Kunstbulletin Juli/August 2023
Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm. Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm.
FOKUS // FRANZ HOHLER 45
Franz Hohler (*1943, Biel), aufgewachsen in Olten, lebt in Zürich-Oerlikon 1963 Studium der Germanistik und Romanistik, Universität Zürich 1965 Erstes Soloprogramm ‹pizzicato›; Abbruch des Studiums; freischaffender Künstler 1970er Beginn seines öffentlichen Engagements gegen die Kernkraft. Teilnehmer und Redner unter anderem auf Demonstrationen gegen das AKW Gösgen 1979, 1986 und 2011 auf einer Demonstration im Nachgang der Fukushima-Katastrophe 1973–1994 Kindersendung ‹Spielhaus› mit René Quellet, Schweizer Fernsehen DRS (heute SRF) 2004 Ein-Mann-Demonstration für die Freiheit der Kunst auf dem Bundesplatz in Bern als Reaktion auf die Kürzung des Jahresbudgets von Pro Helvetia nach der Hirschhorn-Affäre um CHF 1 Mio. Bekannte Texte und Publikationen: ‹Ds Totemügerli›, 1967; ‹Der Weltuntergang›, 1973; ‹Tschipo›, 1978; ‹Die Rückeroberung›, 1982; ‹Der neue Berg›, 1989; ‹Die Steinflut›, 1998 Hohler: Durchaus. Es braucht eine lebendige Auseinandersetzung. Die Organisatoren der Solothurner Literaturtage forderten dieses Jahr die Teilnehmenden auf, sich gegenseitig zu respektieren. In der NZZ gab es eine bissige Glosse darüber: Jetzt müssen die Autor:innen auch noch nett miteinander sein! Wo bleibt die Debatte?! Letztendlich interessieren einen Debatten und konträre Meinungen. Wenn im ‹Literaturclub› ein Buch von allen gelobt wird, reizt es mich fast weniger zum Lesen, als wenn auf ein Lob ein Verriss folgt. Ich habe einst ein Lied geschrieben, ‹Es si alli so nätt›. Vielleicht sind wir alle ein wenig zu nett miteinander. Kunstbulletin: Aber gerade beim Schreiben ist ein Brennpunkt die Sprache selbst. Wie halten Sie es beispielsweise mit der gendergerechten Sprache? Hohler: Ich nutze gerne die männliche und weibliche Form zusammen. Für mich ist das Sternchen als Forderung poesiefeindlich. Viele meiner Texte würden damit einfach an Kraft verlieren. Ein Lied wie ‹Schweizer sein / ganz allein / gut gefahren / seit 700 Jahren / als die freundlichen fleissigen Opas / Europas›. «Schweizer*in sein / ganz …». Das würde ich nicht über die Zunge bringen. Es ist ein Rhythmusbrecher. Für mich. Oder meine Ballade ‹Der Weltuntergang› mit Passagen wie «Wenig später werden die Bewohner dieser Insel …». Ich trage den Text heute noch häufig vor und habe in der jüngsten Neuauflage – einem SJW-Heft mit Illustrationen von Dieter Leuenberger – eine Bemerkung angefügt, dass der Text von 1973 sei und ich ihn nicht verändert hätte. Heute würde ich mir das beim Schreiben wohl anders überlegen. Ich würde aber nie «jemensch» statt «jemand» schreiben, auch wenn ich solche Versuche interessant finde. Eine Sprache, die sich nicht verändert, ist tot. Trotzdem sollten Mark Twain oder ‹Winnetou› als ein Stück Historie stehen bleiben können. Damals erzählte man die Geschichte so und man verwendete heute fragliche Worte. Daran merkt man, dass Zeit vergangen ist und wir nun in einer anderen Welt leben. Kunstbulletin: Im Kontext der Hirschhorn-Affäre demonstrierten Sie 2004 für die Freiheit der Kunst. Auch im Kunstbulletin wurde dazu ein Text von Ihnen publiziert (→ KB 1–2/2005). Damals wurde die Kunst von politischer Seite finanziell beschnitten. Kommt nun die «Zensur» eher aus der Gesellschaft selbst? Hohler: Nun, man kann sagen: Wenigstens hört jemand zu! (Lacht) Ich erhalte öfters solche Reaktionen, vor allem zu meinen Kinderbüchern. Ein Vater schrieb einer Leh- 46 Kunstbulletin 7-8/2023
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Franz Hohler (*1943, Biel), aufgewachsen in Olten, lebt in Zürich-Oerlikon<br />
