ANK_Jugendliche_Schule_Beruf2008.18878.pdf - Die Senatorin für ...
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<strong>Die</strong> Pädagogik der Hartz-Gesetze<br />
mehr zur Illusion wird. 15 Hartz IV steht <strong>für</strong> eine<br />
neue Klasse, die ›Hartz-IV-Klasse‹ 16 , die neue<br />
soziale Unterschicht, das ›abgehängte Prekariat‹,<br />
das nicht mehr am wachsenden Reichtum<br />
der Gesellschaft partizipiert, sondern sich<br />
dauerhaft in den Randzonen der Unsicherheit<br />
einrichten muss. Hartz IV steht darüber hinaus<br />
da<strong>für</strong>, dass der sozialpolitische Wind im Lande<br />
kälter geworden ist: Arbeitslose sollen sich<br />
nicht mehr in der sozialen Hängematte zur<br />
Ruhe legen, sondern sie sollen sich angespornt<br />
durch eine minimalste Absicherung und<br />
angetrieben durch die neue, radikalisierte<br />
›Fördern-und-Fordern‹-Philosophie in Bewegung<br />
halten und sich den ständig wechselnden<br />
Erfordernissen der Märkte stellen.<br />
In der Tat repräsentieren die Hartz-Gesetze<br />
in idealtypischer Form die Philosophie des<br />
neuen, aktivierenden Sozialstaats, der sich<br />
weltweit als Antwort auf die Herausforderungen<br />
der globalisierten Moderne durchgesetzt<br />
hat. <strong>Die</strong> den Modernisierungsprozess prägende<br />
Ideologie basiert im Wesentlichen auf<br />
zwei aufeinander bezogenen Prinzipien: mehr<br />
Markt und mehr Eigenverantwortung. So ist<br />
die unhinterfragte Basisideologie die, dass<br />
der Markt das grundsätzlich leistungsfähigere<br />
Steuerungsinstrument ist, egal ob es sich um<br />
die Organisation der Familie, eines Altenheimes,<br />
einer Kommune oder einer Imbissbude<br />
handelt. Konkurrenz, und sei sie inszeniert,<br />
fördert die Effizienz und Leistungsfähigkeit bei<br />
der Anfertigung eines Personalausweises, bei<br />
der Inhaftierung eines Strafgefangenen sowie<br />
bei der Beratung von Arbeitslosen. 17 Lebenszusammenhänge,<br />
Organisationen, Probleme,<br />
Handlungen, Übergänge und so weiter müssen<br />
folgerichtig ›gemanagt‹ werden. So werden<br />
die ›Hausfrau‹ zur ›Familienmanagerin‹,<br />
die Bundeskanzlerin zur Vorstandsvorsitzenden<br />
der Deutschland-AG und die sozialpädagogische<br />
Einzelfallhilfe zum Fallmanagement.<br />
Um in dieser Marktgesellschaft mehr oder<br />
minder gedeihlich zu überleben, bedarf es<br />
allerdings einer neuen Haltung der Menschen,<br />
einer Abkehr von der ›Vollkaskomentalität‹ des<br />
gewährleistenden Sozialstaats und der Stärkung<br />
der Eigenverantwortung des Einzelnen. 18<br />
Das neue Leitbild des aktivierenden Staates<br />
zielt darauf ab, die Subjekte mit dem nötigen<br />
Startkapital in Form von ›Bildungsgütern‹<br />
auszustatten und er ›fördert und fordert‹<br />
vor allem diejenigen, die beim Marktspiel nicht<br />
in der ersten Reihe stehen.<br />
15 Ulrich Beck betont in diesem Sinne zusammenfassend: ›Das Herausragende<br />
ist vielmehr die Ausbreitung des Prekären, Diskontinuierlichen,<br />
Flockigen, Informellen hinter den Fassaden der<br />
immer gespenstischer werdenden offiziellen Beschäftigungsstatistik.<br />
Im Zentrum Deutschlands breitet sich ein sozialstruktureller<br />
Flickenteppich aus, will sagen: die Vielfalt, Unübersichtlichkeit<br />
und Unsicherheit von Arbeits-, Biographie- und Lebensformen,<br />
wie sie <strong>für</strong> den südlichen Teil unseres Globus charakteristisch<br />
ist. Sind in Brasilien ambulante Verkäufer, Kleinhändler, Kleinhandwerker,<br />
<strong>Die</strong>nstboten aller Art typisch, sind es bei uns<br />
Arbeits-Nomaden, die zwischen verschiedenen Tätigkeiten,<br />
Beschäftigungsformen und Ausbildungen hin und her pendeln.‹<br />
Beck, U. (2005): a.a.O., S. 33. Vergleiche dazu die Befunde der<br />
vorliegenden Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung.<br />
Darüber hinaus Lessenich, S./Nullmeier, F. (2006):<br />
Deutschland – eine gespaltene Gesellschaft; Klinger, N./König, J.<br />
(2006): Einfach abgehängt. Ein wahrer Bericht über die neue<br />
Armut in Deutschland; Bude, H./Willisch, A. (2008): Exklusion.<br />
<strong>Die</strong> Debatte über die ›Überflüssigen‹.<br />
16 Klinger, N./König, J. (2006): a.a.O., S. 113.<br />
17 ›Der Neoliberalismus ersetzt ein begrenzendes und äußerliches<br />
durch ein regulatorisches und inneres Prinzip: Es ist die Form<br />
des Marktes, die als Organisationsprinzip des Staates und der<br />
Gesellschaft dient.‹ Lemke, T./Krasmann, S./Bröckling, U.<br />
(2000): Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien.<br />
Eine Einleitung, S. 15; in: Bröckling, U./Krasmann,<br />
S./Lemke, T. (Hrsg.) (2000): Gouvernementalität der Gegenwart.<br />
Studien zur Ökonomisierung des Sozialen.<br />
18 ›Sozialpolitik (so Heribert Prantl) war der Tribut, den das Kapital<br />
im Interesse möglichst reibungslosen Wirtschaftens über hundert<br />
Jahre lang nolens volens zu entrichten bereit war. Weil heute der<br />
Gegner keine Kraft mehr hat, ist es damit vorbei. Es heißt jetzt<br />
Eigenverantwortung, wenn die Schwächeren sich selbst überlassen<br />
bleiben.‹ Prantl, H. (2005): Kein schöner Land. <strong>Die</strong> Zerstörung<br />
der sozialen Gerechtigkeit, S. 18. Peter Bofinger betont<br />
in diesem Sinne: ›Und da Sozialabbau nicht besonders gut<br />
klingt, spricht man heute gern davon, dass die Eigenverantwortung<br />
gestärkt werden muss.‹ Bofinger, P. (2006):<br />
Wir sind besser, als wir glauben. Wohlstand <strong>für</strong> alle, S. 15.