Kunstbulletin Juli/August 2023
Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm. Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm.
Daniela Keiser · Heute Morgen, auf dem Weg zur Zahnärztin schwebte ein Rotmilan über mir, 2023 (Ausschnitt), Bodentapete, «Bellelay-Kreide» nach Rezeptur der Künstlerin, Ausstellungsansicht Abbatiale Bellelay. Foto: Studio Willen BESPRECHUNGEN // BELLELAY 97
Haus der Kulturen der Welt — Neue Geister und die Welt im Plural Nach einer halbjährigen Sanierung ist das HKW in Berlin unter der neuen Leitung von Bonaventure Soh Bejeng Ndikung wiedereröffnet. Auf den drei schwarz-rot-goldenen Flaggen der Dachterrasse prangen nun irritierenderweise die Buchstaben D-D-R. Aber da ist auch ein grüner Streifen. Was also heisst das? Berlin — Da noch nicht alles nach der sanierungsbedingten Schliessung wieder zugänglich ist, muss ich ums Haus herum, vorbei an einer Installation im Aussenraum (Temitayo Ogunbiyi), der jetzt, nach der iranischen Dichterin, Forough Farrokhzad Garten heisst, um zum Haupteingang zu kommen. Hinter der in historische Jutesäcke verpackten Freitreppe, eine Reminiszenz an den Handel mit Kolonialwaren (Ibrahim Mahama), sehe ich auf dem Rasen neben dem Wasserbecken einen luftigen Pavillon von raumlaborberlin, der künftig als niedrigschwelliger Veranstaltungsort dienen wird. Von hier aus öffnet sich der Blick aufs neue, organisch geformte Logo, die Fassade mit den Wandarbeiten von Alberto Pitta und die von Häkel- und Webarbeiten umschlungenen Eingangssäulen von Georgina Maxim. Ähnlich vielfältig wuchert es im Inneren des Gebäudes: Die Halle, auf dem Boden ein labyrinthisches Leitsystem aus gemalten Haarflechten (N. Mutiti), ist nach der afrobrasilianischen Theoretikerin Beatriz Nascimento benannt, das untere Foyer nach der jamaikanischen Philosophin Sylvia Wynter, das darüber, abgetrennt durch einen bunten Fries (Tanka Fonta), nach der Bauhaus-Meisterin Gunta Stölzl. Das Auditorium mit an getrockneten Kameldung erinnernden Lampen von Oscar Murillo trägt den Namen der Sängerin und Aktivistin Miriam Makeba, so wie jeder Winkel, jeder Raum im HKW nicht nur Ausstellungs-, sondern auch Gedächtnisort ist. ‹O Quilombismo› heisst die Eröffnungsschau, kuratiert vom aus Kamerun stammenden neuen Leiter, und schon der titelgebende Begriff lässt ahnen, dass es für viele von uns auf fremdes Terrain geht. Die Buchhandlung hilft mit dem entsprechenden Angebot, das «eingeweihte» Publikum trägt Bunt. Das ganze Haus vibriert an diesem Eröffnungswochenende vor Rhythmen, Farben. Genau diese Offenheit und Körperlichkeit teilt sich unmittelbar mit, steckt an, bedeutet Quilombo doch eine «brüderliche und freie Wiedervereinigung oder Begegnung; Solidarität, Zusammenleben, existenzielle Gemeinschaft», die «ein hochentwickeltes Stadium des soziopolitischen und menschlichen Fortschritts im Sinne eines wirtschaftlichen Egalitarismus» verkörpert. So wird der afrobrasilianische Poet und Politiker Abdias Nascimento im Ausstellungshandbuch zitiert. Nimmt man das als Programm, könnte das neue HKW ein Ort werden, wo Inklusion, Diskursivität, Antirassismus, Performativität in schillerndem Geist zusammenfinden und intersektionale Analyse auf die Fahnen geschrieben wird, oder auch «Decarbonize – Decolonize – Rehabilitate»: D-D-R. Miriam Wiesel → ‹O Quilombismo›, Haus der Kulturen der Welt, bis 17.9., mit Handbuch und Katalog ↗ hkw.de 98 Kunstbulletin 7-8/2023
