ANK_Jugendliche_Schule_Beruf2008.18878.pdf - Die Senatorin für ...
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100 Vier Geschichten vom Überleben in der Warteschleife<br />
Viele Betriebe empfangen Frauen und junge<br />
Mütter nicht gerade mit offenen Armen. ›Bei<br />
verschiedenen Autohäusern haben sie mir<br />
gesagt, ich könne die Bewerbungsunterlagen<br />
schicken, aber es würde schwer, weil ich eine<br />
Frau bin. Sie bräuchten dann ja auch noch<br />
Frauentoiletten und deshalb sind sie bei Frauen<br />
immer vorsichtiger.‹ Doch entmutigen lässt<br />
sich Janine dadurch nicht. ›Irgendwann wird<br />
es klappen, ich bin zuverlässig und ich lerne<br />
sehr, sehr gerne.‹ Bei diesen Worten kommen<br />
gar keine Zweifel auf, dass Janine sich in<br />
zehn Jahren ihren Lebenstraum erfüllt hat. ›Ich<br />
möchte meine eigene Werkstatt haben und<br />
selber jemanden ausbilden.‹ Dann kann sie<br />
endlich das selbst machen, was sie heute<br />
vermisst. ›Ich fände es gut, wenn sich jemand<br />
da<strong>für</strong> stark macht, dass junge Mütter die<br />
gleichen Chancen wie Männer haben.‹<br />
Özkan<br />
Szenenwechsel an die andere Ecke der Stadt,<br />
in ein anderes Einkaufszentrum. In einem<br />
Café im Weserpark sitzt Özkan, 22, und<br />
erzählt. ›Man muss wissen, was man wert ist.<br />
Als mein Trainer mich nicht in der ersten<br />
Mannschaft aufgestellt hat, habe ich den Verein<br />
gewechselt.‹ Özkan ist ein Kämpfer.<br />
Aufgewachsen in der Vahr. Als er im Flugzeug<br />
einmal den türkischen Fußballnationaltrainer<br />
erkannt hat, verfolgte er ihn bis in die erste<br />
Klasse und durfte trotz Protests des Personals<br />
neben ihm sitzen bleiben. Durch seine<br />
Liebe zum Fußball habe es im ersten Anlauf<br />
allerdings auch nur zum erwei-<br />
terten Hauptschulabschluss<br />
gereicht, gibt Özkan selbst- ›Bei meinen deutschen<br />
kritisch zu.<br />
Freunden kriege ich mit,<br />
Und auch da<strong>für</strong>, dass er dass die Eltern ganz andere<br />
anschließend im Bildungszen- Beziehungen und Kontakte<br />
trum Mitte den Realschulab- haben. <strong>Die</strong> haben wir nicht.‹<br />
schluss nicht gepackt hat, gibt<br />
er niemandem anderen die<br />
Schuld. Den Stolz geraubt hat<br />
ihm diese Schlappe nicht. Als er sich von<br />
einem Ausbilder im Bildungszentrum ungerecht<br />
behandelt fühlt, schmeißt er die Ausbildung<br />
hin. ›Danach war ich ganz schön unten,<br />
50 bis 60 Bewerbungen habe ich geschrieben,<br />
vorstellen durfte ich mich vielleicht drei<br />
Mal.‹ Immerhin schafft er es bei Daimler, wo<br />
sein Vater am Band arbeitet, zum Einstellungstest,<br />
den er aber vergeigt.<br />
Der eine oder andere Arbeitgeber habe ihn<br />
bestimmt auch wegen seiner türkischen<br />
Herkunft nicht eingeladen, vermutet Özkan,<br />
die eigentliche Benachteiligung sieht er aber<br />
woanders. ›Bei meinen deutschen Freunden<br />
kriege ich mit, dass die Eltern ganz andere<br />
Beziehungen und Kontakte haben. <strong>Die</strong> haben<br />
wir nicht.‹ Da<strong>für</strong> gibt es Sozialarbeiter im Bürgerzentrum<br />
Vahr, die bei den Bewerbungen<br />
helfen und ihn aufbauen. ›Drei Monate lang bin<br />
ich jeden Morgen zur Arbeitsagentur gegangen<br />
und habe die genervt.‹ Zuerst wird er<br />
noch mit einer verwirrend dicken Mappe mit<br />
allen möglichen Maßnahmen abgespeist.<br />
Doch dann kommt das entscheidende Angebot:<br />
ein Berufsorientierungsjahr an der Berufsschule<br />
Reiherstraße. Nach dem Jahr bekommt<br />
er einen Platz in der Verbundausbildung zum<br />
Konstruktionsmechaniker und findet großen<br />
Spaß an der Arbeit. ›Es ist eine ganz andere<br />
Welt, in einem richtigen Betrieb zu arbeiten.‹<br />
Vor ein paar Tagen hat er seine Freisprechung<br />
bekommen. ›Meine Kumpel sind mächtig stolz<br />
auf mich‹, sagt Özkan mit leuchtenden Augen.<br />
›Aber die Zukunft wird schwer. <strong>Die</strong> einzige<br />
Chance ist erstmal Zeitarbeit.‹ Das nervt ihn<br />
zwar, aber die Alternative, noch die Fachhochschulreife<br />
zu machen, verwirft er schnell.<br />
›Ich will nicht mehr zur <strong>Schule</strong>, ich kenne<br />
viele, die sind schon völlig überqualifiziert.‹