Kunstbulletin Juli/August 2023

Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm. Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm.

24.06.2023 Aufrufe

die Aktfigur im Stil des einst als wegweisend geltenden französischen Künstlers aber auch durch ein Bronzeungetüm, das als Symbol gestriger Vorstellungen von Kunst gelesen werden kann. Die sehenswerte Ausstellung eint viele solch anspielungsreicher Arbeiten. Leider sind die Originale, auf die die Nachahmungen sich beziehen, so gut wie nie zu sehen. Kleine Abbildungen im Saalblatt beispielsweise wären für einige Besucher:innen sicher hilfreich. AH Mickry 3 · Der Fluss, 2014, Styropor, Acrystal, Acryl, Spiegel, Murmeln, 135 x 147 x 93 cm. Foto: Gion Pfander Álvaro Barrios · Untitled (How Long Runnin’ Away with This Junk, Red Ryder?), 2006, Daros Latinamerica Collection, Schweiz → Kunstmuseum Solothurn, bis 27.8. ↗ kunstmuseum-so.ch Ana Strika Stein am Rhein — Unter dem Titel ‹Kreisen› bespielt Ana Strika (*1981) das Dachgeschoss des Kulturhaus Obere Stube. Die Zürcher Künstlerin, die Januar bis März 2023 Chretzeturm-Stipendiatin der Jakob und Emma Windler-Stiftung war, eröffnet mit ihrer Ausstellung das neue Kulturhaus der Stiftung in einem historischen Haus in der Altstadt. Inspiration fand Ana Strika bei der Beobachtung des kreisförmigen Fluges eines Milans über dem Untersee. Die winterliche Ruhe im beschaulichen Stein am Rhein, die schmucken Wandmalereien in der Altstadt, die ruhenden Schaufenster finden Anklang in ihrer Arbeit. Strika habe während ihrer dreimonatigen Residenz im Chretzeturm viel gezeichnet, erklärt die Kuratorin Julia Wolf. Tatsächlich lässt sich in der Ausstellung etwas von diesem zeichnerischen Prozess festmachen, der sich nun dreidimensional und spielerisch im Raum entfaltet. Die Entschleunigung und das Kontemplative wird beim Betreten des Raumes spürbar. Gewohnt fein ausgearbeitet und detailreich ist die Anordnung der für Strika typischen Materialien wie Karton, Schnur, Holz und Packpapier. Und doch wirkt alles ein wenig aufgeräumter und sortierter als bei ihren vorangehenden Ausstellungen. Das mag auch mit dem hellen Dachstock des frisch renovierten Gebäudes zusammenhängen. Wenn auch nicht ortsspezifisch im engeren Sinn, so ist die Installation von Strika doch definitiv ortsbezogen und geht mit dem Raum eine symbiotische Beziehung ein. Die Besuchenden selbst werden Teil der Ausstellung, denn je nach Standpunkt und Blickwinkel ergeben sich andere Bilder und Situationen. Es entsteht eine subtile Balance zwischen Raum und Installation, sodass funktionale Elemente der Architektur wie Steckdosen, Türklinken und Rauchmelder als scheinbar gleichberechtigte Bestandteile des Kunstwerks mitwirken. Ein Kreisen entsteht aber nicht nur zwischen Kunst, Raum und Betrachter:innen, sondern könnte auch im Sinne eines Kreislaufes für die Wiederverwertung der Materialien aus dem HINWEISE // REGGIO EMILIA / SOLOTHURN / STEIN AM RHEIN 87

Fundus von Strika stehen. Die Verpackungsmaterialien und Fundgegenstände sind wie Figuren eines wandernden Schattentheaters, das an verschiedenen Orten seine Bühne aufbaut. Dabei sind es eben nicht einzelne Elemente, sondern die feinsinnigen Konstellationen, welche immer wieder aufs Neue zu begeistern wissen. AU Ana Strika · Kreisen, 2023, Ausstellungsansichten Kulturhaus Obere Stube. Foto: Roberta Fele → Kulturhaus Obere Stube, bis 23.7. ↗ kulturhaus-oberestube.ch Sylvie Fleury Winterthur — Eine Meisterdiebin und ihre Komplizen. Mit dieser kurzen Formel liesse sich das Verhältnis der Genfer Künstlerin Sylvie Fleury (*1961) zu ihrem Publikum beschreiben. Dass das Multitalent – ihre Arbeit reicht vom intelligent arrangierten Objet trouvé über Videos, Skulpturen, Malerei bis hin zu Installationen – weiter munter, augenzwinkernd und auf der Höhe der Zeit produziert, ahnten wir vor Kurzem anlässlich der kleinen Ausstellung ‹Double Positive› in der Bechtler Stiftung in Uster. Fleury hat mehr zu sagen. Das zeigt die Sommerausstellung des Kunst Museum Winterthur | Beim Stadthaus mit der Ausstellung ‹Sylvie Fleury – Shoplifters from Venus›, also «Ladendieb:innen / Diebstähle von der Venus», wobei wir gerne an die Göttin, den Planeten, Ausserirdische oder uns selbst denken können. Bevor es in ihre in retrospektiver Fülle ausgebreitete Welt im Erweiterungsbau geht, legt die Künstlerin in den Sälen der Klassischen Moderne programmatisch erste Köder aus. Gleich im zweiten Saal stossen wir auf ‹White Gold›, 2010. Auf einem Sockel glänzt eine zerknautschte Luxustasche silbrig, aus der ebenso versilbert ein Bilderrahmen ragt. Wir ahnen, das Objekt behauptet nicht nur durch den Sockel, sondern durch sein Material, Bronze, eine Skulptur, ein Kunstwerk zu sein, das es mit den Klassikern aufnehmen will: Die Ölmalerei eines Fernand Léger an den Wänden veredelt den glitzernden Gegenstand und wird zugleich zu dessen Kulisse degradiert. Fleury steckt sie munter in die Tasche. Aneignung, Crossover und Remodellierung verschiedener sozial-gesellschaftlicher Bedeutungs- und Anerkennungssysteme beherrscht die Künstlerin meisterhaft, grosszügig, humorvoll, nie didaktisch oder bevormundend. Wir sehen uns ausgerechnet im kleinsten Saal mit einem beeindruckenden Arsenal an Raketen konfrontiert, phallische Monumente, alle mit ‹First Spaceship on Venus› betitelt und glänzend lackiert, aus Zink-Platten verschraubt oder mit weissem Fell überzogen – alles, was männliche Ermächtigungsfantasien beflügeln 88 Kunstbulletin 7-8/2023

