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Kunstbulletin Juli/August 2023

Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm.

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Olivia Abächerli<br />

Luzern — In ihrer ersten institutionellen<br />

Einzelausstellung in der Kunsthalle Luzern<br />

beschäftigt sich Olivia Abächerli (*1992) mit<br />

der Frage der Multiperspektivität. Als Ausgangspunkt<br />

dient das Bourbaki-Panorama, das<br />

sich im gleichen Gebäude befindet und das<br />

als Kunstform der Aufklärung den Menschen<br />

selbst ins Zentrum stellt. Diesem Modell setzt<br />

die heutige Geschichtstheorie die grundlegende<br />

Überzeugung entgegen, dass eine objektive<br />

Sichtweise auf eine vergangene Wirklichkeit<br />

nicht (mehr) aussagekräftig ist. Unter dem Titel<br />

‹The Center and the Other› veranschaulicht<br />

Abächerli die Herausforderung, die eigene<br />

Perspektive als nur eine spezifische Sichtweise<br />

anzuerkennen, die sich gleichwohl aus einem<br />

komplexen Bezugssystem heraus entwickelt.<br />

Davon zeugt etwa die Wandinstallation mit<br />

insgesamt 120 zeichnerischen Elementen, die<br />

symbolhaft für Fragestellungen und Themen<br />

stehen, welche die Künstlerin aktuell beschäftigen<br />

und die damit auf ihre Wahrnehmung<br />

einwirken. Die Einsicht, dass mehrere Perspektiven<br />

gleichzeitig existieren können, zieht<br />

aber auch Fragen nach Recht, Richtigkeit und<br />

gemeinsamen Werten nach sich. So sind es<br />

Schwindelgefühle wie auch die Faszination<br />

gegenüber einer hyperkomplex anmutenden<br />

Welt, welche Abächerli in ihren Arbeiten immer<br />

wieder neu zum Ausdruck bringt. KSP<br />

Olivia Abächerli · Sketches on loving a family,<br />

<strong>2023</strong>, Still aus Video, 16’35’’<br />

→ Kunsthalle Luzern, bis 13.8.<br />

↗ kunsthalle-luzern.ch<br />

Natascha Sadr Haghighian<br />

München — Ein Panzer ist ein Panzer ist ein<br />

Panzer. Oder? Der Bedeutungswandel, den der<br />

in München produzierte Exportschlager Leopard<br />

seit Russlands Angriff auf die Ukraine erlebte,<br />

brachte Natascha Sadr Haghighian dazu,<br />

ihre seit 2013 fortgeschriebene Arbeit ‹pssst<br />

Leopard 2A7+› erneut zu ergänzen. Derzeit<br />

ist die Sound-Installation im Lenbachhaus zu<br />

sehen. Dort präsentiert die in Bremen lehrende<br />

Deutsch-Iranerin eine Werkauswahl unter dem<br />

poetisch-paradoxen Titel ‹Jetzt wo ich dich<br />

hören kann, tun meine Augen weh (Tumult)›.<br />

Eine Ausstellung mit noch mehr Widerborsten.<br />

Unter dem Pseudonym Natascha Süder<br />

Happelmann begrüsste sie mit einem über den<br />

Kopf gezogenen Stein aus Pappmaché 2019 zur<br />

Eröffnung der Venedig-Biennale den damaligen<br />

Aussenminister und machte im Deutschen Pavillon<br />

Migration und Abschottung zum Thema.<br />

Der «Steinkopf» als Alter Ego spielt auch im<br />

Lenbachhaus eine Rolle. Ein weiteres wichtiges<br />

Motiv ist eine überdimensionierte Trillerpfeife.<br />

Für die Künstlerin hat sie doppelsinnigen<br />

Zeichencharakter, weil sie «in der Nähe des<br />

Tumults beheimatet» ist. Dort wird sie von<br />

Aufrührer:innen und regierungstreuen Truppen<br />

verwendet. Ambivalenz und Mehrdeutigkeit<br />

sind Kern von Sadr Haghighians Schaffen.<br />

Ihr jüngstes Werk kreist um die Benin-Bronzen,<br />

die Ende 2022 aus deutschen Museen an Nigeria<br />

zurückgegeben wurden. Untersuchungen<br />

ergaben, dass das bleihaltige Messing in der<br />

Legierung der Artefakte aus dem Rheinland<br />

kommt. Das Material für die Benin-Bronzen<br />

stammt aus eingeschmolzenen Manillen –<br />

Armreifen, die im Sklavenhandel als Währung<br />

dienten. Und diese waren in Europa gefertigt<br />

worden: 1548 orderte der portugiesische<br />

König 1,4 Millionen davon bei den Augsburger<br />

Fuggern. Die Kaufmannsfamilie hatte unter<br />

anderem Schürfrechte einer Mine bei Aachen.<br />

Die Fugger als Europas Grosskapitalisten<br />

der frühen Neuzeit machten im transatlantischen<br />

Dreieckshandel lukrative Geschäfte.<br />

Sadr Haghighian zeigt dazu digital skizzierte<br />

Szenen, ein Begleitheft gibt Aufschluss über<br />

HINWEISE // GENF / LUZERN / MÜNCHEN<br />

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