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© Heinrich Kantura/Peter Christoph Schwartz, A-1010 Wien, Hafnersteig 5/1/2/11<br />

paradieren befiehlt, dieweil er dort ein Dutzend anderer morden<br />

läßt. (Und dort, wo "die Zeiten" an Schlachthöfe erinnern,<br />

verdirbt das Reine, verdirbt das Unverdorbene und kehrt wieder als<br />

Diener und Gespenst.) - - Wir müssen etwas tun, hörte ich am<br />

nächsten Morgen die aufgeregte Stimme des Direktors, wir müssen<br />

etwas tun, irgend etwas, verstehen Sie. Sie stören mein Dejeuner!<br />

habe ich ihn sogleich wütend angerufen und dabei unbeirrbar ein<br />

Stück von jenem Semmelwecken gebrochen. Aber mein lieber Freund,<br />

hörte ich den Direktor nachfassen, mein lieber guter-- Ich bin<br />

niemandes Freund, habe ich ihn unterbrochen und ein halbes<br />

Löffelchen Marmelade auf das Brötchen getan, ich bin niemandes<br />

Freund! Der Direktor stand jetzt vor mir wie ein schüchterner<br />

ängstlicher zitternder Schuhputzjunge, der sich um seinen Lohn<br />

betrogen wähnt. Nun, Herr Direktor, spottete ich und brannte,<br />

dieweil ich ihm sich hinzusetzen bedeutete, eine Zigarette an, Sie<br />

haben vielleicht über die Freundschaft sich täuschen lassen! Wie<br />

darf ich das verstehen, hörte ich ihn fragen. Es ist wohl nicht<br />

nötig zu erklären, hub ich an, daß wir verlieren, daß wir nämlich<br />

mit jedem Tag ein Stückchen mehr verlieren, und daß wir nichts tun<br />

können dagegen. Natürlich, fuhr ich fort, wir können das<br />

beobachten wie ein Soldat, der den Wundbrand auf seinen wieder<br />

zusammengeflickten Beinen sieht-- Haben Sie solche Beine schon<br />

einmal gesehen, Herr Direktor, unterbrach ich mich, haben Sie sie<br />

gerochen? - - Daß wir sterben, begann der Direktor nach einer<br />

Pause von vielleicht sieben Minuten, fühlen wir bereits mit dem<br />

ersten Atemzug, den wir schreiend tun. Überhaupt bedünkt das<br />

Schreien, entgegnete ich durchaus sarkastisch, eine sonderbare Art<br />

der Artikulation zu sein, zumal wir es nicht lernen müssen noch--<br />

Der Schrei ist mithin die eigentliche Inspiration unserer Sprache!<br />

unterbrach mich der Direktor. Denn die Kreatur, fuhr er sogleich<br />

fort, die wir sind am Beginn des Morgens und am Ende unserer<br />

Erinnerungen, schreit! Ja, immerzu schreit die, habe ich<br />

geflüstert und mich dabei ein wenig über den Tisch gebeugt, die<br />

schreit, die kreischt, brüllt, seufzt, stöhnt... - - Wir waren<br />

jetzt dagesessen wie zwei alte Schauspieler in einer<br />

Untergrundschule des Warschauer Ghettos, die den Hamlet und den<br />

Herzog von Gloster gewiß schon hundertmal aufgeführt hatten ganz<br />

ohne Vorbehalt. Aber erst hier, erst auf den Straßen und in den<br />

Hinterhöfen des Ghettos würde es geschehen, daß ebendieser<br />

Vorbehalt zurückweicht, vielleicht sogar zersplittert vor den<br />

Schreien der Verhungernden. Und in der Nacht, die das Stöhnen der<br />

Gemarterten wie ein Summen von Chören über die Bezirke des Ghettos<br />

hinausträgt, würden die beiden Schauspieler vielleicht nicht mehr<br />

zu unterscheiden vermögen zwischen Spielern und Gespielten! - -<br />

Zum Ende der Schlacht werden die Mondläufer obsiegen, begann der<br />

Direktor unvermutet, das glaube ich ganz fest, am Ende werden sie<br />

gewonnen haben! Doch das wird ein Pyrrhussieg sein, Herr Direktor,<br />

lächelte ich und brannte ein Zigarette an. Sagen Sie, lieber<br />

Freund, frug er unbeirrbar, soll ich mit der Untergrundbewegung<br />

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