Kunstbulletin Juli/August 2023
Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm. Unsere Juli/August Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Doris Salcedo, Franz Hohler, Reena SainiKallat, Reto Müller, uvm.
lachen ist wesentlich schwieriger. Wer sich im Dschungel des Humors zurechtfinden möchte, kann in den interaktiven Installationen auf ein ‹Survival Kit› zurückgreifen oder bedient sich der ‹116 Fragekarten für mehr Humor› von den beiden Kommunikationsfachfrauen Cornelia Schinzilarz und Charlotte Friedli. Der ‹Lachautomat› lehrt die Besuchenden, wie anstrengend es sein kann, nicht zu lachen, wenn nicht gelacht werden darf. Wer sich ins Ausstellungsthema vertiefen möchte, findet im Shop Bücher und weitere Materialien. TS Daniel Hellmann & Tomàs Eyzaguirre · Soya the Cow: Vogue Végétale, 2022, Fotoserie ‹Humor – geliebt, verpönt, gefürchtet›, Ausstellungsansicht Vögele Kulturzentrum. Foto: Maurice Grünig → Vögele Kulturzentrum, bis 17.9. ↗ voegelekultur.ch Andriu Deplazes Reggio Emilia — Schon in sehr jungen Jahren fand der Maler und Zeichner Andriu Deplazes (*1993, Zürich) zu einer Ausdrucksweise, die – auch wegen ihrer Farbigkeit – polarisiert. Sein Werk ist bekannt für eigentümliche Bildwelten: Zumeist nackte, ungelenk wirkende Figuren stehen etwas verloren in einer Landschaft, häufig in Gegenwart von Tieren, manchmal mit einem Musikinstrument versehen. Dabei können Bezüge zu aktuellen Ereignissen auftauchen – etwa Sprengstoffgürtel oder Helikopter –, doch die Körper entstammen allesamt der Fantasie und sind in einer Art überzeitlichem Universum angesiedelt. Neuerdings malt Deplazes auch Interieurs mit Familienkonstellationen; seine Leitthemen hingegen kehren immer wieder zurück. Deplazes verfeinert und variiert seine Bildwelten, was ihn zu einer der interessantesten Positionen innerhalb der jungen Schweizer Kunst macht. Nach Einzelausstellungen im Friedrichshafener Kunstverein 2018, im Kunstmuseum Chur 2019 und seit 2020 wiederholt in der Zürcher Galerie Peter Kilchmann wurde Deplazes 2021 für eine Soloschau in der Collezione Maramotti ins norditalienische Reggio Emilia eingeladen. Das erweist sich als Glücksfall: Die Ausstellung ‹Burning Green› hat Museumsformat. Innerhalb weniger Monate schuf Deplazes, der seit einigen Jahren in einem geräumigen Atelier in Marseille arbeitet, Dutzende von neuen, grossformatigen Werken, wobei er auf die spezielle Architektur reagierte. Für das ehemalige Fabrikationsgebäude malte er Militärmusiker auf Plexiglas, die er in die umlaufende Glasfassade einpassen liess. Die Ausstellungsarchitektur wurde nach seinen Wünschen umgebaut, um so Arbeiten in je nach Thema unterschiedlichen Räumen zu zeigen. Bei den Maramottis handelt es sich um eine der wichtigsten Industriellenfamilien Italiens, deren Modemarke Max Mara international Erfolge feiert. Doch weniger bekannt ist die Tatsache, dass die Familie bereits seit drei Generationen Kunst sammelt. In ihrem privaten Kunstmuseum sind neben Wechselausstel- HINWEISE // MÜNCHEN / PFÄFFIKON SZ / REGGIO EMILIA 85
lungen auch über zweihundert Werke aus der Familiensammlung zu sehen. Zur Ausstellung ‹Burning Green› veröffentlicht die Collezione ein umfangreiches Buch, das Deplazes’ Arbeiten auf Leinwand und Papier vorstellt. Es enthält ein Gespräch mit Julian Denzler, dem Kurator Gegenwartskunst am Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen, sowie Essays vom italienischen Kunsthistoriker Davide Ferri und der Umweltsystemwissenschaftlerin Anna Deplazes-Zemp von der ETH Zürich. PS Andriu Deplazes · Körper und offene Tür, 2023, Öl, Leinwand, 187 x 261 cm, Courtesy Galerie Peter Kilchmann © ProLitteris. Foto: R. Marossi Andriu Deplazes · Tambursoldat, 2023, Acryl auf Plexiglas, 251 x 81 x 0,4 cm, Courtesy Galerie Peter Kilchmann © ProLitteris. Foto: R. Marossi → Collezione Maramotti, bis 29.10. ↗ collezionemaramotti.org Ja, wir kopieren! Solothurn — Auf dem Gemälde ‹Untitled (How Long Runnin’ Away With This Junk, Red Ryder?)