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Kunstbulletin Juli/August 2023

Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm.

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David Renggli — Das flimmernde Ja und das grelle Pink<br />

David Renggli spielt mit den Wörtern, Gedanken und Bildern.<br />

Der Zürcher Künstler lässt im Kunst(Zeug)Haus in Rapperswil<br />

Züge fahren, Gedanken kreisen und Farben knallen. So heiter<br />

und unbefangen die Werke daherkommen, so ernst und aktuell<br />

sind ihre Hintergründe.<br />

Rapperswil-Jona — «Say» fordern drei Versalien. Darüber radial ausgerichtete Streifen,<br />

darunter ein Halbkreis: Ein Sonnenuntergang aus Neonröhren. Unter der Horizontlinie<br />

kein gespiegeltes «Say», sondern ein spiegelverkehrtes «Yes». In krakeligen<br />

Neon-Buchstaben versinkt es zwischen flimmernden Linien: Das Ja geht unter – hier<br />

wie auch im Sexualstrafrecht. Der Nationalrat hatte noch Ende 2022 der Forderung<br />

«Nur Ja heisst Ja» zugestimmt und damit den Tatbestand der Vergewaltigung neu<br />

klassifiziert. Im Ständerat wurde daraus ein weniger weitreichendes «Nein heisst<br />

Nein». David Renggli bezieht sich mit dem Werk ‹Say Yes›, <strong>2023</strong>, nicht ausdrücklich<br />

auf diese Entscheidung, und doch: Seine Arbeiten im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil<br />

zeigen deutlich, dass ihm diese Themen weder fremd noch egal sind.<br />

Die Ausstellung ist in zwei Teile gegliedert. Der grösste Bereich ist ‹Untitled Train›,<br />

<strong>2023</strong>, vorbehalten. Hier hängt nichts an den weissen Wänden. Der Fokus liegt vollständig<br />

auf sich durch den Raum schlängelnden, schwarzen Modelleisenbahnschienen. Sie<br />

nehmen einerseits Bezug auf das geschwungene Oberlicht und stehen andererseits in<br />

Kontrast zu den spitzwinklig aufeinander zulaufenden Dachsparren, den Pfeilern und<br />

dem Weiss des Raumes – eine äusserst ästhetische Bodenzeichnung. Und mehr als<br />

das: Auf den Schienen ziehen fünf Miniatur-Loks kunterbunte Waggons hinter sich her.<br />

Beschriftet sind sie mit Seufzern, Gedankensplittern, Alltagsweisheiten und schliesslich<br />

einem «Noch wach». Spätestens hier kommt das hochaktuelle und doch versinkende<br />

«Ja» ins Spiel: Das Wortpaar bezieht sich auf Benjamin von Stuckrad-Barres<br />

kürzlich erschienenes, gleichnamiges Buch über den strukturellen Machtmissbrauch<br />

im Mediengeschäft. Gilt dort ein «Nein»? Wie verhält es sich dort mit «wollen können<br />

müssen»? – Wörter, die ebenfalls auf den kleinen Waggons stehen.<br />

David Renggli lässt alles offen, er deutet lieber an. Spielerisch und vieldeutig<br />

flicht er zeitgenössische Bildwelten, Denkmuster und Themen ineinander. So mixt er<br />

in Leuchtkästen Klatsch und Erotik aus der Boulevardpresse mit Reklamesujets und<br />

Kunstzitaten oder malt seine ‹SUV-Bilder› auf Bettbezüge aus dem Brockenhaus:<br />

Ethnokitsch, Dollarnoten, Disneymotive mischen sich mit albernen Autonamen, Penissymbolik<br />

und imitierten Wasserzeichen. Die Farben knallen, Kermit lacht in Pink,<br />

ein Besen wischt alles beiseite – die Welt dreht sich schnell, was heute noch gilt, ist<br />

morgen vielleicht ganz anders. Kristin Schmidt<br />

→ ‹David Renggli – Jahrmarkt der Gefühle›, Kunst(Zeug)Haus, bis 6.8. ↗ kunstzeughaus.ch<br />

106 <strong>Kunstbulletin</strong> 7-8/<strong>2023</strong>

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