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ANK_Jugendliche_Schule_Beruf2008.18878.pdf - Die Senatorin für ...

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Björn<br />

Bis jetzt hat Björn den Erzählungen seines<br />

Kollegen ruhig zugehört. Aber jetzt greift er<br />

ein. ›Mit 20 bist du nicht mehr jung, mein<br />

Freund. Was Ausbildung angeht, ist das alt.<br />

Einige Firmen nehmen vielleicht auch Ältere,<br />

weil die gestandener sind. Aber die meisten<br />

denken doch: wer es mit 16, 17 nicht gepackt<br />

hat, der packt das auch mit 20, 22 nicht.<br />

Und über 25 wird sowieso keiner genommen.‹<br />

Schon mit dem ersten Satz wird klar, dass<br />

bei Björn von euphorischer Aufbruchstimmung<br />

nicht die Rede sein kann. ›Ich fange mal<br />

wieder bei null an.‹<br />

Björn ist mit seinen 23 Jahren zwar nur<br />

drei Jahre älter als Christian, mit dem, was er<br />

zu erzählen hat, könnte er aber bereits zwei<br />

Leben füllen. Auch bei ihm fällt es schwer,<br />

hinter dem ernsthaften, zurückhaltenden<br />

Gesichtsausdruck jemanden zu erkennen, der<br />

als Teenager das Bremer Umland unsicher<br />

gemacht hat. ›Mein erster Berufswunsch war<br />

Polizist, davon kann heute keine Rede mehr<br />

sein‹, sagt er mit einer gehörigen Portion<br />

Selbstironie.<br />

Als Grundschüler in Bruchhausen-Vilsen war<br />

er den Lehrern eher zu still. ›Das lag daran,<br />

dass mein leiblicher Vater uns geschlagen hat,<br />

da habe ich schon aufgepasst, dass keine<br />

Beschwerden aus der <strong>Schule</strong> kamen.‹ Als<br />

seine Mutter sich trennt und die Familie zum<br />

Stiefvater nach Weyhe zieht, ist das <strong>für</strong> Björn<br />

keine wirkliche Verbesserung. ›Mit meinem<br />

Stiefvater hat es nie wirklich funktioniert.‹<br />

Zur Katastrophe kommt es dann, als Björn in<br />

Weyhe auf die Hauptschule geht und die<br />

Mutter einen Schlaganfall bekommt. ›Ich bin<br />

nachts unterwegs gewesen, um zu meiner<br />

Mutter in die Reha zu fahren. Und tagsüber<br />

musste ich zu Hause alles machen. Mein Stiefvater<br />

hat gearbeitet und fing an zu saufen.‹<br />

Als die Mutter nach Hause kommt, wird die<br />

Situation noch schlimmer. ›Ich habe im Pflegevertrag<br />

mit der Krankenkasse unterschrieben,<br />

dass ich meine Mutter zu Hause pflege –<br />

da war ich 14. Ich habe das Essen gemacht,<br />

meine Mutter umgezogen und geduscht, alles<br />

was man halt bei jemandem macht, die halbseitig<br />

gelähmt ist.‹ Danken tut ihm das niemand<br />

– im Gegenteil. ›Für mich hat sich kei-<br />

ner interessiert. Ich war zwar da, aber ich<br />

hätte auch sterben können, das wäre egal<br />

gewesen.‹<br />

Aber irgendwo muss der Dampf raus, und<br />

da<strong>für</strong> ist die <strong>Schule</strong> wie geschaffen. ›Ich<br />

wurde zum Klassenclown und habe ziemlich<br />

viel Stress gemacht. Dazu kam, dass ich in<br />

der schlimmsten Klasse war, aus der die Lehrerinnen<br />

teilweise heulend rausgelaufen sind.<br />

Dann haben sie ganz schlimm aussortiert.‹<br />

Obwohl Björn gar nicht so ein schlechtes<br />

Zeugnis hat, finden die Lehrer einen Kniff, ihn<br />

loszuwerden. ›Sie haben<br />

rausgekriegt, dass ich in<br />

der ersten Klasse zurückgestuft<br />

worden war und ›Sie haben rausgekriegt,<br />

gesagt: Es reicht, du hast dass ich in der ersten Klasse<br />

deine neun Jahre jetzt voll.‹ zurückgestuft worden<br />

In all den familiären und war und gesagt: Es reicht,<br />

schulischen Dramen dieser du hast deine neun<br />

Zeit gibt es einen Licht- Jahre jetzt voll.‹<br />

blick, der Björn bis heute<br />

durchs Leben führt. Er entdeckt<br />

bei der Pflege seiner<br />

Mutter die Leidenschaft <strong>für</strong>s Kochen. ›Seitdem<br />

ist <strong>für</strong> mich klar, dass ich Koch werden will.‹<br />

In der Diakonie Freistatt, wo Björn den Hauptschulabschluss<br />

nachholt, stößt er mit dieser<br />

Neigung allerdings zunächst auf taube Ohren.<br />

›Sie haben alle gesagt: Du hast nur Hauptschule,<br />

das reicht nicht. Bewerb dich mal<br />

lieber auf was Einfaches.‹ So wird auch Björn<br />

auf die Lager-Logistik-Schiene gesetzt und<br />

absolviert sein Praktikum bei einem großen<br />

Logistikunternehmen in der Region. ›Da hatte<br />

ich dann einen Arbeitsunfall aufgrund von<br />

Sicherheitsmängeln. Deshalb haben sie mir<br />

einen Ausbildungsplatz gegeben, aber nach<br />

drei Monaten kam die Industrie- und Handelskammer<br />

und hat ihnen die Ausbildungslizenz<br />

entzogen, weil die Azubis teilweise 14<br />

Stunden am Tag arbeiten mussten.‹<br />

Doch Björn ist inzwischen so an Rückschläge<br />

gewöhnt, dass er schnell eine neue<br />

Lehrstelle in einem Großhandel <strong>für</strong> Bäder<br />

bekommt.<br />

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