1963 Studium der Germanistik und Romanistik, Universität Zürich<br />
1965 Erstes Soloprogramm ‹pizzicato›; Abbruch des Studiums; freischaffender Künstler<br />
1970er Beginn seines öffentlichen Engagements gegen die Kernkraft. Teilnehmer und Redner unter<br />
anderem auf Demonstrationen gegen das AKW Gösgen 1979, 1986 und 2011 auf einer Demonstration<br />
im Nachgang der Fukushima-Katastrophe<br />
1973–1994 Kindersendung ‹Spielhaus› mit René Quellet, Schweizer Fernsehen DRS (heute SRF)<br />
2004 Ein-Mann-Demonstration für die Freiheit der Kunst auf dem Bundesplatz in Bern als Reaktion<br />
auf die Kürzung des Jahresbudgets von Pro Helvetia nach der Hirschhorn-Affäre um CHF 1 Mio.<br />
Bekannte Texte und Publikationen: ‹Ds Totemügerli›, 1967; ‹Der Weltuntergang›, 1973; ‹Tschipo›, 1978;<br />
‹Die Rückeroberung›, 1982; ‹Der neue Berg›, 1989; ‹Die Steinflut›, 1998<br />
Hohler: Durchaus. Es braucht eine lebendige Auseinandersetzung. Die Organisatoren<br />
der Solothurner Literaturtage forderten dieses Jahr die Teilnehmenden auf, sich<br />
gegenseitig zu respektieren. In der NZZ gab es eine bissige Glosse darüber: Jetzt<br />
müssen die Autor:innen auch noch nett miteinander sein! Wo bleibt die Debatte?!<br />
Letztendlich interessieren einen Debatten und konträre Meinungen. Wenn im ‹Literaturclub›<br />
ein Buch von allen gelobt wird, reizt es mich fast weniger zum Lesen, als<br />
wenn auf ein Lob ein Verriss folgt. Ich habe einst ein Lied geschrieben, ‹Es si alli so<br />
nätt›. Vielleicht sind wir alle ein wenig zu nett miteinander.<br />
<strong>Kunstbulletin</strong>: Aber gerade beim Schreiben ist ein Brennpunkt die Sprache selbst.<br />
Wie halten Sie es beispielsweise mit der gendergerechten Sprache?<br />
Hohler: Ich nutze gerne die männliche und weibliche Form zusammen. Für mich ist das<br />
Sternchen als Forderung poesiefeindlich. Viele meiner Texte würden damit einfach an<br />
Kraft verlieren. Ein Lied wie ‹Schweizer sein / ganz allein / gut gefahren / seit 700 Jahren<br />
/ als die freundlichen fleissigen Opas / Europas›. «Schweizer*in sein / ganz …». Das<br />
würde ich nicht über die Zunge bringen. Es ist ein Rhythmusbrecher. Für mich. Oder<br />
meine Ballade ‹Der Weltuntergang› mit Passagen wie «Wenig später werden die Bewohner<br />
dieser Insel …». Ich trage den Text heute noch häufig vor und habe in der jüngsten<br />
Neuauflage – einem SJW-Heft mit Illustrationen von Dieter Leuenberger – eine<br />
Bemerkung angefügt, dass der Text von 1973 sei und ich ihn nicht verändert hätte.<br />
Heute würde ich mir das beim Schreiben wohl anders überlegen. Ich würde aber nie<br />
«jemensch» statt «jemand» schreiben, auch wenn ich solche Versuche interessant<br />
finde. Eine Sprache, die sich nicht verändert, ist tot. Trotzdem sollten Mark Twain<br />
oder ‹Winnetou› als ein Stück Historie stehen bleiben können. Damals erzählte man<br />
die Geschichte so und man verwendete heute fragliche Worte. Daran merkt man,<br />
dass Zeit vergangen ist und wir nun in einer anderen Welt leben.<br />
<strong>Kunstbulletin</strong>: Im Kontext der Hirschhorn-Affäre demonstrierten Sie 2004 für die<br />
Freiheit der Kunst. Auch im <strong>Kunstbulletin</strong> wurde dazu ein Text von Ihnen publiziert<br />
(→ KB 1–2/2005). Damals wurde die Kunst von politischer Seite finanziell beschnitten.<br />
Kommt nun die «Zensur» eher aus der Gesellschaft selbst?<br />
Hohler: Nun, man kann sagen: Wenigstens hört jemand zu! (Lacht) Ich erhalte öfters<br />
solche Reaktionen, vor allem zu meinen Kinderbüchern. Ein Vater schrieb einer Leh-<br />
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