ANK_Jugendliche_Schule_Beruf2008.18878.pdf - Die Senatorin für ...
ANK_Jugendliche_Schule_Beruf2008.18878.pdf - Die Senatorin für ...
ANK_Jugendliche_Schule_Beruf2008.18878.pdf - Die Senatorin für ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Ansonsten ist entscheidend, wie der Einzelne<br />
seine Verantwortung wahrnimmt und sich<br />
auf dem Markt behauptet. 19 Dahinter verbirgt<br />
sich ein neues Menschen- und Leitbild: <strong>Die</strong><br />
Subjekte sollen sich wie Unternehmer verhalten,<br />
stets bedacht auf die optimale Pflege der<br />
eigenen Marktgängigkeit und den Abbau von<br />
Markt- und Mobilitätshemmnissen. 20<br />
Der Anspruch einer gesteigerten Selbstverantwortung<br />
wird nirgendwo deutlicher als im<br />
Zentralbegriff der Aktivierung. Sozialpolitische<br />
Maßnahmen sollen nicht mehr Untätigkeit<br />
absichern, sondern, so der Kern des Aktivierungsbegriffes,<br />
die Menschen fördern und<br />
fordern, sich besser auf die Erfordernisse des<br />
Arbeitsmarktes einstellen zu können, um<br />
perspektivisch ein selbständiges Leben führen<br />
zu können. <strong>Die</strong>ser Kerngedanke des aktivierenden<br />
Sozialstaats wird nirgends deutlicher<br />
als in den Regelungen zur Grundsicherung <strong>für</strong><br />
Arbeitsuchende. Demnach sind Arbeitsuchende<br />
bei Androhung von Sanktionen in Form<br />
von Leistungskürzungen und Sperrzeiten dazu<br />
verpflichtet, ihre Beziehungs-, Wohn- und finanziellen<br />
Verhältnisse offenzulegen, sich permanent<br />
nachweislich um eine Beschäftigung<br />
zu bemühen, wobei (fast) jede Beschäftigung<br />
zumutbar ist. Sie müssen jedes angebotene<br />
Qualifizierungs- oder Beschäftigungsangebot<br />
annehmen, einen Eingliederungsvertrag abschließen<br />
(sonst kann er als Verwaltungsakt<br />
erlassen werden) und sich nachweislich an<br />
die dort getroffenen Vereinbarungen halten.<br />
Anhand der Regelungen zur Grundsicherung<br />
<strong>für</strong> Arbeitsuchende lassen sich drei Strukturprinzipien<br />
des Aktivierungsgedankens veranschaulichen:<br />
Erstens sind die Hartz-Gesetze prototypisch<br />
<strong>für</strong> den Wandel von ›welfare‹ zu ›workfare‹,<br />
das heißt zu einem sozialpolitischen Modell,<br />
das nicht die selbstverständliche Sicherung<br />
eines Minimums an soziokultureller Teilhabe<br />
ins Zentrum der Bemühungen stellt, sondern<br />
die Förderung der Arbeitsfähigkeit, der<br />
›employability‹ der Bürger. ›Aktivierungspolitik<br />
und investive Sozialpolitik sind Strategien zur<br />
Herstellung beziehungsweise Wiederherstellung<br />
individueller Wettbewerbsfähigkeit und<br />
deshalb spricht man auch verschiedentlich<br />
offen davon, dass das alte Sozialstaatspostulat<br />
von der ›Hilfe zur Selbsthilfe‹ zu ersetzen<br />
sei durch das neue Sozialstaatspostulat ›Hilfe<br />
im Wettbewerb‹.‹ 21 <strong>Die</strong> Erzeugung von Humankapital<br />
wird zum Kern aller sozialpolitischen<br />
Bemühungen des aktivierenden Staates und<br />
zum alleinigen Erfolgsindikator vom Kindergarten<br />
über <strong>Schule</strong> und Universität bis hin zur<br />
Arbeitsförderung.<br />
Zweitens zeigen die Hartz-Gesetze nachdrücklich,<br />
dass die Strategien des aktivierenden<br />
Sozialstaats in erster Linie verhaltensund<br />
nicht verhältnisorientiert sind. Nicht<br />
(Arbeits-)Märkte werden reguliert, sondern die<br />
Menschen sollen fit gemacht werden <strong>für</strong> den<br />
Wettbewerb, <strong>für</strong> das Ergebnis sind sie letztlich<br />
allein verantwortlich – im Erfolg wie im Scheitern.<br />
Deswegen verlagern sich die Aktivitäten<br />
des Sozialstaats von der materiellen Unterstützung<br />
hin zur personenbezogenen <strong>Die</strong>nstleistung.<br />
19 Der ehemalige Arbeits- und Sozialminister der Kohl-Regierung,<br />
Norbert Blüm, hat die Koordinaten des neuen, aktivierenden<br />
Gesellschaftsmodells anschaulich zusammengefasst: ›Wir haben<br />
es mit einer Wirtschaft zu tun, die sich anschickt, totalitär zu<br />
werden, weil sie alles unter den Befehl einer ökonomischen Ratio<br />
zu zwingen sucht. (…) Aus Marktwirtschaft soll Marktgesellschaft<br />
werden. (…) Er erobert nicht mehr Gebiete, sondern macht sich<br />
auf, Hirn und Herz der Menschen einzunehmen. Sein Besatzungsregime<br />
verzichtet auf körperliche Gewalt und besetzt die Zentralen<br />
der Innensteuerung des Menschen. (…) Aus der menschlichen<br />
Person wird eine ›Ich-AG‹, aus Bildung ›Humankapital‹.<br />
Was sich nicht in ökonomischer Terminologie ausdrücken lässt,<br />
gibt es nicht mehr.‹ Blüm, N. (2006): Gerechtigkeit. Eine Kritik<br />
des Homo oeconomicus, S. 81.<br />
20 Vgl. Bröckling, U. (2007): a.a.O.<br />
In den Worten der Grundwertekommission der SPD: ›Der Staat<br />
schafft die Rahmenbedingungen, deren faire Chancen dann die<br />
Bürger in individueller Verantwortung wahrnehmen sollen. Danach<br />
gilt <strong>für</strong> die Verteilung das (meritokratische) Prinzip des Marktes‹.<br />
Grundwertekommission beim Parteivorstand der SPD (1999):<br />
Dritte Wege – Neue Mitte, sozialdemokratische Markierungen <strong>für</strong><br />
Reformpolitik im Zeitalter der Globalisierung, S. 11.<br />
21 Dahme, H.J./Wohlfahrt, N. (2005): Sozialinvestitionen. Zur Selektivität<br />
der neuen Sozialpolitik und den Folgen <strong>für</strong> die Soziale<br />
Arbeit, S. 13; in: Dahme, H.J./Wohlfahrt, N. (Hrsg.): Aktivierende<br />
Soziale Arbeit.<br />
53