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Haus der Kulturen der Welt — Neue Geister und die Welt im Plural<br />
Nach einer halbjährigen Sanierung ist das HKW in Berlin unter<br />
der neuen Leitung von Bonaventure Soh Bejeng Ndikung wiedereröffnet.<br />
Auf den drei schwarz-rot-goldenen Flaggen der Dachterrasse<br />
prangen nun irritierenderweise die Buchstaben D-D-R.<br />
Aber da ist auch ein grüner Streifen. Was also heisst das?<br />
Berlin — Da noch nicht alles nach der sanierungsbedingten Schliessung wieder zugänglich<br />
ist, muss ich ums Haus herum, vorbei an einer Installation im Aussenraum<br />
(Temitayo Ogunbiyi), der jetzt, nach der iranischen Dichterin, Forough Farrokhzad<br />
Garten heisst, um zum Haupteingang zu kommen. Hinter der in historische Jutesäcke<br />
verpackten Freitreppe, eine Reminiszenz an den Handel mit Kolonialwaren (Ibrahim<br />
Mahama), sehe ich auf dem Rasen neben dem Wasserbecken einen luftigen Pavillon<br />
von raumlaborberlin, der künftig als niedrigschwelliger Veranstaltungsort dienen<br />
wird. Von hier aus öffnet sich der Blick aufs neue, organisch geformte Logo, die Fassade<br />
mit den Wandarbeiten von Alberto Pitta und die von Häkel- und Webarbeiten<br />
umschlungenen Eingangssäulen von Georgina Maxim.<br />
Ähnlich vielfältig wuchert es im Inneren des Gebäudes: Die Halle, auf dem Boden<br />
ein labyrinthisches Leitsystem aus gemalten Haarflechten (N. Mutiti), ist nach der afrobrasilianischen<br />
Theoretikerin Beatriz Nascimento benannt, das untere Foyer nach<br />
der jamaikanischen Philosophin Sylvia Wynter, das darüber, abgetrennt durch einen<br />
bunten Fries (Tanka Fonta), nach der Bauhaus-Meisterin Gunta Stölzl. Das Auditorium<br />
mit an getrockneten Kameldung erinnernden Lampen von Oscar Murillo trägt den<br />
Namen der Sängerin und Aktivistin Miriam Makeba, so wie jeder Winkel, jeder Raum<br />
im HKW nicht nur Ausstellungs-, sondern auch Gedächtnisort ist.<br />
‹O Quilombismo› heisst die Eröffnungsschau, kuratiert vom aus Kamerun stammenden<br />
neuen Leiter, und schon der titelgebende Begriff lässt ahnen, dass es für viele<br />
von uns auf fremdes Terrain geht. Die Buchhandlung hilft mit dem entsprechenden<br />
Angebot, das «eingeweihte» Publikum trägt Bunt. Das ganze Haus vibriert an diesem<br />
Eröffnungswochenende vor Rhythmen, Farben. Genau diese Offenheit und Körperlichkeit<br />
teilt sich unmittelbar mit, steckt an, bedeutet Quilombo doch eine «brüderliche<br />
und freie Wiedervereinigung oder Begegnung; Solidarität, Zusammenleben, existenzielle<br />
Gemeinschaft», die «ein hochentwickeltes Stadium des soziopolitischen<br />
und menschlichen Fortschritts im Sinne eines wirtschaftlichen Egalitarismus» verkörpert.<br />
So wird der afrobrasilianische Poet und Politiker Abdias Nascimento im Ausstellungshandbuch<br />
zitiert. Nimmt man das als Programm, könnte das neue HKW ein<br />
Ort werden, wo Inklusion, Diskursivität, Antirassismus, Performativität in schillerndem<br />
Geist zusammenfinden und intersektionale Analyse auf die Fahnen geschrieben<br />
wird, oder auch «Decarbonize – Decolonize – Rehabilitate»: D-D-R. Miriam Wiesel<br />
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98 <strong>Kunstbulletin</strong> 7-8/<strong>2023</strong>