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Tagen erfuhren wir davon, daß in Ungarn<br />
künftig an jedem Montag keine Fernsehsen<br />
dungen mehr ausgestrahl werden sollen. <strong>Der</strong><br />
Fernsehanstalt scheint es auf die Dauer nicht<br />
möglich, Tag für Tag für viele Stunden wert<br />
volle Programme zu produzieren und zu sen<br />
den — es sei denn durch die Übernahme aus<br />
ländischer Streifen.<br />
Martin Esslin, der Leiter der Hörspielabteilung<br />
der BBC in London hat für die UNESCO eine<br />
Untersuchung durchgeführt und die Ergeb<br />
nisse u.a. in dem Aufsatz „Ist das Fernsehen<br />
die Volkskunst dßs modernen Menschen?" zu<br />
sammengefaßt. Daraus darf ich Ihnen einige<br />
bedeutsame Sätze vorlesen: „<strong>Der</strong> Appetit des<br />
Fernsehens auf künstlerische oder pseudo<br />
künstlerische Fertigkeiten ist buchstäblich un<br />
ersättlich. Während von der Verbreitung des<br />
Fernsehens das Theater eines Landes jährlich<br />
nicht mehr als 100 oder 200 neue Stücke von<br />
seinen Dramatikern verlangte, kann ein Land<br />
mit drei Fernsehkanälen heute gut und gern<br />
sechs und mehr Stücke pro Abend bringen<br />
und benötigt demzufolge ungefähr 2000 neue<br />
Manuskripte pro Jahr.<br />
Dasselbe gilt, um im Bereich des Schauspiels<br />
zu bleiben, für die Schauspieler. Vor der Ein<br />
führung des Massenmediums konnte ein<br />
Schauspieler, der eine neue Rolle gelernt<br />
hatte, damit rechnen, daß er, wenn das Stück<br />
erfolgreich war, in ihr hundertmal oder öfter<br />
in einem Theater auftreten und anschließend<br />
in der gleichen Rolle in anderen Teilen des<br />
Landes auf Tournee gehen würde. Im Fern<br />
sehen dagegen sättigt eine einzige Aufführung<br />
praktisch die ganze Bevölkerung des Landes.<br />
Wieviele Stückeschreiber, wie viele hervor<br />
ragend talentierte Schauspieler kann aber ein<br />
Land hervorbringen? Wieviele braucht es, um<br />
die gesamte Sendezeit des Fernsehens füllen<br />
zu können? Das Angebot an Talenten kann<br />
nicht unbegrenzt sein. Damit führt die Quanti<br />
tät direkt zum Problem der Qualität. - Man<br />
behilft sich also mit dem Massenimport aus<br />
ländisches Materiales. Das aberstellt auf lange<br />
Sicht eine ernste Bedrohung der kulturellen<br />
Identität des eigenen Landes dar!" Wenn auch<br />
die verlesenen Feststellungen nicht ohne wei<br />
teres auf das Gebiet der Musik übertragbar<br />
erscheinen, so können wir die gefährliche<br />
Parallelität für die Musik doch nicht verken<br />
nen, und der zum Teil wahllose Import soge<br />
nannter Folkloremusik in den letzten Jahren<br />
macht das angeschnittene Problem für uns<br />
nur deutlich.<br />
Können und dürfen wir aber, auch wenn wir<br />
uns daran gewöhnt haben, In größeren Di<br />
mensionen zu rechnen und zu sehen, darauf<br />
verzichten, einige Kultur zu pflegen und zu<br />
entwickein, wenn wir nicht Gefahr laufen wol<br />
len, im wahrsten Sinne des Wortes eine Aiier-<br />
Weits-Kuitur zu betreiben, die unser eigenes<br />
Gesicht nicht mehr erkennen läßt, die uns<br />
dann bei den anderen vergessen macht, weil<br />
wir nicht mehr zu unterscheiden sind?<br />
Aus dieser Sorge heraus sollten auch die<br />
Politiker mit uns übereinstimmen, wenn ich<br />
die Frage, wie wir die Zukunft meistern wol<br />
len, mit dem Satz verbinde: Die Musik als<br />
wesentliches Zeugnis eigenständiger Kul^r<br />
muß breiten und tiefen Boden in jedem,#<br />
eigenen Volke haben. ^<br />
In der Verwirklichung dieser Forderung an die<br />
Zukunft kommt aber den Chören große Be<br />
deutung zu. <strong>Der</strong> DSB hat sich durch die Musik<br />
politik der Nachkriegszeit längst von dem Ver<br />
dacht gereinigt, nur dem Nationalen aufge<br />
schlossen zu sein. Um aber den Wert des<br />
Fremden, des Anderen wahrhaft ermessen zu<br />
können, bedarf es erst eines festen Verwur<br />
zeltseins in der eigenen Geschichte und<br />
Kultur.<br />
Diesen festen Grund zu schaffen, um von da<br />
aus vernünftige Brücken in andere Kultur<br />
bereiche, zu schlagen, ist eine eminent wich<br />
tige Aufgabe unserer Chöre für die Zukunft.<br />
Und schon um dieser Aufgabe willen weiß<br />
ich und glaube ich daran, daß der Ber<br />
liner und der Deutsche Sängerbund weiter<br />
hin bestehen kann und muß! Freilich bitten wir<br />
insoweit um die verständnisvolle und dauer<br />
hafte Unterstützung der öffentlichen Hand!<br />
Ein dritter notwendiger Satz darf nun aber<br />
nicht ausbleiben:<br />
Die Musik kann breiten und tiefen Boden A. ^<br />
einem Voike nur haben, wenn die Musik die<br />
ses Landes auch durch die Menschen dieses<br />
Landes zum Erklingen kommt!<br />
Dazu wiederum erst einige nüchterne Zahlen<br />
und Feststellungen aus Untersuchungen des<br />
Deutschen Musikrates: Die Zahl der aus<br />
übenden Orchestermusiker in der Bundes<br />
republik ist im Verhältnis zur Einwohnerzahl<br />
in der Zeit von 1933 bis 1950 um 32,6% und<br />
in der Zeit von 1950 bis 1961 um 55,1 % zu<br />
rückgegangen. Die Namen von Solisten aus<br />
Programmzetteln der Theater und Konzerte<br />
sagen dies ebenso deutlich.<br />
Fortsetzung folgt!