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Kunstbulletin Juli/August 2023

Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm.

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Gina Folly — Den Alltag im Blick<br />

Anlässlich der Verleihung des Manor Kunstpreises Basel an<br />

Gina Folly zeigt das Kunstmuseum Basel | Gegenwart die Soloschau<br />

‹Autofokus›. Darin befragt die Künstlerin mit zwei neuen<br />

Fotoserien, Objekten und einer Installation subtil ausgrenzende<br />

gesellschaftliche Strukturen und Vorurteile.<br />

Basel — Hier wird gehämmert, gebohrt oder eine Wohnung geräumt. Ein Herr schleppt<br />

eine Matratze, ein anderer repariert eine Fernsteuerung, und eine Frau schneidet Rosen.<br />

Es sind unspektakuläre Tätigkeiten, ausgeübt von älteren Menschen, die Gina<br />

Folly (*1983) in unprätentiösen Bildern festhält. Alle Personen, im Bildtitel mit Vornamen<br />

genannt, sind in ihre Arbeit vertieft. Die Szenen wirken dokumentarisch, nicht<br />

inszeniert. Es ist eine Gruppe von Pensionierten, die in Eigeninitiative den Verein<br />

Quasitutto im zürcherischen Thalwil gegründet hat und alltägliche Dienstleistungen<br />

für Haushalt, Garten und IT anbietet. Dass sich die Protagonist:innen so vorbehaltlos<br />

der Kamera ausliefern, beruht auf einer vertrauensvollen Beziehung zur Fotografin.<br />

Folly begleitet sie schon länger bei den Arbeitseinsätzen, betrachtet sich selbst als<br />

Teil des Geschehens. Ihre Bilder stellen die Frage nach dem «Gebrauchtwerden» oder<br />

«in Gebrauch sein» und thematisieren damit die Würde des Menschen im Alter.<br />

Als ausgebildete Fotografin mit Studium an der ZHdK finanziert Folly ihr Leben mit<br />

Fotoaufträgen. Das Smartphone benützt sie zur Dokumentation des Alltags. Aus diesem<br />

entstandenen Bilderfundus schält sie Themen heraus, die soziale Beziehungssysteme<br />

und gesellschaftliche Strukturen verhandeln, und entwickelt sie weiter zu<br />

Objekten und Installationen. Passend zum Thema der Bilder, die sie aktuell im Kunstmuseum<br />

Basel zeigt, arbeitet Folly hier mit einer analogen Mittelformatkamera und<br />

lässt die Farbabzüge bewusst unbearbeitet mit ihrer authentischen Ausstrahlung<br />

stehen. Der Fotoserie gegenübergestellt sind mehrere farbige Parkbänke aus Aluminium,<br />

die ironisch stereotype Vorstellungen von Menschen im Ruhestand zitieren<br />

und hinterfragen: Die Sitzgelegenheiten sind mit Logos von Kodak, Fuji und anderen<br />

Firmen, die noch analoges Filmmaterial produzieren, versehen. Vom heutigen Revival<br />

der alten Technik zieht Folly augenzwinkernd eine Parallele zu den Senior:innen von<br />

Quasitutto, die sich nützlich machen. Das unterstreicht auch die blinkende Lichtinstallation,<br />

die den bekannten Song ‹Forever Young›, 1984, von Alphaville im Rhythmus<br />

von Morsesignalen spielt.<br />

Folly setzt mit ‹Autofokus› nicht nur ein Zeichen gegen rigide Alterskategorien, sie<br />

richtet den Blick auch auf die Kunst. Mit vorgeschriebenen Alterslimiten für Preise<br />

und Stipendien werden Menschen ausgegrenzt: Kunstproduktion ist nicht an ein Alter<br />

gebunden. Iris Kretzschmar<br />

→ ‹Gina Folly – Autofokus. Manor Kunstpreis <strong>2023</strong>›, Kunstmuseum Basel | Gegenwart Basel, bis 1.10.<br />

↗ kunstmuseumbasel.ch<br />

94 <strong>Kunstbulletin</strong> 7-8/<strong>2023</strong>

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