PCSHK_R.pdf
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© Heinrich Kantura/Peter Christoph Schwartz, A-1010 Wien, Hafnersteig 5/1/2/11<br />
Gepäcksjungen, der wie ein Stylit neben ihm gestanden war, ein<br />
Zettelchen und einige Münzen in die Rocktasche gesteckt. Dort<br />
bekommt man noch Schokolade zu kaufen, hat er geflüstert, echte<br />
Schokolade, verstehst Du... Der Junge nickte; aber mich selbst<br />
bedünkte es, daß der seinen Kopf bewegte nur deshalb, weil im<br />
Foyer jede andere Art der Reaktion, ein Wort vielleicht oder ein<br />
Lächeln, gewiß die Aufmerksamkeit des übrigen Personals provoziert<br />
hätte, das endlich, wie ich selbst konjekturierte, jede<br />
Auffälligkeit dem Direktor zu melden verpflichtet war. Du magst<br />
doch Schokolade!? hat er dann gefragt geradeso, als würde er in<br />
diesem Moment nicht mehr wissen, ob es die Kinder gewesen waren,<br />
für welche jede Art von Schokoladen gerührt wird, oder ob die bloß<br />
zubereitet werden für die Soldaten. Magst Du Schokolade, hat er<br />
nochmals gefragt, magst Du die? Ich mag das Blut von Ratten, hat<br />
der Junge geflüstert. Dann sollst Du auch die Schokolade<br />
probieren! habe ich dazwischengerufen. Ja, die solltest Du<br />
probieren, hörte ich ihn zustimmen, die solltest Du wenigstens<br />
gekostet haben. Ich werde sie kosten, hat der Gepäcksjunge<br />
geantwortet und dabei mich selbst angesehen wie einen Konjuranten.<br />
Dann geh und kauf Dir Schokolade, hörte ich mit einemmal die<br />
Stimme des Oberstabsarztes, lauf! Aber der Herr Direktor,<br />
stotterte der Junge, ich-- Papperlapapp, reagierte der Arzt<br />
sofort, der Herr Direktor wird davon nicht erfahren. Sie wollen<br />
also ehrlich schweigen, habe ich den Oberstabsarzt gefragt. Ich<br />
werde nicht schweigen, hat der süffisant geantwortet, weil ich das<br />
bloß nicht zur Kenntnis nehmen werde, daß der Junge Schokolade<br />
ißt! Und gewiß wird auch der Herr Oberleutnant, setzte er fort und<br />
suchte dessen Augen, keine Meldung machen. Oh, ganz gewiß nicht,<br />
hat der sofort reagiert, ganz gewiß nicht, Herr Oberstabsarzt!<br />
Nun, dann bleibt uns noch zu erfahren, begann der Arzt, dieweil er<br />
seine Hand auf die Schulter des Jungen legte geradeso, als würde<br />
er den über einen Friedhof geleiten, ob desgleichen Sie selbst das<br />
nicht zur Kenntnis nehmen werden... Ja, hörte ich den Oberleutnant<br />
erregt nachfassen, ja, wirst Du, sag, wirst Du-- Natürlich, habe<br />
ich ihn wütend unterbrochen, natürlich werde ich schweigen<br />
darüber! Sie sollen ja nicht schweigen, hub der Arzt jetzt an,<br />
sondern keine Kenntnis nehmen, was-- Oh, ich werde schweigen, habe<br />
ich ein zweites Mal unterbrochen, ich werde das rekognoszieren und<br />
dann werde ich darüber schweigen! Denn das Schweigen, fuhr ich<br />
fort, erlaubt es wenigstens, daß wir uns erinnern... Sie wollen<br />
sich also ad infinitum erinnern, frug der Oberstabsarzt durchaus<br />
schulmeisterlich. Ich muß mich erinnern, habe ich gerufen, weil<br />
ich sonst zum Ende der Schlacht noch nicht einmal mehr weinte!<br />
Aber das Weinen ist eine Schimäre, hörte ich den Oberleutnant<br />
stöhnen, ganz gewiß ist das Weinen nur eine Lüge... Und das ist es<br />
nur deshalb, erklärte der Oberstabsarzt geradeso, als würde er nun<br />
einer Hundertschaft von Studenten beiwohnen, weil wir nicht<br />
dienen, sobald wir weinen! - - Ob er also wisse, frug ich<br />
schließlich den Oberstabsarzt, daß wir den Krieg nur deshalb<br />
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