Kunstbulletin Juli/August 2023

Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm. Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm.

24.06.2023 Aufrufe

Thomas Struth · Pictures of Paradise, seit 1998, Ausstellungsansicht Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz. Foto: Sandra Maier Ausstellungsansicht Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz, mit Werken von Uriel Orlow © ProLitteris, und Polly Apfelbaum (rechts). Foto: Sandra Maier BESPRECHUNGEN // VADUZ 109

Biennale Architettura, Schweizer Pavillon — Nachbarschaft Als ‹Laboratory of the Future› hat Lesley Loko dieses Jahr die Architekturbiennale kuratiert. Das Fundament bildet die Aussage, dass die eurozentrische Geschichte der Architektur unvollständig sei. Das bringt Dynamiken mit sich, die von den Teams der Länderpavillons unterschiedlich aufgegriffen werden. Venedig — Zeitlos, mit Wurzeln in der europäischen Moderne – so kommt rechts der Hauptachse in den Giardini der 1952 eröffnete Schweizer Pavillon von Bruno Giacometti mit baumbestandenem Innenhof, Backsteinmauerwerk, Natursteinboden alla Venezia und schlanken, weiss lackierten Metallelementen daher. Zwei Jahre später wurde direkt daneben der Venezolanische Pavillon auf Grundlage der Pläne von Carlo Scarpa errichtet. Den Boden des Hauptsaals im Giacometti-Bau bedeckt nun ein Webteppich, der die Originalpläne beider Pavillons abbildet. In der Montage zeigt er, wie die beiden Pavillons ursprünglich aufeinander bezogen waren. Der in der Türkei gewebte Teppich ist neben Sitzgelegenheiten aus Backsteinen ein Element des Projekts, mit dem die Künstlerin Karin Sander und der Kunsthistoriker Philip Ursprung, beide Professoren an der ETH Zürich, den offenen Wettbewerb der Pro Helvetia für sich entschieden haben. Die Backsteine wurden durch den Rückbau einer nach den 1980er-Jahren eingezogenen Wand verfügbar. Der so wiederhergestellte Durchgang zwischen beiden Bauten ist das Rückgrat des Konzepts, die Architektur des Pavillons zum Exponat zu machen. Erstmals werden in dieser Breite dank kollaborativer Forschung die Relationen aufgezeigt, mit denen der Schweizer Pavillon zu lokalen Baukulturen, Botanik und der Gegenwart steht: Bei der Biennale-Eröffnung charakterisierte Ursprung die Schweiz als «Land mit Ambivalenz» im Kräftefeld geopolitischer sowie sozioökonomischer Interessen, etwa beim Rahmenabkommen mit der EU, und sprach sich dafür aus, «aus der Neutralität heraus die immer wieder zu beobachtende Eigennützigkeit mit Kunst und Architektur» infrage zu stellen. Der weiter hinten gelegene Deutsche Pavillon wird als Lager präzise inventarisierter «Restbestände» an Materialien der Biennale 2022 mit Werkstatt betrieben. Das Konzept der Instand(be)setzung manifestiert sich auch in einem menschenfreundlicheren Zugang. Mit einer verspiegelten Bühne in Space-Shuttle-Optik propagiert der gegenüberliegende Französische Pavillon die Vision einer «utopia povera», angelernte Sprachen und Gewohnheiten fremd werden zu lassen und einen Neuanfang in der Diversität zu wagen. Dieser Vorstoss, ein neues Alphabet aus dem «lore ipsum», dem Blindtext, zu lernen, vermittelt zu der Architektur und den Architekturschaffenden afrikanischer Herkunft, die bei dieser Biennale hierzulande erstmals in dieser Breite kennengelernt werden können. Stefanie Manthey → ‹Biennale Architettura›, bis 26.11. ↗ labiennale.org 110 Kunstbulletin 7-8/2023

Biennale Architettura, Schweizer Pavillon — Nachbarschaft<br />

Als ‹Laboratory of the Future› hat Lesley Loko dieses Jahr die Architekturbiennale<br />

kuratiert. Das Fundament bildet die Aussage,<br />

dass die eurozentrische Geschichte der Architektur unvollständig<br />

sei. Das bringt Dynamiken mit sich, die von den Teams der<br />

Länderpavillons unterschiedlich aufgegriffen werden.<br />

Venedig — Zeitlos, mit Wurzeln in der europäischen Moderne – so kommt rechts der<br />

Hauptachse in den Giardini der 1952 eröffnete Schweizer Pavillon von Bruno Giacometti<br />

mit baumbestandenem Innenhof, Backsteinmauerwerk, Natursteinboden alla<br />

Venezia und schlanken, weiss lackierten Metallelementen daher. Zwei Jahre später<br />

wurde direkt daneben der Venezolanische Pavillon auf Grundlage der Pläne von Carlo<br />

Scarpa errichtet. Den Boden des Hauptsaals im Giacometti-Bau bedeckt nun ein<br />

Webteppich, der die Originalpläne beider Pavillons abbildet. In der Montage zeigt er,<br />

wie die beiden Pavillons ursprünglich aufeinander bezogen waren.<br />

Der in der Türkei gewebte Teppich ist neben Sitzgelegenheiten aus Backsteinen<br />

ein Element des Projekts, mit dem die Künstlerin Karin Sander und der Kunsthistoriker<br />

Philip Ursprung, beide Professoren an der ETH Zürich, den offenen Wettbewerb<br />

der Pro Helvetia für sich entschieden haben. Die Backsteine wurden durch den Rückbau<br />

einer nach den 1980er-Jahren eingezogenen Wand verfügbar. Der so wiederhergestellte<br />

Durchgang zwischen beiden Bauten ist das Rückgrat des Konzepts, die Architektur<br />

des Pavillons zum Exponat zu machen. Erstmals werden in dieser Breite<br />

dank kollaborativer Forschung die Relationen aufgezeigt, mit denen der Schweizer<br />

Pavillon zu lokalen Baukulturen, Botanik und der Gegenwart steht: Bei der Biennale-Eröffnung<br />

charakterisierte Ursprung die Schweiz als «Land mit Ambivalenz» im<br />

Kräftefeld geopolitischer sowie sozioökonomischer Interessen, etwa beim Rahmenabkommen<br />

mit der EU, und sprach sich dafür aus, «aus der Neutralität heraus die<br />

immer wieder zu beobachtende Eigennützigkeit mit Kunst und Architektur» infrage<br />

zu stellen.<br />

Der weiter hinten gelegene Deutsche Pavillon wird als Lager präzise inventarisierter<br />

«Restbestände» an Materialien der Biennale 2022 mit Werkstatt betrieben. Das<br />

Konzept der Instand(be)setzung manifestiert sich auch in einem menschenfreundlicheren<br />

Zugang. Mit einer verspiegelten Bühne in Space-Shuttle-Optik propagiert der<br />

gegenüberliegende Französische Pavillon die Vision einer «utopia povera», angelernte<br />

Sprachen und Gewohnheiten fremd werden zu lassen und einen Neuanfang in der<br />

Diversität zu wagen. Dieser Vorstoss, ein neues Alphabet aus dem «lore ipsum», dem<br />

Blindtext, zu lernen, vermittelt zu der Architektur und den Architekturschaffenden<br />

afrikanischer Herkunft, die bei dieser Biennale hierzulande erstmals in dieser Breite<br />

kennengelernt werden können. Stefanie Manthey<br />

→ ‹Biennale Architettura›, bis 26.11. ↗ labiennale.org<br />

110 <strong>Kunstbulletin</strong> 7-8/<strong>2023</strong>

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