong>e Laufbahn einges<strong>ch</strong>lagen haben,<br />

ma<strong>ch</strong>en dies deutli<strong>ch</strong>. Behinderung kann gerade ein Anreiz sein, seine Lebensbewältigungsaufgabe<br />

in hervorragender und eindrückli<strong>ch</strong>er Weise im persönli<strong>ch</strong>en<br />

und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> zu erfüllen. Zum Bild des S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en gehört au<strong>ch</strong><br />

dessen (verbleibende) Stärke21, wel<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> eine körperli<strong>ch</strong>e oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Verletzung<br />

in besondere Weise mobilisiert und dur<strong>ch</strong> die Entwicklung besondere Fähigkeiten<br />

kompensiert werden kann. Allerdings: Zur Realisierung der (verbleibenden)<br />

Lebens<strong>ch</strong>ancen bedarf es neben der subjektiven Anstrengung au<strong>ch</strong> ob-<br />

19 IVG, SR 831.20<br />

20 Vgl. Vernehmlassungsentwurf über die vierte IV-Revision vom 4. Juli 2000. Das<br />

Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>ts<br />

(ATSG) gelangt dur<strong>ch</strong> die Verbindung seines Art. 8 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1<br />

des IVG, den es abändert (vgl. Ziff. 8 des Anhangs) zu einem verglei<strong>ch</strong>baren Ergebnis<br />

(BBl 2000 5041).<br />

21 Vgl. Erwin Murer, Vom S<strong>ch</strong>utz des Starken im S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en oder das Bild des S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en<br />

im Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t, in: Peter Gau<strong>ch</strong> (Hrsg.), Das Mens<strong>ch</strong>enbild im Re<strong>ch</strong>t,<br />

Mélanges, Universität Freiburg, 1999, S. 359–382.<br />

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