Kunstbulletin Juli/August 2023
Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm. Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm.
So unterschiedlich die einzelnen Arbeiten sind, so gut spielen sie zusammen. Alles fügt sich zu einem stimmigen Ganzen: Barbara Signer konstruiert mit ‹The First the Last Eternity› eine Übergangszone zwischen Realität und Parallelwelt. Dieser Schwebezustand besitzt magische Anziehungskraft und irritiert zugleich, er lockt mit Vertrautem und führt ins Ungewisse, vielleicht sogar in die Unendlichkeit. KS Barbara Signer · Gate IV (New Directions), 2023, MDF, Acryl, Strassenlaternen, 320 x 175 x 150 cm. Foto: Ladina Bischof Raumfahrt VII Baden — Bald kriegt der Mensch einen Chip ins Hirn gelegt und heutige Science-Fiction-Filme wirken wie Schnee von gestern. Die Langmatt knüpft sich dennoch, oder gerade deswegen, unter dem Titel des kultigen Films ‹Back to the Future› von Forrest-Gump-Regisseur Robert Zemeckis Wissenschaft und Zukunftsfiktion vor. So gehen in der siebten Ausgabe von ‹Raumfahrt› drei junge Künstler:innen Visionen und Zeitsprüngen auf die Spur. Was dies Fragen generiert, zeigt etwa der in Chile geborene Genfer Vicente Lesser (*1992): Eine Timeline, bestehend aus einem Betonrelief und windschiefen Sternen auf Plastikfolie, reiht Jahreszahlen aus der Geschichte Chiles aneinander. Pfeile mit kryptischen Inschriften ergänzen den Fries. Ein Ziegelstein dreht sich auf einem Minibildschirm um die eigene Achse, und eine Pyramide – ein umgestülpter Aschenbecher – erzählt gleichzeitig von Hochkultur und verbrannter Erde. Laila Kaletta (*1995) forscht mit dem Feldstecher in einer tierischen Ahnengalerie über Wimpertierchen – eine witzige Videoarbeit über die kleinsten Bewohner der Erde. Und die Malerin Natascha Donzé (*1991) hängt Solarpanels, abstrakte Blumenwiesen und einen frechen Splash an Backsteinwände. Irdisch schön und gleichzeitig «seltsam toxisch», wie Kuratorin Daniela Minneboo bemerkt. FS Barbara Signer · The First the Last Eternity, 2023, Ausstellungsansicht Kunsthalle Arbon. Foto: Ladina Bischof → Kunsthalle Arbon, bis 23.7. ↗ kunsthallearbon.ch Vicente Lesser · Another gate to Llano del Rio, 2023 (Detail), Spritzbeton, Tapete, Keramik, Zigaretten, Videoanimationen, Rauminstallation. Foto: Severin Bigler → Museum Langmatt, bis 24.9. ↗ langmatt.ch HINWEISE // ANIMATION / ARBON / BADEN 77
Jean-Michel Basquiat Basel — Die Fondation Beyeler zeigt aktuell die ‹Modena Paintings›, 1982, von Jean-Michel Basquiat (1960–1988). Die acht monumentalen Gemälde schuf der Künstler während eines einwöchigen Aufenthalts in der italienischen Stadt. Nachdem Basquiat bereits 1981 eine Soloschau in der Galleria d’Arte Emilio Mazzoli in Modena realisiert hatte, lud ihn der Galerist 1982 für eine weitere Ausstellung ein. Basquiat arbeitete in einem der Lagerräume der Galerie auf vorgefertigten Leinwänden. Er kombinierte darauf menschliche und tierische Figuren mit Referenzen unter anderem auf die römische Kultur und Kunstgeschichte, stets in Beziehung zur Geschichte und zur gesellschaftlichen Situation Schwarzer Menschen. Wegen Unstimmigkeiten zwischen den beteiligten Galerist:innen und auch zwischen ihnen und Basquiat, der sich aufgrund der kurzen Produktionsdauer wie in einer «Fabrik» und als «Galeriemaskottchen» missbraucht fühlte, kam die Schau nicht zustande. Die Bilder wurden jedoch einzeln verkauft und sind nun von der Fondation Beyeler erstmals zusammengeführt worden. So kann man als Besucher:in nach Gemeinsamkeiten und übergreifenden Themen im Werkzyklus suchen und Basquiats Frühwerk aus dem Blickwinkel wie auch in Verbindung zu der italienischen Transavanguardia betrachten. MV Eva Leitolf Bern — Ein Hochsitz im Zwielicht, Satellitenschüsseln vor einem Block oder ein Baum, dessen reife, gelbe Früchte in den Schlamm fallen – die Schau ‹Postcards from Europe› zeigt keine pittoresken Ansichten. Im Kornhausforum in Bern bildet die deutsche Künstlerin Eva Leitolf (*1966) fotografisch von Migration geprägte Orte in Europa mit latent