›, 2006, lässt der kolumbianische Künstler Álvaro Barrios (*1945) einen Cowboy und einen Knaben durch eine Comic-Westernlandschaft reiten. Der Cowboy trägt Marcel Duchamps Readymade ‹Roue de Bicyclette› mit sich. Der Knabe fragt in einer Sprechblase, wie lange er diesen Plunder noch mit sich herumschleppen wolle. Der Cowboy: «Hab Geduld, Kleiner Biber. Wir werden dieses Einrad hier verstecken, wo es kein Künstler des 21. Jahrhunderts mehr sehen kann. Niemals!» Lustvoll werden hier Popkultur und Kunstgeschichte verquickt. Das ‹Roue de Bicyclette› löste 1913 heftige Debatten aus und landete auf dem Müll. Duchamp selbst schuf eine Reproduktion. Der Comic-Stil des Bildes verweist auf die Pop-Art, die ihrerseits gern mit Werbeästhetik spielte. Auf vielschichtige Weise macht das Werk deutlich, dass es beim Kopieren in der Kunst um mehr geht als um schlichtes Nachmachen. Wer kopiert, lernt. Das Neue entsteht aus dem Alten. Und die Kopie weiss oft mehr als das Original. Dieser Gedanke steht leitmotivisch hinter der Ausstellung ‹Ja, wir kopieren! Strategien der Nachahmung in der Kunst seit 1970› im Kunstmuseum Solothurn. Katrin Steffen, Meret Kaufmann und Michael Hiltbrunner haben Arbeiten von über vierzig Kunstschaffenden und Kollektiven aus der Schweiz und dem Ausland zusammengestellt, um zu zeigen, wie fruchtbar der Prozess des Nachahmens in der Kunst sein kann. Judith Albert (*1969) macht aus Félix Vallotons Stillleben ‹Poivrons rouges› ein Video namens ‹Peperoni (d’après Vallotton)›, 2009. Die roten und grünen Peperoni werden im Video von Theaterschnee überrieselt. Das Moment der Vergänglichkeit, das in Vallottons Stillleben mitschwingt, wird hier neu erzählt. Ein Pastiche kann auch ganz neue Inhalte einfügen. Das Kollektiv Mickry 3 [(Nina von Meiss (*1978), Dominique Vigne (*1981) und Christina Pfander (*1980)], übersetzt eine Brunnenskulptur von Aristide Maillol in farbiges Acrylharz. Die Künstlerinnen attackieren 86 Kunstbulletin 7-8/2023
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Schinzilarz und Charlotte Friedli. Der ‹Lachautomat›<br />
lehrt die Besuchenden, wie anstrengend<br />
es sein kann, nicht zu lachen, wenn nicht<br />
gelacht werden darf. Wer sich ins Ausstellungsthema<br />
vertiefen möchte, findet im Shop Bücher<br />
und weitere Materialien. TS<br />
Daniel Hellmann & Tomàs Eyzaguirre · Soya the<br />
Cow: Vogue Végétale, 2022, Fotoserie<br />
‹Humor – geliebt, verpönt, gefürchtet›,<br />
Ausstellungsansicht Vögele Kulturzentrum.<br />
Foto: Maurice Grünig<br />
→ Vögele Kulturzentrum, bis 17.9.<br />
↗ voegelekultur.ch<br />
Andriu Deplazes<br />
Reggio Emilia — Schon in sehr jungen Jahren<br />
fand der Maler und Zeichner Andriu Deplazes<br />
(*1993, Zürich) zu einer Ausdrucksweise, die –<br />
auch wegen ihrer Farbigkeit – polarisiert. Sein<br />
Werk ist bekannt für eigentümliche Bildwelten:<br />
Zumeist nackte, ungelenk wirkende Figuren<br />
stehen etwas verloren in einer Landschaft,<br />
häufig in Gegenwart von Tieren, manchmal mit<br />
einem Musikinstrument versehen. Dabei können<br />
Bezüge zu aktuellen Ereignissen auftauchen<br />
– etwa Sprengstoffgürtel oder Helikopter<br />
–, doch die Körper entstammen allesamt der<br />
Fantasie und sind in einer Art überzeitlichem<br />
Universum angesiedelt. Neuerdings malt Deplazes<br />
auch Interieurs mit Familienkonstellationen;<br />
seine Leitthemen hingegen kehren immer<br />
wieder zurück. Deplazes verfeinert und variiert<br />
seine Bildwelten, was ihn zu einer der interessantesten<br />
Positionen innerhalb der jungen<br />
Schweizer Kunst macht.<br />
Nach Einzelausstellungen im Friedrichshafener<br />
Kunstverein 2018, im Kunstmuseum Chur<br />
2019 und seit 2020 wiederholt in der Zürcher<br />
Galerie Peter Kilchmann wurde Deplazes 2021<br />
für eine Soloschau in der Collezione Maramotti<br />
ins norditalienische Reggio Emilia eingeladen.<br />
Das erweist sich als Glücksfall: Die Ausstellung<br />
‹Burning Green› hat Museumsformat. Innerhalb<br />
weniger Monate schuf Deplazes, der seit<br />
einigen Jahren in einem geräumigen Atelier in<br />
Marseille arbeitet, Dutzende von neuen, grossformatigen<br />
Werken, wobei er auf die spezielle<br />
Architektur reagierte. Für das ehemalige Fabrikationsgebäude<br />
malte er Militärmusiker auf<br />
Plexiglas, die er in die umlaufende Glasfassade<br />
einpassen liess. Die Ausstellungsarchitektur<br />
wurde nach seinen Wünschen umgebaut, um<br />
so Arbeiten in je nach Thema unterschiedlichen<br />
Räumen zu zeigen.<br />
Bei den Maramottis handelt es sich um eine<br />
der wichtigsten Industriellenfamilien Italiens,<br />
deren Modemarke Max Mara international<br />
Erfolge feiert. Doch weniger bekannt ist die<br />
Tatsache, dass die Familie bereits seit drei<br />
Generationen Kunst sammelt. In ihrem privaten<br />
Kunstmuseum sind neben Wechselausstel-<br />
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