Kunstbulletin Juli/August 2023

Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm. Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm.

24.06.2023 Aufrufe

Akris Zürich — Es müssen schöne Stunden gewesen sein, die Albert Kriemler 2003 bei Ian Hamilton Finlay in seiner Gartenanlage Little Sparta verbracht hat. Während vierzig Jahren hat der schottische Dichter und Konzeptkünstler dort eine Szenerie von Werken angelegt, welche die europäischen Werte vertreten und Lichtung und Hain zu zwei zentralen Polen machen. Ohne die Begeisterung für diesen südlich von Edinburgh gelegenen Garten und seinen Schöpfer könnte man sich kaum erklären, welche Modeentwürfe der Kreativdirektor von Akris daraus entwickelt hat. Der Designer hat Elemente des Kunstgartens in die Sprache der Mode übersetzt. Lichtung und Teich mit ihren Farben und Lichtreflexen scheinen sich auf den Kleidern, die mit Pailletten versehen sind, zu spiegeln; so raffiniert sind sie nach Fotovorlagen im Digitaldruck aufgebracht. Die Inspiration durch den schottischen Künstler ist eines von zehn Beispielen aus den letzten beiden Jahrzehnten, die im Museum für Gestaltung, nach einem Präludium zur Firmengeschichte, die Begeisterung Albert Kriemlers für Kunst und Architektur erlebbar machen. «Wir zeigen nicht viele Modeausstellungen, die erste war zu Cristóbal Balenciaga», sagte Museumsdirektor Christian Brändle bei der Medienkonferenz. Balenciaga war neben Yves Saint Laurent der zweite grosse Modeschöpfer, den Albert Kriemler als junger Mann verehrte. Seine Liebe zur Kunst hat er bei seinen vielen Reisen in Galerien und Museen entdeckt. «Wenn man will, findet man zwischen 17 und 20 Uhr immer Zeit, eine Ausstellung anzuschauen», sagt er. Das erste Mal liess er sich von Félix Vallotton in der Villa Flora inspirieren, dann von Giorgio Morandis Stillleben in Bologna. Immer waren es die Farben. Während der Pandemie mussten die Défilés in Paris ausfallen, und man zeigte neue Kollektionen dreimal in Filmen. Zuletzt erweckten die Models das neue «Learning Center» der Universität St. Gallen, konzipiert als Glaswürfel von Architekt Sou Fujimoto, mit Kleidern nach Motiven Reinhard Voigts zum Leben. Der 83-jährige Maler hat sein Leben lang Quadrate mit knalligen Farben zu Pixelbildern gefügt, die ganz heutig wirken. Von ihm sind, wie von den anderen Künstlern die entsprechenden Kunstwerke – Imi Knoebels Aluminiumbilder und Thomas Ruffs Fotografien sind besonders zu erwähnen – zusammen mit den Kleidern zu sehen, die Albert Kriemler im Dialog entworfen hat. Zwei Welten begegnen sich und finden wunderbar leicht zusammen. So inspirierend ist eine Mode-Ausstellung noch kaum zu erleben gewesen. GM ‹Akris. Mode. selbstverständlich›, Ausstellungsansicht Museum für Gestaltung Zürich, mit Werken von Imi Knoebel © ProLitteris. Foto: Regula Bearth ‹Akris. Mode. selbstverständlich›, Ausstellungsansicht Museum für Gestaltung Zürich, mit Werken von Thomas Ruff © ProLitteris. Foto: Regula Bearth → Museum für Gestaltung, bis 24.9. ↗ museum-gestaltung.ch HINWEISE // YVERDON-LES-BAINS / ZÜRICH 91

BESPRECHUNGEN Tiona Nekkia McClodden — Das Privileg des Atmens Der Ausstellungsraum ist schon vieles gewesen, aber so luftleer war er selten. In ihrer ersten institutionellen Soloschau in Europa nimmt die US-amerikanische Künstlerin Tiona Nekkia McClodden der Kunsthalle Basel die Luft – und gibt ihr dafür eine Sprache, um über das Privileg des Atmens zu sprechen. Basel — Der kurze Satz braucht einen langen Atem: «Don’t forget to forget to breathe» – steht auf einem schwarzen Lederriemen, der senkrecht an der Wand hängt. Es ist ein viel genanntes Klischee, dass wir nicht ans Atmen denken müssen. Es ist aber auch ein Privileg, das Atmen vergessen zu können. «I can’t breathe» der Black-Lives- Matter-Bewegung hat auf den Punkt gebracht, dass Diskriminierungen wie Rassismus Betroffenen die Luft nehmen: buchstäblich oder indirekt – etwa durch Wohnpolitik und Luftverschmutzung – und in metaphorischem Sinn sowieso. «Don’t forget to forget to breathe» könnte in dieser Logik eine ironische Aufforderung an Menschen sein, denen die Luft nicht wegen unabänderlicher Tatsachen ihrer individuellen Verfasstheit – etwa wegen ihrer Hautfarbe – wegbleibt, doch bitte in dieser privilegierten Atemfreiheit zu verbleiben. Oder als Durchhalteparole für Betroffene: «Denk dran, im Prinzip wärst du als Mensch berechtigt, das Atmen zu vergessen.» In der Ausstellung von Tiona Nekkia McClodden (*1981) in der Kunsthalle Basel wird der Satz, der zusammen mit anderen Sätzen in einer gewohnt kargen Präsentation im Oberlichtsaal hängt, auch als persönliches Mantra aufgelöst: Im letzten Raum der Schau mit dem unglaublichen Titel ‹The Poetics of Beauty Will Inevitably Resort to the Most Base Pleadings And Other Wiles in Order to Secure Its Release› ist in einem Video die schlafende Künstlerin zu sehen. An ihrem Kopf befestigt ist eine Atemmaske, die zum Zuge kommt, wenn ihr die Luft wegbleibt: McClodden leidet unter Schlafapnoe, einer Erkrankung, die die Atmung während des Schlafs immer wieder kurz stoppen lässt. Ihr Körper vergisst mehrmals pro Stunde, zu atmen. Auch wenn ich als weisser Mann es vielleicht bequem fände, um in simpler Solidarität schwelgen zu können: Das ist keine Schau zu «I can’t breathe», sondern eine zu «Don’t forget to forget to breathe». Es ist eine Verkomplizierung der Verhältnisse, eine «Komplexisierung» der eigentlich doch vernachlässig- und vergessbaren Atmung mit den Mitteln der Kunst – bis hin zu Themen wie der industriellen Tierhaltung, die von der Künstlerin mittels würgender Gerätschaften eingebracht wird. Und diese Verkomplizierung ist produktiv und nachhaltig. «Don’t forget to forget to breathe» heisst auch: Du wirst es nie mehr wirklich vergessen können. Daniel Morgenthaler → ‹Tiona Nekkia McClodden – The Poetics of Beauty Will Inevitably Resort to the Most Base Pleadings And Other Wiles in Order to Secure Its Release›, Kunsthalle Basel, bis 13.8. ↗ kunsthallebasel.ch 92 Kunstbulletin 7-8/2023

