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ANK_Jugendliche_Schule_Beruf2008.18878.pdf - Die Senatorin für ...

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52<br />

<strong>Die</strong> Pädagogik der Hartz-Gesetze<br />

mehr zur Illusion wird. 15 Hartz IV steht <strong>für</strong> eine<br />

neue Klasse, die ›Hartz-IV-Klasse‹ 16 , die neue<br />

soziale Unterschicht, das ›abgehängte Prekariat‹,<br />

das nicht mehr am wachsenden Reichtum<br />

der Gesellschaft partizipiert, sondern sich<br />

dauerhaft in den Randzonen der Unsicherheit<br />

einrichten muss. Hartz IV steht darüber hinaus<br />

da<strong>für</strong>, dass der sozialpolitische Wind im Lande<br />

kälter geworden ist: Arbeitslose sollen sich<br />

nicht mehr in der sozialen Hängematte zur<br />

Ruhe legen, sondern sie sollen sich angespornt<br />

durch eine minimalste Absicherung und<br />

angetrieben durch die neue, radikalisierte<br />

›Fördern-und-Fordern‹-Philosophie in Bewegung<br />

halten und sich den ständig wechselnden<br />

Erfordernissen der Märkte stellen.<br />

In der Tat repräsentieren die Hartz-Gesetze<br />

in idealtypischer Form die Philosophie des<br />

neuen, aktivierenden Sozialstaats, der sich<br />

weltweit als Antwort auf die Herausforderungen<br />

der globalisierten Moderne durchgesetzt<br />

hat. <strong>Die</strong> den Modernisierungsprozess prägende<br />

Ideologie basiert im Wesentlichen auf<br />

zwei aufeinander bezogenen Prinzipien: mehr<br />

Markt und mehr Eigenverantwortung. So ist<br />

die unhinterfragte Basisideologie die, dass<br />

der Markt das grundsätzlich leistungsfähigere<br />

Steuerungsinstrument ist, egal ob es sich um<br />

die Organisation der Familie, eines Altenheimes,<br />

einer Kommune oder einer Imbissbude<br />

handelt. Konkurrenz, und sei sie inszeniert,<br />

fördert die Effizienz und Leistungsfähigkeit bei<br />

der Anfertigung eines Personalausweises, bei<br />

der Inhaftierung eines Strafgefangenen sowie<br />

bei der Beratung von Arbeitslosen. 17 Lebenszusammenhänge,<br />

Organisationen, Probleme,<br />

Handlungen, Übergänge und so weiter müssen<br />

folgerichtig ›gemanagt‹ werden. So werden<br />

die ›Hausfrau‹ zur ›Familienmanagerin‹,<br />

die Bundeskanzlerin zur Vorstandsvorsitzenden<br />

der Deutschland-AG und die sozialpädagogische<br />

Einzelfallhilfe zum Fallmanagement.<br />

Um in dieser Marktgesellschaft mehr oder<br />

minder gedeihlich zu überleben, bedarf es<br />

allerdings einer neuen Haltung der Menschen,<br />

einer Abkehr von der ›Vollkaskomentalität‹ des<br />

gewährleistenden Sozialstaats und der Stärkung<br />

der Eigenverantwortung des Einzelnen. 18<br />

Das neue Leitbild des aktivierenden Staates<br />

zielt darauf ab, die Subjekte mit dem nötigen<br />

Startkapital in Form von ›Bildungsgütern‹<br />

auszustatten und er ›fördert und fordert‹<br />

vor allem diejenigen, die beim Marktspiel nicht<br />

in der ersten Reihe stehen.<br />

15 Ulrich Beck betont in diesem Sinne zusammenfassend: ›Das Herausragende<br />

ist vielmehr die Ausbreitung des Prekären, Diskontinuierlichen,<br />

Flockigen, Informellen hinter den Fassaden der<br />

immer gespenstischer werdenden offiziellen Beschäftigungsstatistik.<br />

Im Zentrum Deutschlands breitet sich ein sozialstruktureller<br />

Flickenteppich aus, will sagen: die Vielfalt, Unübersichtlichkeit<br />

und Unsicherheit von Arbeits-, Biographie- und Lebensformen,<br />

wie sie <strong>für</strong> den südlichen Teil unseres Globus charakteristisch<br />

ist. Sind in Brasilien ambulante Verkäufer, Kleinhändler, Kleinhandwerker,<br />

<strong>Die</strong>nstboten aller Art typisch, sind es bei uns<br />

Arbeits-Nomaden, die zwischen verschiedenen Tätigkeiten,<br />

Beschäftigungsformen und Ausbildungen hin und her pendeln.‹<br />

Beck, U. (2005): a.a.O., S. 33. Vergleiche dazu die Befunde der<br />

vorliegenden Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung.<br />

Darüber hinaus Lessenich, S./Nullmeier, F. (2006):<br />

Deutschland – eine gespaltene Gesellschaft; Klinger, N./König, J.<br />

(2006): Einfach abgehängt. Ein wahrer Bericht über die neue<br />

Armut in Deutschland; Bude, H./Willisch, A. (2008): Exklusion.<br />

<strong>Die</strong> Debatte über die ›Überflüssigen‹.<br />

16 Klinger, N./König, J. (2006): a.a.O., S. 113.<br />

17 ›Der Neoliberalismus ersetzt ein begrenzendes und äußerliches<br />

durch ein regulatorisches und inneres Prinzip: Es ist die Form<br />

des Marktes, die als Organisationsprinzip des Staates und der<br />

Gesellschaft dient.‹ Lemke, T./Krasmann, S./Bröckling, U.<br />

(2000): Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien.<br />

Eine Einleitung, S. 15; in: Bröckling, U./Krasmann,<br />

S./Lemke, T. (Hrsg.) (2000): Gouvernementalität der Gegenwart.<br />

Studien zur Ökonomisierung des Sozialen.<br />

18 ›Sozialpolitik (so Heribert Prantl) war der Tribut, den das Kapital<br />

im Interesse möglichst reibungslosen Wirtschaftens über hundert<br />

Jahre lang nolens volens zu entrichten bereit war. Weil heute der<br />

Gegner keine Kraft mehr hat, ist es damit vorbei. Es heißt jetzt<br />

Eigenverantwortung, wenn die Schwächeren sich selbst überlassen<br />

bleiben.‹ Prantl, H. (2005): Kein schöner Land. <strong>Die</strong> Zerstörung<br />

der sozialen Gerechtigkeit, S. 18. Peter Bofinger betont<br />

in diesem Sinne: ›Und da Sozialabbau nicht besonders gut<br />

klingt, spricht man heute gern davon, dass die Eigenverantwortung<br />

gestärkt werden muss.‹ Bofinger, P. (2006):<br />

Wir sind besser, als wir glauben. Wohlstand <strong>für</strong> alle, S. 15.

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