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Der Burgbote 1971 (Jahrgang 51)

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270<br />

Tagen erfuhren wir davon, daß in Ungarn<br />

künftig an jedem Montag keine Fernsehsen<br />

dungen mehr ausgestrahl werden sollen. <strong>Der</strong><br />

Fernsehanstalt scheint es auf die Dauer nicht<br />

möglich, Tag für Tag für viele Stunden wert<br />

volle Programme zu produzieren und zu sen<br />

den — es sei denn durch die Übernahme aus<br />

ländischer Streifen.<br />

Martin Esslin, der Leiter der Hörspielabteilung<br />

der BBC in London hat für die UNESCO eine<br />

Untersuchung durchgeführt und die Ergeb<br />

nisse u.a. in dem Aufsatz „Ist das Fernsehen<br />

die Volkskunst dßs modernen Menschen?" zu<br />

sammengefaßt. Daraus darf ich Ihnen einige<br />

bedeutsame Sätze vorlesen: „<strong>Der</strong> Appetit des<br />

Fernsehens auf künstlerische oder pseudo<br />

künstlerische Fertigkeiten ist buchstäblich un<br />

ersättlich. Während von der Verbreitung des<br />

Fernsehens das Theater eines Landes jährlich<br />

nicht mehr als 100 oder 200 neue Stücke von<br />

seinen Dramatikern verlangte, kann ein Land<br />

mit drei Fernsehkanälen heute gut und gern<br />

sechs und mehr Stücke pro Abend bringen<br />

und benötigt demzufolge ungefähr 2000 neue<br />

Manuskripte pro Jahr.<br />

Dasselbe gilt, um im Bereich des Schauspiels<br />

zu bleiben, für die Schauspieler. Vor der Ein<br />

führung des Massenmediums konnte ein<br />

Schauspieler, der eine neue Rolle gelernt<br />

hatte, damit rechnen, daß er, wenn das Stück<br />

erfolgreich war, in ihr hundertmal oder öfter<br />

in einem Theater auftreten und anschließend<br />

in der gleichen Rolle in anderen Teilen des<br />

Landes auf Tournee gehen würde. Im Fern<br />

sehen dagegen sättigt eine einzige Aufführung<br />

praktisch die ganze Bevölkerung des Landes.<br />

Wieviele Stückeschreiber, wie viele hervor<br />

ragend talentierte Schauspieler kann aber ein<br />

Land hervorbringen? Wieviele braucht es, um<br />

die gesamte Sendezeit des Fernsehens füllen<br />

zu können? Das Angebot an Talenten kann<br />

nicht unbegrenzt sein. Damit führt die Quanti<br />

tät direkt zum Problem der Qualität. - Man<br />

behilft sich also mit dem Massenimport aus<br />

ländisches Materiales. Das aberstellt auf lange<br />

Sicht eine ernste Bedrohung der kulturellen<br />

Identität des eigenen Landes dar!" Wenn auch<br />

die verlesenen Feststellungen nicht ohne wei<br />

teres auf das Gebiet der Musik übertragbar<br />

erscheinen, so können wir die gefährliche<br />

Parallelität für die Musik doch nicht verken<br />

nen, und der zum Teil wahllose Import soge<br />

nannter Folkloremusik in den letzten Jahren<br />

macht das angeschnittene Problem für uns<br />

nur deutlich.<br />

Können und dürfen wir aber, auch wenn wir<br />

uns daran gewöhnt haben, In größeren Di<br />

mensionen zu rechnen und zu sehen, darauf<br />

verzichten, einige Kultur zu pflegen und zu<br />

entwickein, wenn wir nicht Gefahr laufen wol<br />

len, im wahrsten Sinne des Wortes eine Aiier-<br />

Weits-Kuitur zu betreiben, die unser eigenes<br />

Gesicht nicht mehr erkennen läßt, die uns<br />

dann bei den anderen vergessen macht, weil<br />

wir nicht mehr zu unterscheiden sind?<br />

Aus dieser Sorge heraus sollten auch die<br />

Politiker mit uns übereinstimmen, wenn ich<br />

die Frage, wie wir die Zukunft meistern wol<br />

len, mit dem Satz verbinde: Die Musik als<br />

wesentliches Zeugnis eigenständiger Kul^r<br />

muß breiten und tiefen Boden in jedem,#<br />

eigenen Volke haben. ^<br />

In der Verwirklichung dieser Forderung an die<br />

Zukunft kommt aber den Chören große Be<br />

deutung zu. <strong>Der</strong> DSB hat sich durch die Musik<br />

politik der Nachkriegszeit längst von dem Ver<br />

dacht gereinigt, nur dem Nationalen aufge<br />

schlossen zu sein. Um aber den Wert des<br />

Fremden, des Anderen wahrhaft ermessen zu<br />

können, bedarf es erst eines festen Verwur<br />

zeltseins in der eigenen Geschichte und<br />

Kultur.<br />

Diesen festen Grund zu schaffen, um von da<br />

aus vernünftige Brücken in andere Kultur<br />

bereiche, zu schlagen, ist eine eminent wich<br />

tige Aufgabe unserer Chöre für die Zukunft.<br />

Und schon um dieser Aufgabe willen weiß<br />

ich und glaube ich daran, daß der Ber<br />

liner und der Deutsche Sängerbund weiter<br />

hin bestehen kann und muß! Freilich bitten wir<br />

insoweit um die verständnisvolle und dauer<br />

hafte Unterstützung der öffentlichen Hand!<br />

Ein dritter notwendiger Satz darf nun aber<br />

nicht ausbleiben:<br />

Die Musik kann breiten und tiefen Boden A. ^<br />

einem Voike nur haben, wenn die Musik die<br />

ses Landes auch durch die Menschen dieses<br />

Landes zum Erklingen kommt!<br />

Dazu wiederum erst einige nüchterne Zahlen<br />

und Feststellungen aus Untersuchungen des<br />

Deutschen Musikrates: Die Zahl der aus<br />

übenden Orchestermusiker in der Bundes<br />

republik ist im Verhältnis zur Einwohnerzahl<br />

in der Zeit von 1933 bis 1950 um 32,6% und<br />

in der Zeit von 1950 bis 1961 um 55,1 % zu<br />

rückgegangen. Die Namen von Solisten aus<br />

Programmzetteln der Theater und Konzerte<br />

sagen dies ebenso deutlich.<br />

Fortsetzung folgt!

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