die Aktfigur im Stil des einst als wegweisend<br />

geltenden französischen Künstlers aber auch<br />

durch ein Bronzeungetüm, das als Symbol<br />

gestriger Vorstellungen von Kunst gelesen<br />

werden kann. Die sehenswerte Ausstellung eint<br />

viele solch anspielungsreicher Arbeiten. Leider<br />

sind die Originale, auf die die Nachahmungen<br />

sich beziehen, so gut wie nie zu sehen. Kleine<br />

Abbildungen im Saalblatt beispielsweise wären<br />

für einige Besucher:innen sicher hilfreich. AH<br />

Mickry 3 · Der Fluss, 2014, Styropor, Acrystal,<br />

Acryl, Spiegel, Murmeln, 135 x 147 x 93 cm.<br />

Foto: Gion Pfander<br />

Álvaro Barrios · Untitled (How Long Runnin’<br />

Away with This Junk, Red Ryder?), 2006, Daros<br />

Latinamerica Collection, Schweiz<br />

→ Kunstmuseum Solothurn, bis 27.8.<br />

↗ kunstmuseum-so.ch<br />

Ana Strika<br />

Stein am Rhein — Unter dem Titel ‹Kreisen›<br />

bespielt Ana Strika (*1981) das Dachgeschoss<br />

des Kulturhaus Obere Stube. Die<br />

Zürcher Künstlerin, die Januar bis März <strong>2023</strong><br />

Chretzeturm-Stipendiatin der Jakob und<br />

Emma Windler-Stiftung war, eröffnet mit ihrer<br />

Ausstellung das neue Kulturhaus der Stiftung<br />

in einem historischen Haus in der Altstadt.<br />

Inspiration fand Ana Strika bei der Beobachtung<br />

des kreisförmigen Fluges eines Milans<br />

über dem Untersee. Die winterliche Ruhe im<br />

beschaulichen Stein am Rhein, die schmucken<br />

Wandmalereien in der Altstadt, die ruhenden<br />

Schaufenster finden Anklang in ihrer Arbeit.<br />

Strika habe während ihrer dreimonatigen Residenz<br />

im Chretzeturm viel gezeichnet, erklärt<br />

die Kuratorin <strong>Juli</strong>a Wolf. Tatsächlich lässt sich<br />

in der Ausstellung etwas von diesem zeichnerischen<br />

Prozess festmachen, der sich nun dreidimensional<br />

und spielerisch im Raum entfaltet.<br />

Die Entschleunigung und das Kontemplative<br />

wird beim Betreten des Raumes spürbar.<br />

Gewohnt fein ausgearbeitet und detailreich ist<br />

die Anordnung der für Strika typischen Materialien<br />

wie Karton, Schnur, Holz und Packpapier.<br />

Und doch wirkt alles ein wenig aufgeräumter<br />

und sortierter als bei ihren vorangehenden<br />

Ausstellungen.<br />

Das mag auch mit dem hellen Dachstock des<br />

frisch renovierten Gebäudes zusammenhängen.<br />

Wenn auch nicht ortsspezifisch im<br />

engeren Sinn, so ist die Installation von Strika<br />

doch definitiv ortsbezogen und geht mit dem<br />

Raum eine symbiotische Beziehung ein. Die<br />

Besuchenden selbst werden Teil der Ausstellung,<br />

denn je nach Standpunkt und Blickwinkel<br />

ergeben sich andere Bilder und Situationen. Es<br />

entsteht eine subtile Balance zwischen Raum<br />

und Installation, sodass funktionale Elemente<br />

der Architektur wie Steckdosen, Türklinken und<br />

Rauchmelder als scheinbar gleichberechtigte<br />

Bestandteile des Kunstwerks mitwirken.<br />

Ein Kreisen entsteht aber nicht nur zwischen<br />

Kunst, Raum und Betrachter:innen, sondern<br />

könnte auch im Sinne eines Kreislaufes für die<br />

Wiederverwertung der Materialien aus dem<br />

HINWEISE // REGGIO EMILIA / SOLOTHURN / STEIN AM RHEIN<br />

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