bedrohlichem Charakter ab. Dabei frappiert die Leere der Ausschnitte. Aufliegende Postkarten mit Begleittexten erläutern die Sujets, wodurch der erste Eindruck stark verändert wird. Das Haus mit den Satellitenschüsseln entpuppt sich als Palazzo Selam in Rom. Das Universitätsgebäude ist seit 2006 von Geflüchteten besetzt, was auf die prekäre Versorgung sowie die restriktive Politik verweist. Der Orangenbaum in Kalabrien widerspiegelt die Ausbeutung Illegaler, die für rund € 20 pro Tag arbeiten und dabei alltäglich Rassismus erfahren. Der Hochsitz in Ungarn deutet die Profite mit dem Elend an, zahlten dort doch im Jahr 2007 Flüchtlinge aus Moldawien den Schleppern mindestens € 1200, um von der Ukraine über die Grenze zu kommen. Erstmals ausführlich in der Schweiz zu sehen, nutzt Leitolf unsere Neugierde, um uns Fakten, die wir sonst gerne verdrängen, mit einer klugen Strategie vor Augen zu führen. AD Jean-Michel Basquiat · Untitled (Woman With Roman Torso [Venus]), 1982, Acryl und Ölstift auf Leinwand, 241 x 419,7 cm, Privatsammlung © Estate of J.-M. Basquiat / Artestar, New York. Foto: Robert Bayer → Fondation Beyeler, bis 27.8. ↗ fondationbeyeler.ch Eva Leitolf · Plantage, Rosarno, Italien, 2010, aus ‹Postcards from Europe› © ProLitteris → Kornhausforum, bis 30.7. ↗ kornhausforum.ch 78 Kunstbulletin 7-8/2023
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So unterschiedlich die einzelnen Arbeiten sind,<br />
so gut spielen sie zusammen. Alles fügt sich<br />
zu einem stimmigen Ganzen: Barbara Signer<br />
konstruiert mit ‹The First the Last Eternity› eine<br />
Übergangszone zwischen Realität und Parallelwelt.<br />
Dieser Schwebezustand besitzt magische<br />
Anziehungskraft und irritiert zugleich, er lockt<br />
mit Vertrautem und führt ins Ungewisse, vielleicht<br />
sogar in die Unendlichkeit. KS<br />
Barbara Signer · Gate IV (New Directions),<br />
<strong>2023</strong>, MDF, Acryl, Strassenlaternen,<br />
320 x 175 x 150 cm. Foto: Ladina Bischof<br />
Raumfahrt VII<br />
Baden — Bald kriegt der Mensch einen Chip ins<br />
Hirn gelegt und heutige Science-Fiction-Filme<br />
wirken wie Schnee von gestern. Die Langmatt<br />
knüpft sich dennoch, oder gerade deswegen,<br />
unter dem Titel des kultigen Films ‹Back to the<br />
Future› von Forrest-Gump-Regisseur Robert<br />
Zemeckis Wissenschaft und Zukunftsfiktion<br />
vor. So gehen in der siebten Ausgabe von<br />
‹Raumfahrt› drei junge Künstler:innen Visionen<br />
und Zeitsprüngen auf die Spur. Was dies Fragen<br />
generiert, zeigt etwa der in Chile geborene Genfer<br />
Vicente Lesser (*1992): Eine Timeline, bestehend<br />
aus einem Betonrelief und windschiefen<br />
Sternen auf Plastikfolie, reiht Jahreszahlen<br />
aus der Geschichte Chiles aneinander. Pfeile<br />
mit kryptischen Inschriften ergänzen den Fries.<br />
Ein Ziegelstein dreht sich auf einem Minibildschirm<br />
um die eigene Achse, und eine Pyramide<br />
– ein umgestülpter Aschenbecher – erzählt<br />
gleichzeitig von Hochkultur und verbrannter<br />
Erde. Laila Kaletta (*1995) forscht mit dem<br />
Feldstecher in einer tierischen Ahnengalerie<br />
über Wimpertierchen – eine witzige Videoarbeit<br />
über die kleinsten Bewohner der Erde. Und die<br />
Malerin Natascha Donzé (*1991) hängt Solarpanels,<br />
abstrakte Blumenwiesen und einen<br />
frechen Splash an Backsteinwände. Irdisch<br />
schön und gleichzeitig «seltsam toxisch», wie<br />
Kuratorin Daniela Minneboo bemerkt. FS<br />
Barbara Signer · The First the Last Eternity,<br />
<strong>2023</strong>, Ausstellungsansicht Kunsthalle<br />
Arbon. Foto: Ladina Bischof<br />
→ Kunsthalle Arbon, bis 23.7.<br />
↗ kunsthallearbon.ch<br />
Vicente Lesser · Another gate to Llano del Rio,<br />
<strong>2023</strong> (Detail), Spritzbeton, Tapete, Keramik,<br />
Zigaretten, Videoanimationen, Rauminstallation.<br />
Foto: Severin Bigler<br />
→ Museum Langmatt, bis 24.9.<br />
↗ langmatt.ch<br />
HINWEISE // ANIMATION / ARBON / BADEN<br />
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