BESPRECHUNGEN<br />

Tiona Nekkia McClodden — Das Privileg des Atmens<br />

Der Ausstellungsraum ist schon vieles gewesen, aber so luftleer<br />

war er selten. In ihrer ersten institutionellen Soloschau in<br />

Europa nimmt die US-amerikanische Künstlerin Tiona Nekkia<br />

McClodden der Kunsthalle Basel die Luft – und gibt ihr dafür<br />

eine Sprache, um über das Privileg des Atmens zu sprechen.<br />

Basel — Der kurze Satz braucht einen langen Atem: «Don’t forget to forget to breathe»<br />

– steht auf einem schwarzen Lederriemen, der senkrecht an der Wand hängt. Es<br />

ist ein viel genanntes Klischee, dass wir nicht ans Atmen denken müssen. Es ist aber<br />

auch ein Privileg, das Atmen vergessen zu können. «I can’t breathe» der Black-Lives-<br />

Matter-Bewegung hat auf den Punkt gebracht, dass Diskriminierungen wie Rassismus<br />

Betroffenen die Luft nehmen: buchstäblich oder indirekt – etwa durch Wohnpolitik<br />

und Luftverschmutzung – und in metaphorischem Sinn sowieso.<br />

«Don’t forget to forget to breathe» könnte in dieser Logik eine ironische Aufforderung<br />

an Menschen sein, denen die Luft nicht wegen unabänderlicher Tatsachen<br />

ihrer individuellen Verfasstheit – etwa wegen ihrer Hautfarbe – wegbleibt, doch bitte<br />

in dieser privilegierten Atemfreiheit zu verbleiben. Oder als Durchhalteparole für<br />

Betroffene: «Denk dran, im Prinzip wärst du als Mensch berechtigt, das Atmen zu<br />

vergessen.» In der Ausstellung von Tiona Nekkia McClodden (*1981) in der Kunsthalle<br />

Basel wird der Satz, der zusammen mit anderen Sätzen in einer gewohnt kargen Präsentation<br />

im Oberlichtsaal hängt, auch als persönliches Mantra aufgelöst: Im letzten<br />

Raum der Schau mit dem unglaublichen Titel ‹The Poetics of Beauty Will Inevitably<br />

Resort to the Most Base Pleadings And Other Wiles in Order to Secure Its Release›<br />

ist in einem Video die schlafende Künstlerin zu sehen. An ihrem Kopf befestigt ist<br />

eine Atemmaske, die zum Zuge kommt, wenn ihr die Luft wegbleibt: McClodden leidet<br />

unter Schlafapnoe, einer Erkrankung, die die Atmung während des Schlafs immer<br />

wieder kurz stoppen lässt. Ihr Körper vergisst mehrmals pro Stunde, zu atmen.<br />

Auch wenn ich als weisser Mann es vielleicht bequem fände, um in simpler Solidarität<br />

schwelgen zu können: Das ist keine Schau zu «I can’t breathe», sondern eine<br />

zu «Don’t forget to forget to breathe». Es ist eine Verkomplizierung der Verhältnisse,<br />

eine «Komplexisierung» der eigentlich doch vernachlässig- und vergessbaren Atmung<br />

mit den Mitteln der Kunst – bis hin zu Themen wie der industriellen Tierhaltung,<br />

die von der Künstlerin mittels würgender Gerätschaften eingebracht wird. Und diese<br />

Verkomplizierung ist produktiv und nachhaltig. «Don’t forget to forget to breathe»<br />

heisst auch: Du wirst es nie mehr wirklich vergessen können. Daniel Morgenthaler<br />

→ ‹Tiona Nekkia McClodden – The Poetics of Beauty Will Inevitably Resort to the Most Base Pleadings<br />

And Other Wiles in Order to Secure Its Release›, Kunsthalle Basel, bis 13.8. ↗ kunsthallebasel.ch<br />

92 <strong>Kunstbulletin</strong> 7-8/<strong>2023</strong>

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