ANK_Jugendliche_Schule_Beruf2008.18878.pdf - Die Senatorin für ...
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2. <strong>Die</strong> Workfare-Orientierung hat darüber<br />
hinaus einen nicht zu unterschätzenden Effekt<br />
<strong>für</strong> die öffentliche Wahrnehmung der von<br />
Arbeitslosigkeit Betroffenen. Andre Gorz hat<br />
darauf hingewiesen, dass die Stigmatisierung<br />
der Arbeitslosen ein Strukturelement aller<br />
Workfare-Ansätze darstellt. ›Alle Formen von<br />
Workfare stigmatisieren die Arbeitslosen als<br />
Versager und Faulenzer, die von der Gesellschaft<br />
berechtigterweise und zu deren eigenen<br />
Besten zur Arbeit zu zwingen sind. <strong>Die</strong><br />
Gesellschaft überzeugt sich so selbst von der<br />
Ursache der Arbeitslosigkeit: <strong>Die</strong>se Ursache<br />
seien die Arbeitslosen selbst. Sie besäßen<br />
weder die Qualifikationen noch die sozialen<br />
Kompetenzen, noch den notwendigen Willen,<br />
um einen Arbeitsplatz zu erhalten.‹ 52<br />
Nicht zufällig leitete der ehemalige Bundeskanzler<br />
Gerhard Schröder den radikalen<br />
Umbau des Sozialstaats mit dem Hinweis ein,<br />
es gäbe in Deutschland kein Recht auf Faulheit.<br />
<strong>Die</strong> damit implizierte ›Sündenbock-Theorie‹<br />
wurde zur ›Grundlage der Hartz-IV-Politik‹.<br />
53 Und in der Tat sind die Strukturen von<br />
Hartz IV und die dort konstituierten Zwangsverhältnisse,<br />
Offenlegungspflichten und<br />
Verhaltenserwartungen nichts weniger als der<br />
Ausdruck des institutionalisierten Verdachts,<br />
Arbeitslose würden nicht genug tun, um <strong>für</strong><br />
sich selbst zu sorgen. 54<br />
3. Problematisch ist auch das standardisierte<br />
Verfahren des Profilings und der Einordnung<br />
in Kundengruppen, da sie ebenfalls einen<br />
Selektions- und Stigmatisierungseffekt mit<br />
sich bringen. Stellt bereits die Benachteiligung<br />
an sich eine Stigmatisierung dar, werden nunmehr<br />
einzelne Formen der Benachteiligung<br />
identifiziert. In der Folge werden die betroffenen<br />
<strong>Jugendliche</strong>n dementsprechend unterschiedlich<br />
›klassifiziert‹ und behandelt, womit<br />
faktisch ein Stufensystem von Benachteiligung<br />
eingeführt wird. 55 Mit Lutz Wende gesprochen:<br />
›<strong>Die</strong> Leistungen der Benachteiligtenförderung<br />
erfolgen nicht mehr unter dem Aspekt der<br />
Benachteiligung als solcher, sondern unter<br />
dem Aspekt der Zugehörigkeit zu einer<br />
Bedarfsgemeinschaft. Darüber hinaus werden<br />
Maßnahmenpakete der jeweiligen Kundensteuerung<br />
zugeordnet, so dass nicht Jedem<br />
beziehungsweise Jeder alle Maßnahmemöglichkeiten<br />
offenstehen, sondern diese der<br />
Zuordnung als Beratungs- beziehungsweise<br />
als Betreuungskunde unterliegen.‹ 56 Besonders<br />
anschaulich ist die selektive Wirkung der Kundengruppenzuordnung<br />
am Beispiel der Betreuungskunden<br />
mit multiplen Problemlagen und<br />
geringen Integrationschancen, denen per<br />
Zuordnung eine berufliche Integration in den<br />
ersten Arbeitsmarkt oder die Vermittlung in<br />
ein sozialpädagogisch betreutes Ausbildungsverhältnis<br />
verwehrt bleibt. Mit der Einordnung<br />
in Kundengruppen ›erfolgt eine Differenzierung<br />
›am unteren Rand‹, die <strong>für</strong> jedes Niveau<br />
gesellschaftlicher Partiellintegration noch<br />
passende Aktivierungsschleifen vorsieht und<br />
dabei sogar das Herausfallen aus Leistungen<br />
bei Sanktionen als Fordern versteht‹ 57 .<br />
52 Gorz, A. (2000): Arbeit zwischen Misere und Utopie, S. 114.<br />
53 Vgl. Klinger, N./König, J. (2006): a.a.O., S. 113.<br />
54 Deshalb wunderte es auch nicht, dass der Schuldige schnell<br />
gefunden war, als die ersten Berichte über höhere Betroffenenzahlen<br />
als erwartet und massive Kostensteigerungen <strong>für</strong> Unruhe<br />
sorgten: die ›faulen‹ Arbeitslosen. So veröffentlichte Ex-Wirtschaftsminister<br />
Clement in einer der letzten von ihm verantworteten<br />
Schriften seines Hauses mit dem Titel ›Vorrang den Anständigen‹<br />
eine ›journalistische Studie‹ über die Hintergründe der<br />
Kostenexplosion, die er anhand von ausgewählten Beispielen im<br />
Leistungsmissbrauch lokalisierte. In diesem Zusammenhang<br />
stellt der Bericht fest: ›Biologen verwenden <strong>für</strong> ›Organismen, die<br />
zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen<br />
auf Kosten anderer Lebewesen – ihren Wirten – leben‹<br />
übereinstimmend die Bezeichnung ›Parasiten‹. Natürlich ist<br />
es völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu<br />
übertragen. Schließlich ist Sozialbetrug nicht durch die Natur<br />
bestimmt, sondern vom Willen des Einzelnen gesteuert‹<br />
(BMWA/Bundesministerium <strong>für</strong> Wirtschaft und Arbeit (2005):<br />
Vorrang den Anständigen, S. 10).<br />
55 Vgl. Wende, L. (2005): a.a.O., S. 41.<br />
56 Ebenda, S. 41.<br />
57 Polutta, A. (2005): a.a.O., S. 28.<br />
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