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Zur Kur beim Förster in Schlesien<br />
Völlig überraschend stand eines Tages eine Frau von der NS-<br />
Frauenschaft vor unserer Tür und teilte meiner Mutter mit,<br />
dass ich einen Kurplatz zur Erholung in Schlesien bei einer<br />
Försterfamilie bekommen hatte. Ich war dreizehn Jahre alt,<br />
und diese Kur war ein Segen für meine Entwicklung. Meine<br />
Mutter kümmerte sich kaum noch um mich, und so war ich<br />
für mein Alter ein sehr selbständiger Bursche. Einen Koffer<br />
besaßen wir nicht, und meiner Mutter war es offensichtlich<br />
egal, wie ich nach Schlesien kommen würde. So organisierte<br />
ich gemeinsam mit meiner Oma, die sich im Gegensatz zu<br />
meiner Mutter um mich sorgte, einen stabilen Karton in den<br />
meine Kleidung verstaut werden konnte.<br />
Die Fahrkarten hatte ich per Post zugeschickt bekommen, und<br />
so machte ich mich mit meinen dreizehn Jahren allein auf die<br />
Bahnreise nach Schlesien. Angst hatte ich keine. Da war nur<br />
Freude, Spannung und Neugierde auf das, was mich erwarten<br />
würde. Und da war ein Gefühl von Freiheit, ein Gefühl, der<br />
Armut und Not zumindest für eine kurze Weile entfliehen zu<br />
können.<br />
Nach vielen anstrengenden aber auch spannenden Stunden<br />
Zugfahrt war ich in dem kleinen Ort Neudorf angekommen.<br />
Ein Einspänner, an dem ein freundliches Ehepaar in mittleren<br />
Jahren stand, wartete bereits am Bahnhof auf mich. Die Frau<br />
des Försters, winkte mir aufmunternd zu. Als ich näher kam<br />
schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen und sagte mitleidig:<br />
„Ja, wie siehst du denn aus?! Da haben wir ja ganz schön<br />
was zu füttern!“ In dieser wohligen und so augenscheinlich<br />
satten Umgebung stellte ich mir erstmalig die Frage: „Ja, wie<br />
sah ich denn aus?“ Dünne Arme, dünne Beine, und der Kopf<br />
war größer als meine Schultern breit.<br />
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